Nordirland

Bischöfe kritisieren Johnsons „Amnestie“-Plan

Der von der Regierung von Boris Johnson in der vergangenen Woche dem britischen Parlament vorgelegte Plan, alle Strafverfolgungen im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt vor 1998 einzustellen, hat Kritik von Religionsführern ausgelöst.

Die anglikanischen und katholischen Erzbischöfe von Armagh sehen in dem Wunsch des britischen Premiers, einen Strich unter die Gewalt vor 1998 zu ziehen, einen „Verrat“ an den Opfern und ein „politisches Versagen“. Eine solche „Generalamnestie“ sei eine „moralisch leere Reaktion“, die bei den Opfern nur noch „mehr Trauer, Frustration und Wut“ erzeugen werde, so der anglikanische Erzbischof und Primas von ganz Irland, John McDowell.

Den Schmerz der Opfer derart zu ignorieren, sei „das wohl größte politische und gesellschaftliche Versagen seit Abschluss des Karfreitagsabkommens“, das 1998 nach 30 Jahren Bürgerkrieg unterzeichnet wurde, so McDowell. Der Erzbischof weiter: „Nach einem düsteren, sich wiederholenden Muster sind die britischen politischen Interessen wieder mal das Kriterium für die Regelung der Politik in Nordirland.“ Das spreche von „einer tiefen Unkenntnis des menschlichen Leidens und der besonderen Bedingungen“ in Nordirland.

Opfer fühlen sich „vernachlässigt“

Der katholische Erzbischof von Armagh, Eamon Martin, sprach von „Verrat“ und einer Verweigerung von Gerechtigkeit. Es sei beunruhigend, dass die Opfer und Überlebenden, die den höchsten Preis für den zerbrechlichen Frieden bezahlt haben, „sich wieder ausgegrenzt und vernachlässigt fühlen“. Besonders enttäuscht sei er über die „naiven“ Kommentare von Boris Johnson, der glaube, damit „die Unruhen beenden“ zu können, so der Vorsitzende der Irischen Bischofskonferenz.

„Mit dem Erbe unserer gemeinsamen Vergangenheit umzugehen, ist keine leichte Aufgabe“, betonte Irlands katholischer Primas. „Es ist ein komplexes Geschäft, das uns allen gehört“; es gebe keine schnelle Lösung. „Es kann keine ‚Linie‘ gezogen werden, um den andauernden, tiefen Schmerz nach Jahren von Gewalt, Tod und Verletzung zu lindern“, so Martin.

Tränengasbomben der irischen Polizei gegen katholische Demonstranten 1969
APA/AFP
Religionsführer kritisieren das Vorhaben Boris Johnsons als „Verrat“. Im Bild eine Szene aus 1969.

Die geltende Vereinbarung von 2014, die eine Reihe von Maßnahmen zur Untersuchung von Morden und Verbrechen aus dem Nordirland-Konflikt umfasst, „zielte darauf ab, mit unserem Erbe kooperativ und ehrlich umzugehen“. Eine „Rücknahme“ dieses gemeinsamen Engagements wäre „zutiefst entmutigend“.

Empörung bei Hinterbliebenen

Empört hatten Hinterbliebene von Opfern des Bürgerkriegs sowie politische Parteien in Nordirland auf die Amnestie-Regelung der britischen Regierung für mutmaßliche Täter reagiert. Die Regierung will mit dem historischen Schritt die strafrechtliche Verfolgung früherer Soldaten für mögliche Verbrechen während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in der britischen Provinz beenden. Allerdings käme die Regelung auch Paramilitärs wie Ex-Mitgliedern der Terrororganisation IRA zugute, wie britische Medien berichteten.

Die fünf wichtigsten Parteien in Nordirland – sowohl Anhänger der Union mit Großbritannien als auch Unterstützer einer Wiedervereinigung mit dem EU-Mitglied Republik Irland – sowie die irische Regierung und Opferorganisationen sind alle gegen den Schritt. „Opfer und Überlebende sollten nicht derart behandelt werden“, teilte die Organisation Wave mit, die mit Hinterbliebenen arbeitet. Wenn es der britischen Regierung ernst sei mit der Aufarbeitung, müsse sie mit den Betroffenen sprechen.

Rund 30 Jahre Bürgerkrieg

Den Medienberichten zufolge würden etwa die Bombenanschläge in zwei Pubs im englischen Birmingham 1974 mit 21 Toten und zahlreichen Verletzten, die der IRA zugeschrieben werden, sowie das sogenannte Ballymurphy-Massaker 1971, als britische Fallschirmjäger zehn unbewaffnete Zivilisten erschossen, nicht mehr untersucht. Zuletzt waren bereits zwei Anklagen gegen britische Sicherheitskräfte aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht weitergeführt worden.

Beim Bürgerkrieg in Nordirland standen sich militante, meist katholische Republikaner und britische Sicherheitskräfte, aber teils auch unionistische, vorwiegend protestantische Paramilitärs gegenüber. Zwischen dem Beginn der 1970er Jahre und dem Abschluss des Karfreitagsabkommens 1998 kamen dabei insgesamt etwa 3.500 Menschen ums Leben, Zehntausende wurden verletzt.