Judentum/Christentum

Rabbiner: Tag des Judentums ist „Geschenk“

Als „wunderbare Einrichtung und ein Geschenk der Kirchen an die jüdische Gemeinschaft“ hat der Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Schlomo Hofmeister, den „Tag des Judentums“ am Montag bezeichnet.

Der Tag, den die christlichen Kirchen in Österreich seit dem Jahr 2000 gemeinsam begehen, ermögliche es, sich besonders mit dem Judentum auseinanderzusetzen, so Hofmeister im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ (Ausgabe 13. Jänner). Hofmeister, der seit 2008 Gemeinderabbiner in Wien ist, erinnerte ebenfalls an die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs und warum es wichtig sei, dass auch die „Basis“ der Kirchen sich stärker mit dem Judentum auseinandersetze.

Der Tag des Judentums trage zur christlich-jüdischen Verständigung bei, aber „es wäre wichtig und schön, wenn der Tag des Judentums nicht nur weitergeführt wird, sondern auch in den Gemeinden, in den Pfarren, mit den Gläubigen einen Anlass bietet, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“. So könne die Idee auch die „einfachen Gläubigen“ erreichen, „damit gerade auch sie dieses Verständnis für das Judentum entwickeln“, unterstrich Hofmeister.

Schlomo Hofmeister, Wiener Gemeinderabbiner
APA/AFP/Joe Klamar
Der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister bezeichnet den christlichen Tag des Judentums am 17. Jänner als „wunderbare Einrichtung und ein Geschenk“

Bezüglich des Antisemitismus, der in vielen Teilen Europas zunimmt, wandte Hofmeister ein, dass dieser ein Problem sei, das keinesfalls aus dem 20. Jahrhundert stamme, sondern bis in die Antike zurückreiche. Der Hass von Nichtjuden auf das Judentum, auf Jüdinnen und Juden, gehe schon in die Römerzeit zurück und auch in die Zeit davor.

„Prinzipiell Respekt vor anderen“ fördern

„Diese historische Wurzel des Antisemitismus kann man nicht einfach nur ausreißen oder eliminieren, indem man sich hinstellt und sagt: Wir kämpfen gegen Antisemitismus“, so der Gemeinderabbiner. Der häufig auch in ganz Europa proklamierte Kampf gegen den Antisemitismus dürfe deshalb nicht bei dieser Formel enden, betonte Hofmeister.

Wichtiger wäre es, „prinzipiell Respekt vor dem Anderen“ zu fördern, „das Anerkennen des Fremden und das Wertschätzen fremder Kulturen, von Menschen, die eine andere Meinung vertreten, eine andere Position haben, Dinge anders tun, sodass die Angst vor dem Anderen nicht mehr existiert“. Das sei eine Herausforderung für die Politik und ganze Gesellschaft, es sei aber „das Einzige, was uns helfen kann, somit auch Antisemitismus zu bekämpfen“, zeigte sich Hofmeister überzeugt.

„Juden gehören zu Europa“

Dass Juden in manchen Teilen Europas lieber keine Kippa in der Öffentlichkeit tragen, sei für Hofmeister „sehr bedenklich“, insbesondere deswegen, „weil Juden einfach zu Europa gehören“. „Das Judentum ist die älteste Religion Europas. Es gab Juden in Europa, lange bevor es das Christentum in Europa gab. Wir sind die älteste Religion, die älteste Volksgruppe in Europa, die ihre Tradition bis heute beibehalten hat.“

Als solche sei man stolz auf die Achtung der jüdischen Traditionen, „und auch eine dezidiert jüdische Kopfbedeckung wie die Kippa soll niemandem peinlich sein müssen“, so der Rabbiner, denn „wer sich verstecken muss, der gehört scheinbar nicht dazu“.

