Buch „Jude ist kein Schimpfwort“ von Alexia Weiss
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Österreichs Juden und die Israel-Frage

In ihrem neuen Buch „Jude ist kein Schimpfwort“ zeigt die Journalistin Alexia Weiss Jüdisch-Sein in Österreich mit all seinen Ambivalenzen. Dazu gehören jüdische Speisevorschriften und queere Clubbings genauso wie Antisemitismus und die wieder aktuelle Israel-Frage.

Ein Gemeinderabbiner, eine Historikerin, eine Fremdenführerin, eine Journalistin und Partyorganisatorin und ein Immobilienmakler. Das sind nur einige der Menschen, die Weiss in ihrem Buch interviewt und damit Einblicke in eine vielfältige jüdische Gemeinde gibt. Vielfältig ist das Wort das die jüdische Gemeinde in Österreich wahrscheinlich am besten beschreibt.

Während sich die einen an den Sabbat, den jüdischen Ruhetag halten, an dem keinerlei Arbeit verrichtet wird und das Bedienen elektronischer Geräte untersagt ist, leben andere eher ein säkulares Judentum. Die einen sind in der liberalen jüdischen Reformgemeinde engagiert, wieder andere begreifen ihr Jüdisch-Sein nicht so sehr religiös, sondern kulturell.

Journalistin und Buchautorin Alexia Weiss
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Journalistin und Buchautorin Alexia Weiss

Antisemitismus als Gemeinsamkeit

Während sich die Lebensrealitäten der Interviewten selbstverständlich unterscheiden, gibt es einen roten Faden, der sich durch das Buch zieht: individuelle, aber ähnliche Erfahrungen mit Antisemitismus. Und auch das ständige Rechtfertigen für die Politik Israels ist eine Gemeinsamkeit.

Sie sind Österreicherinnen und Österreicher oder einige auch Zugewanderte, die ihren Lebensmittelpunkt jedenfalls in Österreich haben. Doch Jüdinnen und Juden hierzulande werden immer wieder auf die Politik in Israel angesprochen und so in Debatten über den Gaza-Konflikt verwickelt, wie Weiss im Buch auch aus persönlicher Erfahrung berichtet.

„Israel-Dilemma“

Darin beschreibt sie ein „Israel-Dilemma“, mit dem sie sich regelmäßig konfrontiert sieht und das derzeit angesichts der aktuellen Kämpfe zwischen dem israelischen Militär und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas wahrscheinlich mehrere Jüdinnen und Juden betrifft.

Wenn man das Bedürfnis verspüre, auf seinen Social-Media-Kanälen „Nachrichten aus Israel, die es nicht in heimische Medien schaffen, zu verbreiten, um Bewusstseinsarbeit zu leisten und dabei auch durchaus positive Akzente zu setzen“, schreibt Weiss, dann könne es auf der anderen Seite nicht überraschen, wenn man von Nichtjüdinnen und Nichtjuden „den Spiegel vorgehalten bekommt“. Etwa, wenn diese „einem dann jene Nachrichten aus Jerusalem, Hebron, der Westbank unter die Nase reiben, mit denen man sich eben nicht identifiziert“.

„Nicht wahlberechtigt“ in Israel

Doch klar ist: Sie wolle nicht, dass man ihr Handlungen des israelischen Militärs vorhalte, oder etwa, dass alle Israelis Palästinenserinnen und Palästinenser unterdrücken würden. Sie sei österreichische Staatsbürgerin und österreichische Jüdin und schließlich nicht einmal „wahlberechtigt in Israel“, schreibt Weiss.

Buchcover „Jude ist kein Schimpfwort“ von Alexia Weiss
Kremayr & Scheriau
Alexia Weiss: Jude ist kein Schimpfwort. Zwischen Umarmung und Ablehnung. Jüdisches Leben in Österreich. Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 22,00.

