Akraden am Petersplatz
Reuters/Alessandro Bianchi
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Missbrauchsgutachten

Vatikan verteidigt Rolle Benedikts XVI.

In der Debatte über Kindesmissbrauch unter dem Dach der katholischen Kirche mahnt der Vatikan, sich bei der Bewertung des neuen Gutachtens zu Hunderten größtenteils vertuschten Straftaten allein im Erzbistum München und Freising nicht nur auf den emeritierten Papst Benedikt zu fokussieren.

Vielmehr sei es nun wichtig, Lehren für die Zukunft zu ziehen, schrieb Vatican-News-Chefredakteur Andrea Tornielli am Mittwoch in einer Stellungnahme des Heiligen Stuhls. Die Bewertungen des Berichts „werden zur Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche beitragen können, wenn sie sich nicht auf die Suche nach bloßen Sündenböcken und auf Pauschalurteile beschränken“, erklärte er.

„Nur wenn sie diese Risiken vermeiden, können sie zu einer Suche nach Gerechtigkeit in der Wahrheit und zu einer kollektiven Gewissenserforschung über die Fehler der Vergangenheit beitragen.“

Mindestens 497 Opfer

Anwälte hatten vor wenigen Tagen eine Untersuchung zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising vorgestellt. Demnach wurden dort Fälle von sexuellem Missbrauch über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt. In dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Erzdiözese München und Freising im Zeitraum von 1945 bis 2019 werden auf 1.900 Seiten die Verfehlungen verschiedenster Würdenträger beleuchtet.

Darunter sind auch der amtierende Erzbischof Kardinal Reinhard Marx und der ehemalige Papst Benedikt XVI., der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München war. Schwere Vorwürfe richten sich auch gegen Kardinal Friedrich Wetter (Amtszeit von 1982 bis 2008) und die bereits verstorbenen früheren Münchner Erzbischöfe und Kardinäle Michael Faulhaber, Joseph Wendel sowie Julius Döpfner.

Kardinal wies fast alle Vorwürfe zurück

Der durch das Gutachten massiv belastete Kardinal Friedrich Wetter wies einen Großteil der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Von den 21 Fällen, in denen dem 93-jährigen ehemaligen Münchner Erzbischof im Gutachten Fehlverhalten vorgeworfen wird, erkannte Wetter in einer am Dienstag vom Erzbistum veröffentlichten Stellungnahme nur einen Fall als tatsächlich zutreffend an. Dabei geht es um den pädophilen Priester Peter H., wegen dessen Fall es auch Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. gibt.

Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird formales Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern spricht das Gutachten, sie gehen aber von einer deutlich größeren Dunkelziffer aus.

Heftige Kritik an Benedikt XVI.

Anfang der Woche räumte der 94-jährige Benedikt in einer Stellungnahme ein, dass er bei seinen Angaben für das Gutachten in einem Punkt nicht die Wahrheit angegeben habe – dies sei aber auf einen Fehler bei der „redaktionellen Bearbeitung“ seines Statements zurückzuführen. Das Verhalten Benedikts in der Causa hat heftige Kritik provoziert.

Tornielli stellte dagegen heraus, dass Benedikt bei der Aufarbeitung der Vergangenheit mithelfen wolle. Außerdem erinnerte er daran, dass just unter dem deutschen Papst äußerst strenge Vorschriften gegen klerikale Missbrauchstäter und eigene Gesetze zur Bekämpfung der Pädophilie erlassen worden waren.

Tornielli: Kindesmissbrauch „schreckliches Verbrechen“

Kindesmissbrauch sei „ein schreckliches Verbrechen“ und der Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker ein „noch abscheulicheres Verbrechen“, das unbedingt bekämpft gehöre, betonte Tornielli. Es sei „nicht hinnehmbar“, dass Kinder „Opfer von Sexualstraftätern werden, die sich hinter der Soutane verstecken“.

„Viel zu lange wurden missbrauchte Kinder und ihre Angehörigen auf Distanz gehalten, anstatt sie als verletzte Personen zu betrachten, die angenommen und auf dem Weg der Heilung begleitet werden müssen“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Leider seien sie oft „weggeschickt und sogar als ‚Feinde‘ der Kirche und ihres guten Namens bezeichnet“ worden.

Benedikt XVI. wird noch einmal Stellung nehmen

Tornielli bestätigte, dass der frühere Papst sich noch einmal ausführlicher zum Gutachten und den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern wolle. Insgesamt dürfe man nicht vergessen, dass Benedikt XVI. „mit seinem konkreten Beispiel die Dringlichkeit des Mentalitätswandels“ bezeugt habe, „der so wichtig ist, um das Phänomen des Missbrauchs zu bekämpfen: den Opfern zuzuhören, ihnen nahe zu sein und sie um Vergebung zu bitten.“