Marienstatue vor der Frauenkirche in München
Reuters/Vincent Kessler
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Missbrauch

Weitere Opfer melden sich bei Erzbistum München

Rund einen Monat nach der Präsentation des Gutachtens über sexuelle Gewalt im römisch-katholischen Erzbistum München und Freising in Deutschland haben sich bereits rund 20 weitere mutmaßliche Betroffene gemeldet. Indessen steigt die Zahl der Kirchenaustritte in Bayern stark.

Die Meldungen seien bei den unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Erzdiözese eingegangen, teilte das Erzbistum auf Anfrage mit. Das Gutachten hat gezeigt, dass Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden.

Zu den 20 Meldungen kommen noch mindestens 150 Anrufe bei der neu eingerichteten Hotline der Diözese. Diese seien allerdings nicht nur von mutmaßlichen Betroffenen gekommen, sondern auch von Menschen, die mit der Frage nach einem Kirchenaustritt ringen oder mit der Kirche und den aktuellen Vorgängen ein Problem haben.

Der Münchner Bischof Reinhard Marx
APA/AFP/Sven Hoppe
Auch dem Münchner Erzbischof Kardinal Marx wird Fehlverhalten vorgeworfen

Den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, heute der emeritierte Papst Benedikt XVI., werden in dem Gutachten persönliches Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen – ebenso auch dem aktuellen Erzbischof Kardinal Reinhard Marx. Die Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus – und von einem weit größeren Dunkelfeld.

Kirchenaustritte in Bayern explodiert

Die Zahl der Kirchenaustritte in bayrischen Städten ist nach der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens vor einem Monat förmlich explodiert. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter mehreren Städten in dem deutschen Bundesland. In München verdoppelte sich die Zahl der Kirchenaustritte, wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferates (KVR) mitteilte. Andere Städte in Bayern bestätigen den Trend.

„In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, hatten wir in München pro Arbeitstag in etwa 80 Kirchenaustritte. Seit dem 20. Jänner, also seit dem Gutachten, sind es um die 150 bis 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag. Also etwa doppelt so viele“, so das KVR. Und es könnten sogar noch mehr sein. „Die Nachfrage ist sicherlich dreimal so hoch wie Anfang des Jahres“, sagte der Sprecher.

Öffnungszeiten verlängert

Doch die sei nicht zu bewältigen: „Das Limit ist hier unsere Kapazitätsgrenze, vor allem beim Personal.“ Dabei habe das KVR die Öffnungszeiten verlängert und mehr Leute eingesetzt. „Trotz erweiterter Öffnungszeiten und Personalumschichtungen wird es wegen der sehr hohen Nachfrage voraussichtlich nicht möglich sein, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen.“

Das Standesamt Nürnberg meldete zwischen dem Tag der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens am 20. Jänner und dem 14. Februar 617 Kirchenaustritte, davon 381 aus der katholischen, 234 aus der evangelischen Kirche und 2 Sonstige. Vor zwei Jahren – im Vergleichsjahr 2020 – hatte das Standesamt in diesem Zeitraum nur 372 Austritte, davon 200 katholisch, 165 evangelisch und 7 Sonstige.

Große Nachfrage nach Austrittsterminen

In Ingolstadt erklärten vom 20. Jänner bis zum 17. Februar 254 Personen ihren Austritt aus der Kirche – im selben Zeitraum des Vorjahres waren es 84. „Das Standesamt meldet eine weiterhin große Nachfrage nach Austrittsterminen“, sagte ein Sprecher der Stadt.

Das am 20. Jänner vorgestellte und vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Die Gutachter gehen von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern, zugleich aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.

Sie erhoben schwere Vorwürfe unter anderem gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, dem sie vierfaches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen in seiner Zeit als Münchner Erzbischof vorwerfen.