DIe Plattensiedlung Luni IX in Kosice
APA/AP/Peter Lazar
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Reise

Papst besucht Roma in Slowakei

Am dritten Tag seiner Slowakei-Reise besucht Papst Franziskus am Dienstagnachmittag eine Roma-Wohnsiedlung in der zweitgrößten Stadt Kosice (Kaschau). In der für ihre schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse bekannten Plattenbausiedlung Lunik IX leben etwa 6.000 Menschen.

Es dürfte am Ende eine der wichtigsten Stationen der Reise des 84-Jährigen sein. Der Termin ist typisch für Franziskus’ Agenda – ein Treffen mit Menschen, die am gesellschaftlichen Rand leben. Dass das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche ausgerechnet das Roma-Viertel besucht, erschreckt aber auch viele Politiker des Landes.

Es sei auch ein Signal an die slowakische Amtskirche, meint der frühere Parlamentspräsident und eine Symbolfigur der katholischen Slowakei, Frantisek Miklosko. Der Erzbischof von Bratislava würde sich nach seiner Einschätzung kaum freiwillig dort hinbegeben.

Hoffnung in Papst-Besuch

In der slowakischen Mehrheitsbevölkerung ist das nach einer Mondrakete benannte Viertel Lunik IX bekannt für desolate Wohnverhältnisse, Schmutz und soziale Not sowie die Abhängigkeit der meisten Bewohner von staatlichen Sozialleistungen. Die Häuser sind heruntergekommen, viele Familien leben auf engstem Raum. Das Ghetto gilt als Inbegriff verfehlter Sozialpolitik. Dass sich Franziskus diesen Teil Kosices ansehen will, erstaunte viele.

Ein Graffiti in Slowakisch „Willkommen Papst“ an einer Mauer in der Plattenbausiedlung Lunik IX in Kosice
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„Papst, willkommen“ auf einer Wand in Lunik IX

Die Menschen dort hätten nicht immer Zugang zu fließendem Wasser, und Strom komme auch schon mal aus dem Generator, sagt der Sprecher des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, Thomas Schumann. Anlässlich des Papstbesuches sei dort ein Graffiti gemalt worden, das ihn willkommen heiße – mit einem Schreibfehler. Aus Schumanns Sicht gebe es Hoffnung, dass der Papst mit seiner Reise auch Anstöße für bessere Bildungschancen gebe.

Die Siedlung war einst ein Arbeiterviertel und für etwa 2.000 Menschen konzipiert, später wurden Roma angesiedelt. Die katholische Kirche ist dort über die Ordensleute der Salesianer Don Boscos tätig.

Streit über „Schandfleck“ im Programm

Dass der Papst ausgerechnet Lunik IX besuchen will, erschreckt aber auch viele Politiker des Landes. Sie stritten öffentlich darüber, wer daran „schuld“ sei, dass dieser „Schandfleck“ überhaupt ins Reiseprogramm aufgenommen wurde.

Vor der Fahrt nach Lunik IX will Franziskus in Presov (Eperies) einen Gottesdienst mitfeiern. Dieser soll nach dem Byzantinischen Ritus abgehalten werden, an den sich viele katholische Ostkirchen halten. Franziskus feiert seine Messen sonst im Römischen Ritus. Am Abend steht noch eine Begegnung mit Jugendlichen im Fußballstadion des FC VSS Kosice an. Junge Menschen schließt der 84 Jahre alte Argentinier regelmäßig in seine Gebete mit ein.

„Scham“ über Ermordung slowakischer Juden

Am Montag hatte der Papst „Scham“ über die Ermordung von mehr als 100.000 jüdischen Slowaken im Zweiten Weltkrieg bekundet. Gottes Name sei immer wieder missbraucht worden, sagte er in Bratislava und verurteilte den „Wahnsinn des Hasses“ im Zweiten Weltkrieg sowie den anhaltenden Antisemitismus. Mit ernster Mine hörte das Oberhaupt der Katholiken den Schilderungen eines 1942 geborenen Holocaust-Überlebenden zu, der keine Erinnerung an seine ermordeten Eltern hat.

Die Begegnung fand in einem ehemaligen jüdischen Viertel der slowakischen Hauptstadt statt, wo einst eine große Synagoge stand, die 1969 von der damaligen kommunistischen Regierung zerstört wurde, um Platz für eine Brücke zu schaffen. „Hier, an dieser Stelle, wurde Gottes Name entehrt“, sagte der Papst.

Papst Franziskus entzündet eine Kerze mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinde in Bratislava
APA/AFP/Vatican Media
Papst Franziskus zündete am Rybne-Platz bei einem Holocaust-Mahnmal eine Kerze an

Späte offizielle Entschuldigung

Auf dem Rybne-Platz wurde 1996 ein Mahnmal zu Ehren der 105.000 slowakischen Holocaust-Opfer errichtet. Die slowakische Regierung entschuldigte sich erst drei Tage vor dem Papst-Besuch offiziell für die Verbrechen unter Präsident Jozef Tiso, einem katholischen Priester, der im Zweiten Weltkrieg gegen Juden gerichtete Gesetze und die Deportation zehntausender Juden in die Konzentrationslager der Nazis genehmigte.

Nach dem Krieg wanderten die meisten Holocaust-Überlebenden aus, wer blieb, verschwieg seine jüdische Identität. Auch während des Kommunismus wurden Juden in der Slowakei verfolgt und wegen angeblicher Verbrechen inhaftiert. Die jüdische Gemeinde zählt heute nur rund 2000 Mitglieder. Vorurteile gegen Juden sind in dem mehrheitlich katholischen Land immer noch weit verbreitet.