Papst Benedikt XVI. im Juni 2021
APA/dpa/Sven Hoppe
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Benedikt XVI.

Experten sehen mehr als persönliches Versagen

Auch nach dem Eingeständnis seiner Falschaussage reißt die Kritik an dem emeritierten Papst Benedikt XVI. nicht ab. Zugleich weisen Experten und Expertinnen darauf hin, dass nicht nur der emeritierte Papst Schuld trage. Das Problem sei wesentlich größer.

Es war und ist die Lebensaufgabe Josef Ratzingers „die Kirche und ihre Werte zu bewahren“. Er wollte, so sein Bischofsmotto, „Mitarbeiter der Wahrheit“ sein und sie gegen den Relativismus verteidigen. Wie gerade ein Wahrheitssuchender das Ausmaß der Missbrauchsskandale in seiner Kirche übersehen konnte, sorgt dieser Tage für Unverständnis.

Dem Münchner Missbrauchsgutachten zufolge soll Ratzinger als Erzbischof von München und Freising Täter geschützt und sexuelle Gewalttaten ignoriert haben. Zugleich war er der erste Papst, der Opfer sexuellen Missbrauchs persönlich traf und Hunderte des Missbrauchs verdächtigte Priester entließ. Kritiker und Kritikerinnen, wie etwa der Theologe Hermann Häring weisen darauf hin, dass deutlich sei, dass mehr als ein rein persönliches Versagen für die lange Vertuschung der Missbrauchsskandale verantwortlich sei.

Sendungshinweis

„kreuz und quer“ geht mit dem Film „Verteidiger des Glaubens“ auf die Suche nach Hintergründen der größten Krise der katholischen Kirche, Dienstag, 22.25 Uhr in ORF2.

Toxische Machtstrukturen

In einer Fernsehdokumentation widmet sich der Filmemacher Christoph Röhl dem Werdegang Ratzingers und entwirft dabei ein komplexes Bild der Machtstrukturen der römisch-katholischen Kirche. Während seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation soll Ratzinger im Auftrag Papst Johannes Paul II. progressive Bischöfe ihres Amtes enthoben und durch solche ersetzt haben, die dem Vatikan treu ergeben waren.

Wie die Fernsehdokumentation zeigt, stehe im Hintergrund ein problematisches System. So sei etwa die Glaubenskongregation jene Instanz, die Suspendierungen von Priestern ausspricht, gleichzeitig aber auch jene Instanz, bei der Berufung eingelegt werde müsste, wollte man einem solchen Urteil widersprechen. Es ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die das strukturelle Problem der römisch-katholischen Kirche verdeutlicht.

Verrat am Priestertum?

Zur Diskussion steht aber auch ein lange gepflegtes Priesterverständnis. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. betonte die Berufung der Priester zur Heiligkeit. Die Missbräuche durch Priester wären damit aber nicht nur eine Verletzung der Opfer, sondern auch dieser Heiligkeit selbst. Eine Einschätzung, die gravierende Folgen für die Aufdeckung der Skandale haben sollte. Der Vorwurf an Ratzinger lautet, er habe stärker versucht, die Kirche zu schützen als die Opfer.

Wegbegleiter Ratzingers zeichnen ein Bild eines Mannes, der die Auseinandersetzung mit abstrakten theologischen Fragen genoss und der versuchte, die Probleme und Aufgaben der römisch-katholischen Kirche beim Übergang in die Moderne zu beantworten – häufig weniger praxisnah als durch wissenschaftliche Publikationen. Die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale fordere einen viel stärker praktischen Ansatz, der auch rechtliche Folgen beinhalten müsse, sagt Häring. Notwendig sei aber auch die theologische Reflexion über Autorität, Macht und das Priesteramt.