Missbrauchsskandal

Woelki: „Systembedingte Vertuschung“ in Köln

Der deutsche Kardinal Rainer Maria Woelki hat „systembedingte Vertuschung“ im Erzbistum Köln eingestanden. Ein in der vergangenen Woche veröffentlichtes Gutachten habe das nachgewiesen, sagte Woelki am Dienstag. Zurücktreten will er nicht.

Woelki räumte „Chaos in der Verwaltung“ sowie ein „System aus Schweigen, Geheimhaltung und mangelnder Kontrolle“ ein. „Das hätte so nie passieren dürfen“, sagte der Chef des größten Bistums im deutschen Sprachraum. Deshalb müsse nun „rigoros gehandelt“ werden, um dies für die Zukunft zu verhindern.

„Generell fehlte es an Mitgefühl, generell fehlte es an Empathie“, konstatierte der Erzbischof, der zum konservativen Flügel innerhalb der deutschen Bischofskonferenz gerechnet wird. Zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen gegen Priester wurde vergangene Woche ein zweites Gutachten präsentiert, das erste hatte Woelki als mangelhaft eingestuft und deshalb unter Verschluss gehalten.

Jahrzehntelang keine Anzeigen

Aus dem Gutachten hatte sich ergeben, dass aufgrund der noch verfügbaren Akten im Erzbistum Köln zwischen 1975 und 2018 insgesamt 314 Personen – meist Buben unter 14 Jahren – Opfer von sexualisierter Gewalt geworden waren. Der Gutachter Björn Gercke stellte fest, „dass sich Jahrzehnte offenbar niemand getraut hat, solche Fälle zur Anzeige zu bringen“.

Kardinal Rainer Maria Woelki
APA/AFP/Oliver Berg
Kardinal Rainer Maria Woelki hat die „systembedingte Vertuschung“ von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln eingestanden

Mehreren Verantwortungsträgern des Erzbistums warf Gercke Pflichtverletzungen vor, so dem früheren Personalchef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem 2017 gestorbenen Kardinal Joachim Meisner. Heße hat dem Papst mittlerweile seinen Amtsverzicht angeboten.

„Einfach gehen ist mir zu einfach“

Der in dem Gutachten ebenfalls stark belastete Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp tat Gleiches. Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff wurde vorläufig freigestellt, Kirchenrichter Günter Assenmacher entbunden. Auch der frühere Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff zog sich aus dem Kölner Priesterrat zurück.

„Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen, zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche – das ist mir zu einfach“, sagte Woelki vor Journalisten hinsichtlich eines eigenen möglichen Rücktritts. Die Probleme würden auch nach seinem Weggang bleiben. „So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das höchstens für eine kurze Zeit hält.“ Er wolle zugleich sehr wohl moralische Verantwortung „annehmen und wahrnehmen“ und alles dafür tun, dass möglichst keine Fehler mehr passieren können.

Kritik an „Reinwaschen“ Woelkis

Lang nicht alle Beobachter nehmen Woelki jedoch die Rolle des Aufklärers ab. So wirft ihm der Kirchenrechtler Thomas Schüller vor, sich auf Kosten anderer reinwaschen zu wollen. „Woelki stilisiert sich zur Lichtgestalt der Aufklärung und opfert dafür seinen Mentor Meisner und seine Mitstreiter Schwaderlapp, Assenmacher und Puff“, sagte Schüller der Deutschen Presse-Agentur. „Er übernimmt keine politische Verantwortung. Das wird ihm auf die Füße fallen, denn ein Bischof ohne Vertrauen bei den Gläubigen mag formal Bischof bleiben, aber es fehlt ihm das Volk.“

Der Münsteraner Professor sagte, er habe selbst als Persönlicher Referent des früheren Limburger Bischofs Franz Kamphaus gearbeitet. „Da bekommt man alle Fälle in der Post und am Telefon mit und sieht, wie der eigene Bischof handelt.“ Es sei deshalb kaum glaubhaft, dass Woelki als Geheimkaplan von Meisner und später als Weihbischof in den Personalkonferenzen der Bistumsleitung nichts von Missbrauchsvorwürfen gegen verschiedene Priester mitbekommen habe.

Inszenierung als „Aufklärer“

Auch die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ kritisierte, es falle schwer zu glauben, dass Woelki, der so lange Kaplan und Weihbischof unter Meisner gewesen sei, nichts von der systembedingten Vertuschung mitbekommen haben wolle. Woelki versuche, sich als „erster Aufklärer Deutschlands“ zu inszenieren, doch die von ihm angekündigten Maßnahmen seien im Grunde Selbstverständlichkeiten.

Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer dagegen nahm Woelki in Schutz und sprach von einer „Dämonisierung“ des Kardinals. "Erst wird monatelang gerufen: „‚Wo bleibt das Gutachten?‘“, sagte Fischer der Deutschen Presse-Agentur. "Dann kommt das Gutachten, und es steht drin, dass Woelki unschuldig ist. Daraufhin wird gerufen: „Das Gutachten ist ja wahrscheinlich gefälscht." Das ist eine absurde Empörungskultur.“ Sehr wenige Organisationen hätten so viel zur Aufklärung und Aufarbeitung beigetragen wie die katholische Kirche.