Ausstellung zeigt Systemerhalter als Heilige

Die Gottesmutter Maria als mehrfachbelastete Hausfrau, der heilige Petrus von Alcantara als gehetzter Paketzusteller und die heilige Margareta als überarbeitete Krankenpflegerin: Eine Ausstellung in Wien zeigt die vielbeklatschten „Systemerhalter“ der Gesellschaft als Heilige, die mitunter, wie Illustrator Daniel Lienhard sagte, „Drecksarbeit“ machen.

„Ich habe aus diesen Arbeiterinnen und Arbeitern Heilige gemacht. Ich fand das irgendwie angemessen“, erklärte Lienhard sein Werk kürzlich in einer Online-Vernissage. Zu sehen sind die Bildmontagen in der Ausstellung „Wer in diesem Land die Arbeit macht“ nach dem harten Lockdown in Ostösterreich ab 3. Mai in „Quo vadis?“, dem Begegnungszentrum der Ordensgemeinschaften in Wien am Stephansplatz. Bis dahin werden einige Bilder der Ausstellung in den Schaufenstern gezeigt.

Lienhard montierte etwa die „Thronende Madonna“ des italienischen Bildhauers Benedetto da Maiano aus dem Spätmittelalter in ein heutiges Umfeld: Maria sitzt neben einem modernen Kinderwagen in einem öffentlichen Verkehrsmittel, auf ihrem Schoß das Jesuskind. Sie kümmert sich nicht nur um ihren Sohn Paul, sondern auch um ihre krebskranke Mutter und muss dafür später mit einer kleinen Rente rechnen, wie man aus dem Begleittext erfährt.

Heilige Maria mit Jesus in der Schnellbahn in der Ausstellung von Quo vadis? „Wer die Arbeit macht“
Daniel Lienhard
Die heilige Maria mit Jesus in der Schnellbahn

Lienhard war offensichtlich seiner Zeit voraus. Denn entstanden sind die Bildmontagen, die deutlich machen, wer in der Krise das System am Laufen hält, bereits im Jahr 2018, also vor der Pandemie. Neu sind jedoch die humorvoll-kritischen Texte, die der Künstler jedem Bild hinzugefügt hat, wie Lisa Huber, Leiterin von „Quo vadis?“ der römisch-katholischen Nachrichtenagentur Kathpress sagte.

Die noch im ersten Lockdown beklatschten Männer und Frauen, die die Gesellschaft am Laufen halten, traten seither wieder in den Hintergrund – zu Unrecht, wie Huber sagte. Insofern würden die Bilder Lienhards gerade jetzt so gut passen. Sie zeigen die Systemerhalter, „Frauen und Männer in systemrelevanten Berufen – unterbezahlt und ohne Wertschätzung“.

Christophorus sticht Spargel, Petrus stellt zu

Als Paketzusteller neben einem gelben Kastenwagen ist der „Heilige Petrus von Alcantara“ zu sehen, geschaffen von Pedro de Mena y Medrano (Barcelona, 1663–1673). Ein Christophorus aus dem 18. Jahrhundert wird zum Spargelstecher aus Bulgarien, eine heilige Katharina aus dem Hochmittelalter sitzt an der Supermarktkassa.

Heilige Margret als Krankenpflegerin in der Ausstellung von Quo vadis? „Wer die Arbeit macht“
Daniel Lienhard
Die heilige Margareta von Antiochia als Krankenpflegerin

Kathy „macht sich kaputt“

Kathy habe sich noch nicht an die Spätschicht gewöhnt, „wenn der Laden bis 21.00 Uhr auf hat“, heißt es in dem Begleittext Lienhards. „Dann schläft Kathy im Bus regelmäßig ein, kommt erst um halb zwölf dazu, sich was Warmes zu kochen und versumpft dann vorm Fernseher. So machst du dich kaputt, Mädchen, sagt Kathys Mama. Und hat wohl recht, wie immer.“

Insgesamt zwölf solche verblüffende und zugleich demaskierende Montagen hat der in Bregenz lebende Künstler Daniel Lienhard, der immer wieder Illustrationen für die Bereiche Kultur, Bildung und Religion gestaltet, dem „Quo vadis?“ zur Verfügung gestellt.

Wut als „Motor“

Motor für die Porträts sei „Wut“ darüber gewesen, wie sehr Ungerechtigkeit unseren Alltag durchdringt und „wie unerträglich unbeschwert wir mit ihr zeitweilig umgehen“. Es sei eine Pflicht, zu jedem Unrecht nicht einfach zu schweigen, sondern „sich wenigstens hinzustellen und das Maul aufzutun“, so der Künstler. „Wären wir Abendländerinnen und Abendländer nur – sagen wir – ein Zehntel so unbequem, wie man es von Jesus erzählt, es sähe schon vieles anders aus“.

Ausstellung von Quo vadis? „Wer die Arbeit macht“
Privat
Illustrator Daniel Lienhardt

Die wirkmächtigen Bilder von Lienhard sind jedenfalls bestens dazu geeignet, zum Nachdenken über eben dieses System von Ungerechtigkeiten und der eigenen Rolle darin, anzuregen. Die Ausstellung mit den zwölf großformatigen Bildtafeln ist nach dem Ende des derzeitigen harten Lockdowns in Ostösterreich wochentags von 11.00 bis 16.00 Uhr in „Quo vadis?"zu besichtigen.

Ehemaliger Sklave als Inspiration

Der Auslöser für die Bilderreihe war die Statue des Benedetto il Moro, wie Lienhard gegenüber religion.ORF.at erklärte. Der Äthiopier Benedetto lebte im 16. Jahrhundert als Sklave in Sizilien. Mit 18 Jahren wurde ihm die Freiheit gegeben.

"Er fand im Minoritenkloster Santa Maria di Gesu in Palermo Arbeit in der Küche. Und obwohl Benedetto Analphabet war, wurde er schon bald und gegen seinen ausdrücklichen Willen zum Abt gewählt. Er reformierte das Kloster sehr gescheit, behielt aber sein ganzes Leben lang seinen Dienst in der Küche bei. Benedetto ist heute Schutzpatron von Palermo“, sagte Lienhard in der Online-Vernissage.

Heilige Benedetto als Angestellter bei der Städtischen Müllabfuhr in der Ausstellung von Quo vadis? „Wer die Arbeit macht“
Daniel Lienhard
Der heilige Benedetto als Angestellter bei der Städtischen Müllabfuhr

Moderne Sklaverei und „Drecksarbeit“

Angeregt von dieser Geschichte wollte Lienhard die Figur des Benedettos in die heutige Zeit übersetzen und gewissermaßen mit seiner Hilfe „moderne Sklaverei“ thematisieren. „Benedettos Legende zeigt ja ganz deutlich, dass sich seit dem 16. Jahrhundert diesbezüglich nicht sehr viel verändert hat“. Ein Migrant als „Ernte-Sklave“ in Süditalien, „dafür müssten wir eigentlich nicht fünf Jahrhunderte zurück, das haben wir heute vor der globalen Haustür“, so Lienhard.

In der Porträtreihe machte er Benedetto zum Angestellten der Städtischen Müllabfuhr, der sich als Migrant in Italien nicht willkommen und feindselig behandelt fühlt. Lienhard: „Aus denen, die für uns die Drecksarbeit erledigen, Heilige zu machen – das fand ich ein interessantes Projekt“.