Symbolfoto Missbrauch in der Kirche
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Missbrauch

Kirchenrichter werfen Benedikt XVI. Versäumnisse vor

Kirchenrichter haben laut einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ Versäumnisse des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. noch aus seiner Zeit als Erzbischof und später als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Missbrauchsfall festgestellt. Benedikt XVI. weist die Vorwürfe zurück.

Im Missbrauchsskandal der Kirche sind neue Details über das Handeln von Benedikt XVI. während seiner Zeit als Münchner Erzbischof (1977-1982) und des heute in der bayerischen Landeshauptstadt amtierenden Erzbischofs Kardinals Reinhard Marx ans Licht gekommen. Nach Recherchen der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ wird insbesondere Joseph Ratzinger durch das dem Blatt vorliegende Dekret eines Münchner Kirchengerichts unter Leitung des Kirchenrichters Lorenz Wolf aus dem Jahr 2016 belastet.

Im Zentrum der Vorwürfe steht der Umgang mit einem Priester aus der Diözese Essen, der nach sexuellen Vergehen an Minderjährigen 1980 in die Erzdiözese München geschickt wurde. Ratzinger, damals Münchner Erzbischof, habe von der Sachlage gewusst und der Aufnahme von Peter H., der in Bayern eine Therapie machen sollte, zugestimmt.

Bewusst auf Sanktionen „verzichtet“

Mehrere Bischöfe, so der Vorwurf, darunter auch Ratzinger, hätten „bewusst auf eine Sanktionierung der Straftat verzichtet“. Die Bischöfe und ihre Generalvikare in München und Essen seien der „Verantwortung gegenüber den ihrer Hirtensorge anvertrauten Kindern und Jugendlichen nicht gerecht geworden“, heißt es laut der Wochenzeitung in dem Dekret.

Damaliger Kardinal Joseph Ratzinger, später Benedikt XVI.
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Die Vorwürfe gegen Joseph Ratzinger beziehen sich auf seine Zeit als Erzbischof und später Präfekt der Glaubenskongregation

Gänswein: Vorwürfe „falsch“

Auf Nachfrage der „Zeit“ wies der Privatsekretär von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, diese Behauptungen im Namen des emeritierten Papstes zurück. „Die Behauptung, er hätte Kenntnis von der Vorgeschichte (Vorwürfe sexueller Übergriffe) zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. gehabt, ist falsch. Er hatte von dessen Vorgeschichte keine Kenntnis“, schrieb Gänswein Ende 2021 an die Wochenzeitung.

Joseph Ratzinger habe auch nicht bewusst auf die Sanktionierung von H. verzichtet. Die Nachfrage nach seinem Handeln als Chef der Glaubenskongregation habe Benedikt unbeantwortet gelassen.

Priester trotz Verurteilung eingesetzt

Der Fall sorgte bereits mehrfach für internationale Schlagzeilen, unter anderem als 2010 die „New York Times“ ausführlich berichtete. Peter H. wurde nämlich kurze Zeit nach seinem Wechsel in die Erzdiözese München erneut in der Seelsorge eingesetzt – und missbrauchte weiter. Insgesamt 29 Betroffene sind in München und Essen mittlerweile aktenkundig.

Selbst als H. 1986 vom Amtsgericht Ebersberg zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, hielt das die Verantwortlichen nicht davon ab, ihn wieder in einer Pfarrgemeinde einzusetzen. Diese Periode fällt in die Amtszeit (1982 bis 2008) von Kardinal Friedrich Wetter als Erzbischof von München.

2010 übernahm der 1980 als Generalvikar der Erzdiözese München amtierende Gerhard Gruber die alleinige Verantwortung dafür, dass H. schon unter Erzbischof Ratzinger wieder als Seelsorger arbeiten durfte. Er entlastete damit den seit 2005 amtierenden Papst Benedikt.

Auch Vorwürfe gegen Marx

Die beiden Kirchenrechtsprofessoren Norbert Lüdecke (Bonn) und Bernhard Anuth (Tübingen) werfen in einem Interview in der aktuellen „Zeit“ auch dem seit Februar 2008 als Münchner Erzbischof amtierenden Kardinal Marx Pflichtverletzungen im Umgang mit dem Missbrauchstäter H. vor. Marx habe 2008 zwar eine psychiatrische Begutachtung des inzwischen vorbestraften Pfarrers beauftragt und ihn versetzt, aber keine interne Voruntersuchung angeordnet und den Fall auch nicht an den Vatikan gemeldet.

2010 wurde Peter E. aus der Seelsorge abgezogen. Heute lebt er unter Auflagen in der Diözese Essen. Diese würden auch kontinuierlich kontrolliert, heißt es dort. Außerdem laufe ein kirchenrechtliches Verfahren gegen den Geistlichen, das kurz vor dem Abschluss stehe, so die dortige Pressestelle.

Gutachten kommt im Jänner

In der Woche vom 17. bis 21. Jänner wird die Veröffentlichung eines Gutachtens der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Erzdiözese München und Freising erwartet. Es wurde von der Diözesanleitung in Auftrag gegeben und umfasst auch die Amtszeit von Kardinal Marx.

Die Anwälte sollen dabei auch Verantwortliche für eine mögliche Vertuschung benennen. Eine erste Untersuchung, die im Dezember 2010 abgeschlossen, aber nach Angaben der Erzdiözese aus Datenschutzgründen nur teilweise veröffentlicht wurde, deckte den Zeitraum von 1945 bis 2009 ab.