Abschiebung

„Leid verhindern“: Lackner für Bleiberecht

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, hat angesichts der jüngsten Abschiebungen dreier Schülerinnen an die Bundesregierung appelliert, humanitäres Bleiberecht zu nutzen, um das Leid von Kindern zu vermeiden.

Es brauche neue Lösungen im Blick auf das humanitäre Bleiberecht. „Viel Leid, gerade auch von Kindern, könnte vermieden werden“, so der Salzburger Erzbischof am Freitag in einer Stellungnahme. „Die erschütternden Bilder von der Abschiebung von Kindern durch ein polizeiliches Großaufgebot zeigen auf eindrückliche Weise, dass eine Entpolitisierung und Versachlichung des Instruments des humanitären Bleiberechts in Härtefällen dringend notwendig ist“, hielt Lackner fest.

In der derzeitigen Form scheine die nötige Treffsicherheit dieses Instruments für Härtefälle und besonders für gefährdete Menschen einfach nicht gegeben zu sein, „wozu wohl auch der Umstand beiträgt, dass einzelne Fälle von allen Seiten zur Demonstration ihrer politischen Positionen genützt werden“.

Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner
APA/Herbert Pfarrhofer
Erzbischof Franz Lackner appelliert an die Regierung, das humanitäre Bleiberecht zu nutzen

Lösung „ohne ungeregelte Zuwanderung“

Der Bischofskonferenz-Vorsitzende wörtlich: „Ich appelliere daher an die Regierung, in einen Dialog mit der Zivilgesellschaft einzutreten, um Lösungen zu finden, wie das Bleiberecht und die anderen für Härtefälle zur Verfügung stehenden rechtskonformen Möglichkeiten im Sinn der Menschlichkeit besser genützt werden können, ohne eine ungeregelte Zuwanderung anzuheizen.“

Mit der Stellungnahme von Lackner gibt es nun noch einen gewichtigen Kritiker aus den Reihen der Kirchen. An der nächtlichen Abschiebung der Schülerinnen und ihrer Familienangehörigen nach Georgien und Armenien in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag übten am Freitag auch Caritas, Diakonie und die Österreichische Ordenskonferenz harsche Kritik.

Landau: Abschiebung „Zeichen von Schwäche“

Caritas-Präsident Michael Landau betonte in einer Aussendung am Freitag wörtlich: „Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn der Staat glaubt, seine Stärke mit der Abschiebung kleiner Kinder demonstrieren zu müssen.“ Entscheidungen, die aus rechtsstaatlichen Verfahren hervorgehen, seien zwar grundsätzlich zu respektieren. Doch wenn selbst so gut integrierten Familien kein humanitäres Bleiberecht mehr gewährt werde, dann drohe dieses Instrument zu totem Recht zu verkommen.

Gesetze sind laut Landau immer „Ausdruck eines politischen Willens“. Führten sie aber zu Ergebnissen, „die in ihrem Grundsatz nicht gewollt sind, kann und muss man diese Gesetze ändern“, appellierte der Caritas-Präsident.

Caritas-Präsident Michael Landau
APA/Helmut Fohringer
Michael Landau übt scharfe Kritik am Umgang mit den Kindern

Lage der Kinder ignoriert

Die Caritas beobachte zudem, „dass die Situation des Kindes, das sich mit seiner Familie in Österreich aufhält, in der Entscheidungsfindung bezüglich seines Bleiberechts oft vernachlässigt wird“. So werde zwar der Integrationsgrad der Eltern berücksichtigt, jedoch nicht der Integrationsgrad der Kinder, mahnte Landau. Die Integration der Kinder müsse stärker in die Interessenabwägung einfließen und im Zweifelsfall Priorität haben, so die Forderung Landaus.

Zwar erhalte nicht jeder, der Asyl beantrage, auch Asyl, hielt der Caritas-Präsident fest. Es müsse aber sichergestellt werden, „dass Verfahren fair, qualitätsvoll und rasch geführt werden, damit Schutzsuchende möglichst schnell Klarheit darüber bekommen, ob sie bleiben können oder nicht.“

Kritik auch an Art der Abschiebung

Zudem würde es Landau begrüßen, wenn die Entscheidung über ein humanitäres Bleiberecht wieder auf regionaler Ebene erfolgen würde: „Ist der Abzuschiebende Nachbar, Freund oder Kollege, dann hat er Name, Gesicht und ein Schicksal. Dann ist er Gemeindebürger. Bürgermeister und Gemeindevertreter kennen ihn.“ Der Grad der Integration und die Verwurzelung in Österreich, die für die Entscheidung zentral sind, könnten auf Länder- oder regionaler Ebene besser beurteilt werden.

Schutzsuchende Menschen müssten in allen Stadien des Verfahrens menschenrechtskonform und menschenwürdig behandelt werden. Das beinhalte neben dem Verfahren und der Unterbringung auch die Art und Weise, wie eine eventuelle Abschiebung erfolgt, so Landau: „Hier stellt sich die Frage, ob es notwendig und verhältnismäßig ist, Familien mit Kindern unter großem Polizeiaufgebot mitten in der Nacht und unter Einsatz von Polizeihunden zum Flughafen zu bringen.“ Zudem sei infrage zu stellen, „ob Abschiebungen von Familien mit Kindern, die in Österreich geboren sind, jetzt – mitten in einer Jahrhundertpandemie – notwendig sind“, so der Caritas-Präsident.