Beschimpfungen mehrmals pro Woche

Nach Vorfällen in Frankreich, Großbritannien oder auch in skandinavischen Ländern, sei die schlimmste Reaktion gewesen, dass die Betroffenen „ja ihre Kippa getragen hätten“ und deswegen als Juden erkennbar waren. „Wenn wir als Juden in Europa nicht mehr erkenntlich sein dürfen, wenn das der Fehler ist, ist das dann nicht eine Täter-Opfer-Umkehr?“, so Hofmeister.

Auch in Wien sei er immer wieder Situationen ausgesetzt, „wo ich mir denke, ja, es ist bedenklich. Nicht, dass ich unbedingt physische Angst hätte, ich fühle mich nicht körperlich bedroht, aber doch verbal“. Das mache natürlich Sorgen. „Beschimpft zu werden als ‚Sau-Jude‘ oder Kommentare hinterhergerufen zu bekommen wie: ‚Ist das Gas ausgegangen?‘ Das sind so Floskeln und Phrasen, die sehr oft kommen“, so Hofmeister.

„Woher kommen diese Worte? Welchen Gedankenwelten entspringen diese Worte?“, frage er sich dann. „Wenn mir gegenüber jemand so etwas zum Ausdruck bringt und das passiert mehrmals die Woche, dann wird das sicherlich nur die Spitze des Eisbergs sein“, so Hofmeister.

Unterschiedliche Auffassungen von Religionsfreiheit

Europaweit gerate auch die Religionsfreiheit immer stärker unter Druck. „Da gibt es in manchen Ländern Debatten über die Beschneidung von Buben oder die Diskussionen um das Schächten“, so der Rabbiner. Wenn in den Grundrechten und in der Europäischen Menschenrechtskonvention von Religionsfreiheit die Rede ist, die natürlich jeder sofort unterschreibt, verstünden viele aus der christlichen Perspektive heraus die Freiheit zu glauben. „Das Judentum lebt aber von der religiösen Praxis, und Religionsfreiheit wird nicht von allen in der Politik als Freiheit der religiösen Praxis verstanden.“

„Wir haben religiöse Praktiken von morgens bis abends, der dreimal tägliche Gang in die Synagoge, die Speisevorschriften, viele Vorschriften um das Familienleben herum.“ Diese Vorschriften auch leben zu können, bedeute Religionsfreiheit für das Judentum. „Und das wird in der säkularen Mehrheitsgesellschaft mit christlichem Hintergrund oft nicht verstanden und nicht respektiert.“

In Österreich Religionen „miteinander“

Interreligiöser Dialog sei „sehr wichtig, um Vorurteile abzubauen, Missverständnisse zu klären“, so Hofmeister. „Wir haben hier in Österreich durch die anerkannten Religionsgesellschaften und Kirchen eine Gruppe, die eine gesellschaftliche Anerkennung auch von Seiten der Politik genießt, dass wir als Religionen in den Bereichen, wo wir uns einig sind, zusammenhalten, zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen“, so Hofmeister.

Die Unterstützung der römisch-katholischen Kirche, insbesondere in der Beschneidungsdebatte 2012, sei „essenziell“ gewesen. Dadurch sei die Debatte hierzulande eben nicht auf die gleiche Art und Weise geführt worden, wie in Frankreich oder in Deutschland. „Wir sind glücklich, dass wir in Österreich dieses Miteinander der Religionsgesellschaften und Kirchen haben.“

Gemeinsamkeiten stärken, Unterschiede respektieren

In Zukunft sei wichtig, dass der Interreligiöse Dialog „in aller Konsequenz“ umgesetzt werde, denn im Verständnis der Kirchenbesucher und der Mehrheitsgesellschaft, die sich ja der katholischen Kirche in Österreich zugehörig fühlt, sei es noch ein „weiter Schritt“. Es gehe beim interreligiösen Dialog nicht um „Gleichmacherei“, vielmehr darum, „die Gemeinsamkeiten an den richtigen Stellen bewusst zu machen, aber auch die Unterschiede zu zeigen und zu respektieren“, so der Wiener Rabbiner abschließend.