Gipfelkreuz Untersberg
ORF.at/Christian Öser
ORF.at/Christian Öser
Bergsteigen

Gipfelkreuze: Gott, Dämonen, Alpinisten

Mit dem Beginn der Saison zieht es viele Wanderbegeisterte in die Berge. Gipfelkreuze gehören in den österreichischen Alpen zum schönen Ausblick – und machen sich auch auf Social Media gut. Dass sie ursprünglich Dämonen abwehren und Gott besänftigen sollten, geriet in Vergessenheit.

Gipfelkreuze können sehr unterschiedlich aussehen: Vom kniehohen Kreuzchen bis zum begehbaren Riesenkreuz gibt es eine große Bandbreite, darunter auch Gipfel mit gleich mehreren Kreuzen, solche mit Radio- und TV-Sender darauf und Gipfelkreuze, die Heiligenstatuen zieren. Die Tradition der Gipfelkreuze habe zwei sehr unterschiedliche Wurzeln, sagte die Philosophin und Theologin Claudia Paganini im Gespräch mit religion.ORF.at.

Einerseits sei das die religiös-spirituelle Tradition der Einheimischen bereits in vorchristlicher Zeit, so die Expertin, die ein Buch zum Thema geschrieben hat. „Die Bergbauern haben sich wohl schon in früheren Zeiten auf Anhöhen zum Gebet getroffen.“ In christlicher Zeit habe es im Lauf eines Jahres oft Situationen gegeben, die einen Abstieg ins Dorf und zur Kirche nicht zugelassen hätten. „Da man trotzdem gemeinsam beten wollte, hat man das oft auf Anhöhen oder kleinen Gipfeln in der Nähe der letzten Häuser gemacht.“

Die Gottheit auf dem Berg

Der Berg war in vielen Religionen Sitz einer Gottheit, von seinen Gipfeln konnte Gutes wie Böses kommen. Man könne davon ausgehen, dass es auch in Österreich so war, dass man diesen Bergen eine Schutzfunktion zugestanden habe – „oder es konnte auch etwas Bedrohliches vom Gipfel kommen“, so Paganini: Dämonen. Die Menschen begegneten dem mit Riten rund um die Gipfel.

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Reparatur des Gipfelkreuzes auf der Zugspitze, Bayern, Garmisch-Partenkirchen
APA/dpa/Sven Hoppe
Reparatur des Gipfelkreuzes auf der Zugspitze, Bayern
Jakobskreuz auf der Buchensteinwand, Tirol
Muck unter CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
Begehbares Jakobskreuz auf der Buchensteinwand, Tirol
Timmelsjoch in Tirol
Reuters/Lisi Niesner
Timmelsjoch in Tirol
Gipfelkreuz Untersberg
ORF.at/Christian Öser
Gipfelkreuz auf dem Untersberg, Salzburg
Gipfelkreuz auf der Schönfeldspitze (2.653 Meter) im Steinernen Meer im Pinzgau, Salzburg
APA/Fritz Neumüller
Gipfelkreuz auf der Schönfeldspitze im Steinernen Meer im Pinzgau, Salzburg
Gipfelkreuz auf dem Großglockner
Thomas Mariacher
Gipfelkreuz auf dem Großglockner
Gipfelkreuz vor dem Massiv des Gamsleitenhanges in Obertauern
APA/Barbara Gindl
Gipfelkreuz vor dem Massiv des Gamsleitenhanges in Obertauern
Zeichnung aus einem Gipfelbuch
Claudia Paganini
Zeichnung aus einem Gipfelbuch
Gipfelkreuz des 2.395 Meter hohen Kreuzjoches oberhalb von Schruns im Montafon, Vorarlberg
APA/MOMA
Gipfelkreuz des Kreuzjoches oberhalb von Schruns im Montafon, Vorarlberg
Preinerwand-Gipfelkreuz auf der Raxalpe
APA/Barbara Gindl
Preinerwand-Gipfelkreuz auf der Raxalpe

