Ukraine-Krieg

Experte: Kyrill verspielt letzte Glaubwürdigkeit

Auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin hätte es wohl keine Wirkung, wenn der Moskauer Patriarch Kyrill den Angriff auf die Ukraine verurteilen würde. Auf die russische Bevölkerung allerdings schon, so der Salzburger Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler.

Das sagte Winkler im Interview in der aktuellen Ausgabe des Salzburger „Rupertusblatts“. Deutliche Worte des Patriarchen würden sehr wohl die russische Öffentlichkeit erreichen. Die Kirchenführung sollte moralische Instanz sein. „Zwischen den Menschen hätte ein Statement Auswirkungen“, so Winkler. Und er fügte hinzu: „Bald wird das Moskauer Patriarchat den letzten Funken Glaubwürdigkeit verloren haben.“

Die Orthodoxie grundsätzlich schweige ganz und gar nicht zum russischen Angriffskrieg. Weltweit hätten andere orthodoxe Kirchen zum Frieden aufgerufen und den Angriff Russlands verurteilt, betonte der Orthodoxie-Experte. Eine entschiedene Position habe dabei der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel bezogen.

Allzu enge Beziehungen

Winkler sprach im Interview auch die allzu engen Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Russland an: Die russische Orthodoxie nenne es eine „Symphonie von Staat und Kirche“. Seit Kyrill 2008 Patriarch wurde, gebe es eine enge Beziehung zur politischen Führung. „Der Staat instrumentalisiert die Kirche. Sie lässt das zu“, so Winkler.

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill
APA/AP/Alexander Zemlianichenko
„Der Staat instrumentalisiert die Kirche“, so Experte Winkler (im Bild: Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill)

Ein Vorteil für Kirchen und Klöster war und ist, „dass sie durch finanzielle Zuwendungen einen Aufschwung erfuhren“. Warum Patriarch Kyrill aber weitestgehend schweigt, sei schwer zu beurteilen. Winkler: „Vielleicht ist er angehalten, sich in der Öffentlichkeit nicht zu äußern. Grundsätzlich stimmt er wohl mit Putin überein, dass die Ukraine zu Russland gehört.“

Umfrage: Ukrainer für Trennung

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs sprechen sich unterdessen laut einer Umfrage 63 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer für eine Trennung der ukrainisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat aus. Wie das Meinungsforschungsinstitut Rating am Donnerstag in Kiew mitteilte, befürworten auch 52 Prozent der Gläubigen dieser Kirche, die dem Moskauer Patriarchen Kyrill untersteht, einen solchen Bruch; 13 Prozent von ihnen seien dagegen.

Das Institut befragte nach eigenen Angaben am 8. und 9. März 1.200 Erwachsene in allen ukrainischen Bezirken mit Ausnahme des Donbasses und der Krim. Kyrill präsentiert sich dieser Tage als enger Verbündeter des russischen Präsidenten.

„Metaphysischer Kampf“

Den Krieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigte das Kirchenoberhaupt als einen „metaphysischen Kampf“ im Namen „des Rechts, sich auf der Seite des Lichts zu positionieren, auf Seiten der Wahrheit Gottes, auf Seiten dessen, was uns das Licht Christi, sein Wort, sein Evangelium offenbaren“.

Auch einzelne Bischöfe der ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats protestierten gegen Kyrills Haltung zum Krieg. Sie sprachen bei Gottesdiensten keine Fürbitten mehr für ihn, was innerorthodox eine besonders schwere Sanktion ist.