Volksschule

VfGH hebt Kopftuchverbot auf – IGGÖ zufrieden

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat das seit Herbst 2019 bestehende Kopftuchverbot an Österreichs Volksschulen als verfassungswidrig aufgehoben. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Religionsfreiheit. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) zeigte sich zufrieden und sprach vom Ende „populistischer Verbotspolitik“.

Verlangt hatten die Aufhebung des Kopftuchverbots zwei muslimische Familien. Sie sahen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff auf die Religionsfreiheit und religiöse Kindererziehung – und auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, weil der Hidschab verboten sei, die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs aber nicht. Gegen die im Mai 2019 erfolgte Änderung des Schulunterrichtsgesetzes brachte auch die IGGÖ im Jänner 2020 eine Beschwerde ein.

IGGÖ spricht sich gegen Zwang aus

Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ümit Vural, erklärte am Freitag in einer Aussendung, er habe von Anfang an betont, dass mit der Beschwerde nicht das verfrühte Tragen eines Kopftuchs bei Kindern oder ein elterlicher Zwang diesbezüglich verteidigt werden solle.

Vural: „Die IGGÖ ist gegen Zwang jeglicher Form. Weder heißen wir eine abwertende Haltung gegenüber Frauen gut, die sich aus persönlicher Überzeugung gegen das Kopftuch entscheiden, noch können wir der Einschränkung der Religionsfreiheit jener Musliminnen zustimmen, die das Kopftuch als integralen Bestandteil ihrer gelebten Glaubenspraxis verstehen.“

Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Umit Vural
ORF.at/Georg Hochmuth
IGGÖ-Präsident Ümit Vural

Vertrauen in Rechtsstaat „ausgezahlt“

Die Beschwerde habe sich „gegen die Aushebelung der durch die Verfassung garantierten Grundrechte, der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie der Gleichheit vor dem Gesetz“ gerichtet. Die Entscheidung des VfGH beweise, "dass unser Vertrauen in den Rechtsstaat und unsere Geduld sich ausgezahlt haben“, zeigt sich Vural zufrieden.

Vural forderte statt Verbote „die Stärkung der Menschen-, Frauen- und Kinderrechte und die Förderung des Bewusstseins, dass Zwang niemals zulässig ist.“ Er appellierte zudem an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, „Maßnahmen zu ergreifen, um die zunehmend rassistischen Tendenzen in Österreich einzudämmen“.

Verstoß gegen Religionsfreiheit

Das umstrittene Gesetz war während der ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossen worden. Die Regelung greife eine bestimmte Religion, den Islam, ohne nähere Begründung heraus, was dem Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates widerspreche, begründeten die Verfassungsrichter die Entscheidung.

Wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter in seiner Erklärung am Freitag erläuterte, begründe der Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. Zwar beziehe sich das von der türkis-blauen Regierung eingeführte Verbot nicht ausdrücklich auf das Tragen eines islamischen Kopftuches. In den Gesetzesmaterialien zum Schulunterrichtsgesetz komme jedoch die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass konkret das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt werden soll.

Volkschulkind, auf dem Tisch ein Mund-Nasen-Schutz
APA/APA/Harald Schneider
Der VfGH hat das Kopftuchverbot in Volksschulen gekippt

VfGH: Verbot „stigmatisiert“ Musliminnen

Mit dem Kopftuchverbot werde „islamische Herkunft und Tradition als solche ausgegrenzt“, kritisierte Grabenwarter: „Das punktuell eine einzige religiös oder weltanschaulich begründete Bekleidungsvorschrift herausgreifende Verbot des islamischen Kopftuches stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen.“

Außerdem warnen die Verfassungsrichter, dass sich eine „selektive Verbotsregelung“ nachteilig auf die Inklusion betroffener Schülerinnen auswirken könne: „Es birgt das Risiko, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren beziehungsweise sie gesellschaftlich auszugrenzen.“

Wiederholte Kritik an Regelung

Seit Herbst 2019 war „das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist“, an öffentlichen Schulen und an Privatschulen, die Öffentlichkeitsrecht besitzen, verboten. Die Regelung galt für Mädchen bis zu jenem Schuljahr, in dem sie zehn Jahre alt werden.

Laut Gesetz sollte es der „sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau“ dienen. Kritiker sahen das Gesetz als Diskriminierung. Es gab breite Kritik an der Regelung und viele verfassungsrechtliche Bedenken gegen sie – nicht nur von Musliminnen und Muslimen.