Einfache Kreuze dürften schon früh aufgestellt worden sein, Funde römischer Münzen auf Berggipfeln legen nahe, dass auch Opfer dargebracht wurden. „Meistens standen solche Kreuze auf dem Hausberg hinter dem Hof, zu dem man schon eine Beziehung hatte: Man hat verirrte Tiere dort gesucht, von dort kam das Wetter.“ Das Ziel war, sich mit der Gottheit zu versöhnen dafür, „dass man einen Raum einnimmt, der einem nicht zusteht“.

Schutz für Vieh und Weideflächen

Gleichzeitig wurden kleinere Kreuze unterhalb der Gipfel aufgestellt, „um Schutz für das eigene Vieh und die eigenen Weidebereiche unterhalb des Kreuzes zu erbitten“. Urkundlich erwähnt ist als erstes Gipfelkreuz gegen Ende des 13. Jahrhunderts das Confin-Kreuz auf der Malser Heide in Südtirol. Seit 1305 steht ein Kreuz auf dem Arlberg.

Im Zuge der Christianisierung sei es naheliegend gewesen, sich auf dem Berg zum Gebet zu treffen, wenn die Menschen wegen ungünstiger Wetterbedingungen oder auch Krankheiten und Seuchen, die im Tal wüteten, lieber oben geblieben seien. „Gipfelkreuze dieser Tradition mussten gar nicht auf dem höchsten Punkt des Berges stehen“, erklärt Paganini – es ging nicht darum, Rekorde aufzustellen oder etwas zu beweisen.

Alpinismus vs. Tradition

Diesen sportlichen Aspekt brachte die zweite Tradition der Gipfelkreuze ein: der Alpinismus. Pioniere dieses Trends, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtig einsetzte, waren englische Adelige. „Sie haben Erstbesteigungen unternommen, Einheimische fungierten als Gepäckträger und Führer.“ Die Bergsteiger zog es zu markanten Gipfeln wie dem Gloßglockner.

„Den Einheimischen war das völlig fremd, sie konnten nichts damit anfangen, dass man ohne einen guten Grund wie Beten oder weil ein Schaf verloren gegangen ist, einfach nur so raufgeht, um den Berg zu bezwingen“, sagte Paganini. Obendrein hatten die Ortsansässigen große Bedenken, dass das alles nicht gottgefällig sein könnte, „weil man ja der Meinung war, dass der oberste Teil des Gipfels ein göttlicher Bereich ist“. Dazu gesellte sich mancherorts die Vorstellung, „dass auf höchstem Gipfel noch Reste von der Arche Noah liegen“.

Theologin und Philosophin Claudia Paganini
privat
Philosophin und Theologin Claudia Paganini

Doch die Alpinisten brachten Geld. Hatten die Sportler einen Gipfel erklommen, wollten sie ein Zeichen für ihren persönlichen Triumph setzen und stellten Fahnenmasten auf. Das seien eher kleinere Stöcke in der Größe von Skistecken gewesen, sagte die Expertin, an denen Fahnen befestigt waren.

Fahnenmasten und Gipfelbücher

Hier begann auch die Tradition der „Gipfelbücher“: Zunächst seien das leere Weinflaschen mit Visitenkärtchen gewesen, private oder jene des jeweiligen alpinen Clubs, die umgedreht in den Berg oder Schnee gerammt wurden. Der Nächste habe dann sein Kärtchen dazugetan und vielleicht etwas darauf geschrieben. Heute sind Gipfelbücher am Gipfelkreuz angebrachte, wetterfest verpackte „Gästebücher“.

