Ukraine-Krieg

Militärbischof: Appeasement wie bei Hitler birgt Gefahren

Es sei „eine der schwierigsten Entscheidungen, ob man sich einem Aggressor entgegenstellt oder nicht“, sagte Militärbischof Werner Freistetter im Interview mit der „Wiener Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) zur russischen Invasion in der Ukraine.

Er höre immer wieder: „Die hätten das über sich ergehen lassen sollen, das hätte ihnen vieles erspart.“ Laut Freistetter ist eine solche Haltung aber nicht unproblematisch. Er erinnerte an die Entscheidung Großbritanniens unter Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg, Nazi-Deutschland Widerstand zu leisten – im Bewusstsein auch schlimmer Folgen für die eigene zivile Bevölkerung.

Dennoch habe sich die Einsicht durchgesetzt, „dass die Appeasement-Politik der falsche Weg war“, sagte der ehemalige Leiter des Instituts für Religion und Frieden. Auch ein Nachgeben in der Ukraine würde den Aggressor womöglich nur zu weiteren Schritten ermutigen, gab Freistetter zu bedenken.

Die andere Wange hinhalten?

Gegen die in der Debatte um Gewaltlosigkeit oft ins Treffen geführten biblischen Argumente – etwa „die andere Wange, die man hinhalten solle“ -, wandte der Bischof ein, es wäre aber falsch, die Heilige Schrift als moralisch-ethisches Handbuch zu begreifen.

Die andere Wange hinzuhalten, eine zweite statt nur eine Meile mitzugehen oder zum Rock auch noch den Mantel zu überlassen – all das stehe für zuvorkommendes, entgegenkommendes Verhalten, das den Gegner eigentlich beschämen soll, wie Freistetter erklärte. „Da wird also etwas eingefordert, das ihn überrascht und zum Nachdenken bringt.“

Militärbischof Werner Freistetter
APA/Herbert Pfarrhofer
Militärbischof Freistetter betonte „den Vorrang der friedlichen Streitbeilegung, des Kompromisses, der Verhandlungen“

Auf den militärischen Bereich umgelegt, interpretierte der Bischof die Bergpredigt Jesu als Aufforderung, alles zu tun, damit es gar nicht erst zum Krieg kommt. Er betonte „den Vorrang der friedlichen Streitbeilegung, des Kompromisses, der Verhandlungen“.

„Geht um Überleben der Ukraine“

In der Ukraine wollten weite Kreise der Bevölkerung offensichtlich nicht zulassen, dass ihre Eigenständigkeit als Staat und auch als Volksgruppe infrage gestellt wird, was ja eines der russischen Kriegsziele sei. „Da geht es tatsächlich um das Überleben der Ukraine als Staatswesen und als eigenes, kulturell geprägtes Volk“, führte Freistetter aus.

Das im Völkerrecht geltende Verbot des Angriffskrieges und sogar der Androhung von Gewalt zwischen Staaten, decke sich mit der katholischen Lehrmeinung. Die Ukrainer, die ihr Land verteidigen und dabei womöglich russische Soldaten töten, handelten jedenfalls nicht gegen die Position der Kirche.

Christliche Position ist nach den Worten des Militärbischofs: Wenn es doch zum Krieg kommt, gehe es danach um die Wiederherstellung des Friedens und um Versöhnung. „Das wird auch in der Ukraine eine große Herausforderung sein.“

Soldaten bedürfen besonderer Seelsorge

Auf die Frage der „Wiener Zeitung“, ob ein eigener Bischof für Soldaten, deren Handwerk in letzter Konsequenz das Töten ist, nicht ein Gegensatz zur christlichen Nächstenliebe und damit ein Widerspruch in sich ist, antwortete Freistetter: „Es geht da nicht um Waffen, sondern immer um die Menschen." In der besonderen, äußerst fordernden Situation, in die Soldatinnen und Soldaten geschickt werden, bedürfe es auch besonderer Seelsorge.“ Es handle sich um eine Begleitung mit Gottesdiensten, Gebeten, Gesprächen, erklärte der Militärbischof.

Er selbst habe UN-Friedensmissionen am Golan, im Libanon, im Kosovo, in Bosnien begleitet. Immer wieder seien dabei Fragen hochgekommen, die das Menschlich-Humanitäre betreffen. „Und gerade in den Auslandseinsätzen suchen Menschen, die sonst wenig mit der Kirche zu tun haben, eine Begleitung, die ihnen der Seelsorger ohne viele Vorgaben seitens des Militärs geben kann“, berichtete Freistetter.

Begriff „gerechter Krieg“ vermieden

Den Begriff „gerechter Krieg“ meide die Kirche inzwischen ganz bewusst. Allerdings sei im Konzils-Dekret „Gaudium et Spes“ festgehalten, dass der Krieg Leid und Not anrichtet, aber dass er nicht aus der Welt geschafft ist.

Freistetter nannte dazu „eine klassisch gewordene Formulierung, die ungefähr so geht: Solange die Gefahr von Krieg besteht und es keine internationale Autorität gibt, die mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man einer Regierung, wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, das Recht auf eine sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“

Patriarch Kyrill „gießt Öl ins Feuer“

An weiteren kirchlichen Stimmen zum Krieg in der Ukraine führte die „Wiener Zeitung“ einerseits Papst Franziskus an, der das Vorgehen Russlands als „sinnloses Massaker“ verurteilte und via Twitter appellierte: „In Gottes Namen, hört auf!“ Andererseits habe der Moskauer Patriarch Kyrill „Öl ins Feuer gegossen“, als er knapp nach dem Angriff russischer Truppen von einer vorausgehenden Bedrohung nicht nur für Russland, sondern für die ganze „Rus“ sprach und damit eine „ethnokulturelle und kirchliche Einheit von Russland, Weißrussland und Ukraine“ beschwor.

Die Innsbrucker Religionssoziologin Kristina Stoeckl attestierte der russisch-orthodoxen Kirche eine wesentliche Mitschuld am Ukraine-Krieg. Sowohl das Konzept der „Russki Mir“, der „Russischen Welt“, als auch die Sicht als Verteidiger der christlichen Werte gegen einen angeblich feindlichen Westen seien ursprünglich theologische Konzepte gewesen, die nach und nach Eingang in die russische Politik gefunden hätten.