Gedenktag

Tod des heiligen Martin: Sommer im November

Normalerweise wird zur Verehrung eines Heiligen sein Todestag ausgewählt. Bei Sankt Martin liegt die Sache anders, und es sollen weiße Blüten gesprossen sein, als sein Leichnam über die Loire transportiert wurde – mitten im November.

Martin starb am 8. November 397, müde und 81-jährig, während eines Pfarrbesuchs im kleinen Örtchen Candes am Loire-Ufer. Sein Fest- und Namenstag ist jedoch der 11. November.

Zwei der mächtigsten Bischöfe seiner Zeit, Severin von Köln und Ambrosius von Mailand, sollen an Martins Tod gleichsam direkten Anteil genommen haben: Der eine hörte buchstäblich die Engel im Himmel singen; der andere schlief mitten in der Messe ein und ärgerte sich, von den Gläubigen geweckt, dass er so nicht weiter an Martins Beisetzung habe teilnehmen können. Beide merkten sich aber Tag und Stunde und erfuhren später von der Echtheit ihrer Visionen: Der heilige Martin war tot.

Im Örtchen Candes – heute Candes-Saint-Martin – hatten unterdessen die Bürger von Tours auf die Herausgabe ihres Bischofs gedrängt. Doch auch dort wollte man den heiligen Mann besitzen. Am Ende entführten die Tourains ihn bei Nacht und treidelten ihn vorsichtig den Fluss hinunter. Und überall am Ufer sprossen plötzlich weiße Blüten: der „Sommer des heiligen Martin“ mitten im November.

Der Ort Candes-Saint-Martin an der Loire
APA/AFP/Alain Jocard
Die Bürger von Tours entführten den Leichnam des heiligen Martin aus dem Örtchen Candes (im Bild) und brachten ihn über die Loire zurück nach Tours

„Weg des Martinssommers“

Die Rückführung des Leichnams von Candes über Langeais bis nach Tours, gut 50 Kilometer, dauerte drei Tage. Dann erst fand in Tours die Beisetzung statt. Die Tage zwischen dem 8. und dem 11. November werden auch heute wieder in einigen Ortschaften am landschaftlich sehr reizvollen „Weg des Martinssommers“ von Chinon über Candes und Langeais auf 114 Kilometern bis nach Tours festlich begangen.

In La Chapelle-sur-Loire beispielsweise wird am 9. November symbolisch der halbe Mantel des heiligen Martin in Empfang genommen; es gibt ein gemeinsames Mahl, die „partage“, im Gemeindesaal. Und am Ufer der Loire feiert man den „Sommer des heiligen Martin“ – in Gestalt eines prächtigen Feuerwerks.

Das war lange Zeit nicht so. Das einst reiche Martinsbrauchtum in Frankreich geriet mit dem Niedergang des mittelalterlichen Pilgerwesens gänzlich in Vergessenheit – von einigen Ausnahmen abgesehen, etwa in Toulouse, in Angers, im Elsass und in Lothringen. Einen weiteren Grund für das Vergessen kann man in der Krypta der Martinsbasilika in Tours entdecken, ganz nahe beim Grab des Heiligen.

Bärendienst des Generals

Dort ließ der Oberkommandierende der Westalliierten, Marschall Ferdinand Foch, eine Danktafel für den Sieg im Ersten Weltkrieg anbringen. Sie trägt das Datum der Unterzeichnung des Waffenstillstands: den 11. November 1918 – Martinstag. Experten schließen nicht aus, dass der tief katholische Südfranzose Foch den Tag der deutschen Kapitulation ganz bewusst auf Martini legte – hatte er doch wenige Wochen zuvor noch in einer Martinskirche dafür gebetet.

Bewusst oder unbewusst – für das Bewusstsein um den Martinstag war es ein Bärendienst. Denn bis zum Tod der letzten Weltkriegsveteranen vor einigen Jahren war der 11. November in Frankreich fortan der „Tag des Waffenstillstands“.

„Es wäre schön, wenn eine Frucht der gewachsenen deutsch-französischen Freundschaft ein Rückimport des Martinsbrauchtums etwa aus dem Rheinland würde“, meint Antoine Selosse vom Europäischen Kulturzentrum Saint Martin de Tours. Es versucht seinen Teil dazu beizutragen: mit geführten Radtouren am Martinstag, mit Fackelbasteln und Umzug, gemeinsamem Kochen – und gemeinschaftlich geteiltem Essen.