Ortspfarrer und Bischöfe zeigten sich all dem gegenüber sehr skeptisch und übten Kritik: „Die Alpinisten merkten, dass das nicht so gut ankommt“, also sei die Idee aufgekommen: „Wenn wir das mit einem Kreuz machen, dann ist es nicht mehr nur für uns, sondern zur Ehre Gottes.“ Damit war das Gipfelkreuz als religiöses Symbol zurück, und so wuchsen die zwei Traditionen zusammen. „Mit der Zeit wurde der Alpinismus allmählich auch etwas für die Einheimischen“, so Paganini.

Widerstand und Zweckentfremdung

Einige Gipfelkreuze waren auch Thema des Widerstandes in der NS-Zeit: Manche Gauleiter verlangten, dass Kreuze abgenommen werden – in der Nacht wurden sie von Einheimischen wieder und wieder auf den Berg hinaufgetragen und neu montiert.

Ihre Blütezeit erlebten die Gipfelkreuze in der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit, als Bergsteigen ein Sport für „jedermann“ wurde, so die Theologin. Damals sei das Aufstellen eines Gipfelkreuzes noch etwas sehr Besonderes gewesen – man musste ja das Material erst einmal auf den Berg hinauftragen. Später wurden dann Hubschrauber eingesetzt.

Zweckentfremdung und Inklusivität

In Österreich gibt es sie überall, außerdem sind Gipfelkreuze in Italien, der Schweiz, Deutschland undim östlichen Teil Frankreichs verbreitet. Stark zweckentfremdet wurden Gipfelkreuze durch das Anbringen nationalistischer Botschaften etwa in der Nachkriegszeit in Südtirol. Auch als christliches Herrschaftssymbol seien sie kritisiert worden, so die Expertin. Heute gebe es Versuche, sie inklusiver zu gestalten und Friedensbotschaften an Gipfelkreuzen anzubringen.

Gipfelkreuz am Großen Kinigat, Grenze Osttirol/Italien
Claudia Paganini
Europakreuz auf der Großen Kinigat, Grenze zwischen Osttirol und Italien: Versuche, Gipfelkreuze moderner und integrativer zu gestalten

„Es gab auch immer wieder Bemühungen, Symbole anderer Religionen zu integrieren – das ist aber eher immer auf Ablehnung gestoßen.“ Oft werden moderne Kreuze von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet, andere Symbole werden eingesetzt, zum Beispiel das Europakreuz mit seinen Sternen auf der Großen Kinigat an der Grenze zwischen Osttirol und Italien.

Streit um jeden Zentimeter

Eine Zeit lang sei es Mode gewesen, mit der jeweiligen Nachbargemeinde zu konkurrieren, so die Expertin. Die Gemeinden stritten darüber, welches Kreuz höher oder massiver war, manchmal ging es um jeden Zentimeter.

Buchhinweis

Claudia Mathis (jetzt Paganini): Dem Himmel nah. Von Gipfelkreuzen und Gipfelsprüchen. Berenkamp Verlag, 2002, 162 Seiten (vergriffen).

Außerdem kam die Frage auf, was man alles mit einem Gipfelkreuz tun dürfe, allen voran das Problem: „Wie entsorge ich ein altes Gipfelkreuz?“ Verbrennen war das Mittel der Wahl, wenn es sich um Holzkreuze handelte. Es gebe wenige neue, so Paganini – erstens, weil schon fast auf jedem Berg eines stehe, und zweitens, weil die Alpenvereine zurückhaltender geworden seien: Die Verbauung der Natur werde kritisch gesehen.

Demut und das „Sich-Bemächtigen“

Gipfelkreuze seien ein ambivalentes Thema, so die Theologin. Einerseits hätten sie viel mit Spiritualität und Demut zu tun, andererseits gebe es immer diesen Aspekt des „Sich-Bemächtigens“. „Das sind Gefühle, die am stärksten sind, wenn man im hochalpinen Raum unterwegs ist: Einmal, dass man sich schon sehr gut vorkommt, weil man es da hinaufgeschafft hat, anderseits ist da die Demut vor Gott, wenn man religiös ist, oder der Respekt vor der Natur.“