Die Frage nach der Position zum Nahost-Konflikt ist aber vielen Jüdinnen und Juden vertraut, wie die Interviews zeigen. „Immer wieder kommen diese Fragen“, sagte die Journalistin und Verhaltenstherapeutin in Ausbildung, Ursula Raberger. Sie versuche eine solche „politische Diskussion zu vermeiden“, vor allem auf Partys. Raberger organisiert den sogenannten Kibbutz Klub, eine queere Veranstaltung, also ein Event, das sich nicht nur, aber besonders an homosexuelle Menschen richtet.

„Gut, in Wien zu leben“

„Jude ist kein Schimpfwort“ sei kein Antisemitismus-Buch, sagte Weiss im Gespräch mit religion.ORF.at. „Es gibt inzwischen viele Bücher über Antisemitismus, die es auch braucht. Mir ist es aber darum gegangen, ein differenziertes Bild zu zeichnen, darüber wie jüdisches Leben in Österreich ausschaut“.

Weiss: „Ich wollte zeigen, dass es in Wien sehr gut ist als Jude und Jüdin zu leben, dass es eine tolle Infrastruktur gibt. Ich wollte zeigen, dass es natürlich die antisemitischen Anfeindungen gibt, dass es auf der anderen Seite aber auch sehr viel Empathie gibt.“

„Total ok“, Jude zu sagen

Was es aber noch nicht gebe, sei Normalität im Umgang mit Jüdinnen und Juden, sagte Weiss. „Das ist eigentlich die Kernaussage des Buches“. Das Judentum werde „immer noch nicht als etwas Selbstverständliches gesehen“. Das mache sich darin bemerkbar, dass es immer noch Scheu gebe, „in ein koscheres Restaurant zu gehen, dass es viele Fragen gibt, die man sich nicht zu stellen traut, dass man sich aber auch durch eine Übervorsicht nicht traut Dinge auszusprechen, die eh total ok sind, wie zum Beispiel das Wort Jude zu verwenden.“

Besonders Politikerinnen und Politiker würden dann von dem Begriff „jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ Gebrauch machen, was problematisch sei. Es sei schließlich auch nicht von „christlichen Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ die Rede, sondern einfach von Bürgerinnen und Bürgern.

Informativ, spannend, bedrückend

In dem Buch wechselt Weiss informative und spannende Textblöcke über Geschichte und Gegenwart der jüdischen Gemeinde mit den durchaus sehr persönlichen Interviews ab. So erfährt man etwa, dass 1934 noch etwa 178.000 Jüdinnen und Juden in Wien lebten, Schätzungen zufolge leben mittlerweile nur noch 10.000 bis 15.000 Jüdinnen und Juden in ganz Österreich.

Weiss erzählt auch, wie das österreichische Buchstabieralphabet, auf dessen Basis heute noch buchstabiert wird, von den Nazis verändert wurde: Aus S wie Samuel wurde Siegfried, aus N wie Nathan wurde Nordpol, aus D wie David wurde Dora.

Mann mit Kippa auf der Straße in der Menschenmenge
ORF.at/Dominique Hammer
In Österreich leben, Schätzungen zufolge, 10.000 bis 15.000 Jüdinnen und Juden

Im Buch erfährt man, wie die jüdische Gemeinde in der Monarchie zur Einheitsgemeinde wurde, warum die Rede von jüdischen Weihnachten absurd ist, weshalb der Begriff des „christlich-jüdischen Abendlandes“ der Geschichte nicht gerecht wird und wo man hier und heute koschere Gaumenfreuden herbekommt.

Bedrückend wird es allerdings, wenn es um Antisemitismus geht und seinen Einfluss auf Kinder. Wenn etwa der Immobilienmakler Chanan Babacsayv von seinem Sohn erzählt: „Der jüngere trägt Kippa, auch in der Schule und auf der Straße. Ich flehe ihn immer an, geh, trag ein Kapperl. Er ist derzeit 13 und ist sich seines Judentums sehr bewusst und er versteht nicht, warum man das verstecken muss. Da muss ich noch ein bisschen arbeiten daran.“