Ordenskonferenz für humanitäres Bleiberecht

Heftige Kritik kam auch vonseiten der Österreichischen Ordenskonferenz. „Wir sprechen nicht über irgendein abstraktes Aktenzeichen, sondern über Kinder“, so Ordenskonferenz-Generalsekretärin Christine Rod in einer Stellungnahme gegenüber der römisch-katholischen Nachrichtenagentur Kathpress.

Sicherlich sei nach der geltenden Gesetzeslage gehandelt worden, doch „wem dient das Gesetz?“, fragte Rod: „Sollte es nicht den Menschen und damit der Menschlichkeit dienen? War es wirklich menschlich, um drei Uhr in der Früh Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, hier zur Schule gehen, hier Freunde haben, mit Polizeigewalt abzuholen und in ein Land abzuschieben, dass sie nicht kennen und das ihnen fremd ist?“ Hier hätte man im Sinne eines humanitären Bleiberechts menschlich und christlich handeln können, zeigte sich Rod überzeugt.

„Akt der Unmenschlichkeit“

Ordensgemeinschaften hätten sich schon immer mit Menschen am Rande solidarisiert und sie in die Mitte der Gesellschaft geholt. „Ganz im Sinne von Jesus Christus, der sagt, was ihr für einen meiner geringsten Brüder und einer meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. An die ‚geltende Gesetzeslage‘ wird er sicherlich nicht gedacht haben“, so Rod abschließend.

Auch die Kirchenleitung der Altkatholischen Kirche Österreichs hat die Abschiebungen scharf als „Akt der Unmenschlichkeit“ kritisiert. „Man kann nicht den Holocaust-Gedenktag begehen und anschließend zur Tagesordnung übergehen und Kinder auf diese Art und Weise in ein ihnen unbekanntes Land abschieben“, fuhr Bischof Heinz Lederleitner schwere Geschütze auf. Und der altkatholische Generalvikar Martin Eisenbraun ergänzte: „So eine unmenschliche Politik steht im Gegensatz zu christlich-sozialen Grundwerten!“

Geist: „Unerträgliche Abschiebepraxis“

Heftige Kritik kam am Freitag auch aus den Reihen der Evangelischen Kirche. Als „unerträglich“ bezeichnete der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist die „Abschiebepraxis von Kindern aus Österreich“. Die Vorgehensweise entspreche nicht den weltweit anerkannten Kinderrechten, kritisierte Geist in einem Posting auf Facebook die Abschiebung der Mädchen. Laut Kinderrechtskonvention sei der Schutz Minderjähriger „vorrangig gegenüber behördlichen Eingriffen und sollte dies bleiben“. Was eine Abschiebung von Kindern mit diesen anrichte, sei „jedenfalls nicht im Sinne der sonst hochgehaltenen Kinderrechte und der ganz konkreten zwölfjährigen Schülerinnen aus Wien und aller ihrer Freunde und Weggefährten“.

Es gehe jetzt „um jede einzelne junge Person, die auch in Zukunft von solcher Art Abschiebung bedroht ist.“ Für Geist ist es „mehr als bedenklich, wenn Kinder mit nachvollziehbarer Integration in unser Land entwurzelt werden.“ Darin sieht er einen gravierenden „Bruch mit den Grundsätzen einer solidarischen, integrativen Gesellschaft.“

Diakonie: „Ungnade vor Recht“

Auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte den Blick auf das Kindeswohl ein: „Im Fall von Tina und ihrer Schwester wurde das nicht berücksichtigt“, schrieb Moser via Twitter. Denjenigen, die die Abschiebung mit der Phrase „Recht muss Recht bleiben“ begründen, hielt Moser entgegen: „Recht muss Recht bleiben gilt schon lange nicht mehr.“

So gebe es Fälle illegaler Pushbacks an Grenzen sowie menschenrechts- und EU-Richtlinien-widrige Flüchtlingslager. Das Recht werde „tausendfach“ gebrochen. „Gnade vor Recht war mal. Jetzt: Ungnade vor Recht“, konstatierte Moser.

Evangelische Jugend „bestürzt“

„Große Bestürzung“ haben die Bilder der Abschiebung bei der Evangelischen Jugend Österreich (EJÖ) hervorgerufen. „Wenn es um Asylverfahren von Kindern geht, müssen humanitäre Lösungen gefunden werden“, forderte Judith Schrödl, stellvertretende Vorsitzende der EJÖ, in einer Aussendung.

„Es kann nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinderrechte ignoriert werden und es keine Möglichkeit gibt, Kindern, egal wo sie herkommen, ein sicheres Zuhause und Zukunftsperspektiven zu ermöglichen“, ergänzte der Vorsitzende der EJÖ, Thomas Nanz.