Filmstill „Camino Skies“
Luna Filmverleih
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Film

Schritt für Schritt bis nach Santiago

Die Hauptroute des Jakobswegs ist 800 Kilometer lang, und jährlich ist etwa eine Viertelmillion Pilgerinnen und Pilger dort unterwegs: ausgehend von Frankreich über die Pyrenäen bis (fast) ans Meer. Denn nahe der Atlantikküste im Nordwesten Spaniens liegt eines der bekanntesten Pilgerziele Europas: Santiago de Compostela.

Am Freitag läuft der Film „Camino Skies“ in den Kinos an: Sechs Personen aus Neuseeland und Australien nehmen gemeinsam die Strecke in Angriff – eine Handvoll Individuen mit ein und demselben Ziel. In Santiago de Compostela soll der Überlieferung zufolge der Apostel Jakobus der Ältere begraben sein. Im Mittelalter entwickelte sich der Ort zum drittwichtigsten christlichen Pilgerziel (nach Jerusalem und Rom).

In den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt diese Tradition wieder eine Renaissance. Wobei es nicht unbedingt immer praktizierende Gläubige sind, die sich auf den Weg machen. Vielfach sind es Zweifelnde und Suchende, die das Wesentlichste zusammenpacken (mehr zu tragen wäre eine körperliche Überforderung) und ihren ganz persönlichen Jakobsweg in Angriff nehmen.

Sechs Personen unterwegs

So weit die Fakten. Aufgrund seiner Beliebtheit, seiner landschaftlichen Schönheit und seines kulturhistorischen Reichtums wurden in jüngerer Vergangenheit immer wieder auch Filme rund um das Thema Jakobsweg gedreht. Der neueste ist „Camino Skies“. Das Publikum wird mit- und immer mehr hineingenommen in das Geschehen, das die Filmemacher Fergus Grady und Noel Smyth dokumentiert haben.

Filmstill „Camino Skies“
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Der Jakobsweg bleibt ein Abenteuer

Fröhliches Lachen in unbeschwerter Gemeinschaft und schier unerträgliche Schmerzen vom vielen Gehen, von Regen und Kälte – aber auch Begegnungen voll menschlicher Wärme, alte Kirchen und liebliche Landschaften ebenso wie öde Wegstrecken neben viel befahrenen Autorouten. Der Jakobsweg ist vielfältig. Auch erfahrene Pilgerinnen und Pilger können nicht vorhersehen, was am kommenden Tag geschehen wird. Er ist und bleibt ein Abenteuer, auf das man sich einlässt.

Schritt für Schritt trotz Schmerzen

Das Leben ist wie der Camino – so formuliert es ein Mitglied der Gruppe, die die Dokumentation „Camino Skies“ über Hunderte von Kilometern mit viel Einfühlungsvermögen begleitet. Da ist die alte Dame, die trotz schmerzhafter Gelenksleiden und einer stark verkrümmten Wirbelsäule jeden Morgen den Willen aufbringt, sich aufzuraffen und weiterzugehen. Am Nachmittag weine sie manchmal heimlich, weil es so wehtue, gesteht sie – und dann sieht man sie wieder weitergehen, Schritt für Schritt, wobei sie sich selber unermüdlich Mut zuspricht: Du schaffst es. Es klingt wie ein Mantra.

Da ist die Mittfünfzigerin, die ihren Mann durch Krebs und ihren Sohn durch einen Unfall verloren hat. Auf dem Weg nach Santiago will sie ihre Trauer aufarbeiten. Und vielleicht auch einen Teil davon zurücklassen.

Glücksgefühle und Verzagtheit

Behutsam zeigt der Film, was das Unterwegssein mit den Menschen macht: Gemeinschaft entsteht, man hilft sich gegenseitig. Glücksgefühle nach einer erfolgreich absolvierten Tagesetappe werden abgelöst von Momenten der Verzagtheit, wenn man meint, nicht mehr weiter zu können. Körper und Geist sind auf das Extremste gefordert.

In den langen Gesprächen während des Gehens werden wichtige Passagen des eigenen Lebens mit bisher Fremden besprochen, Fragen gestellt, neue Einsichten gewonnen – und Weichen in Richtung loslassen gestellt. Denn das verbindet die Protagonistinnen und Protagonisten dieses Filmes: Sie alle haben Schmerzhaftes erlebt, liebe Menschen verloren. Sie alle wollen auf dem Camino Belastendes zurücklassen und neue Perspektiven finden.

Unterwegssein, das Früchte trägt

Wie diese sich in kleinen Dingen abzeichnen können, das wird vorsichtig angedeutet: scheinbar unscheinbare Entdeckungen in der Natur, der Stolz, den nach der Scheidung noch so lang getragenen Ring einfach am Weg ablegen zu können und ohne ihn weiter zu gehen – oder das wunderbare Lied einer unbekannten Sängerin und die herzliche Umarmung danach. Momentaufnahmen wie diese zeigen, dass sich etwas ändert, dass das Unterwegssein auf dem Camino Früchte trägt.

Diese Art der Darstellung unterschiedet „Camino Skies“ wohltuend von der doch beachtlichen Anzahl der Jakobsweg-Filme, die im Laufe der letzten Jahre in die Kinos gekommen sind. Hier wird bewusst auf spektakuläre Inszenierungen verzichtet, es gibt keine „Wunder“, keine unglaubwürdigen dramaturgischen Wendungen. Was allerdings immer wieder atemberaubend inszeniert wird, ist das Naturerlebnis.

Ohne Pathos und Kitsch

Es gelingt den Gestaltern ohne Pathos oder Kitsch, das Meer, die Sonne, zahllose Grünschattierungen und die Schönheit einzelner Pflanzen gekonnt ins Bild zu rücken. So entsteht eine eigene, sehr unaufdringliche spirituelle Bildsprache. Ergänzt wird sie durch Aufnahmen in alten Kirchen, die eine Atmosphäre von Ruhe und Zeitlosigkeit verströmen.

Als die Gruppe endlich in Santiago ankommt, haben alle Mitglieder einen sehr individuellen Prozess durchlaufen – und dem Kinopublikum sehr persönliche Einblicke in ihre Lebensgeschichten gegeben. Der Weg hat sie verändert, und alle sind stolz, nach der unsäglichen Mühe tatsächlich angekommen zu sein – mehr bei sich selbst vielleicht als an dem lang ersehnten Endpunkt ihrer Reise. Denn eine Botschaft kann man der Dokumentation durchaus entnehmen: Der Weg ist das Ziel.