Der Moskauer Patriarch Kyrill
APA/AFP/Igor Palkin/Russian Orthodox Church Press Service
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Ukraine-Krieg

Theologe: Glaubwürdigkeit von Patriarch Kyrill am Nullpunkt

Die Glaubwürdigkeit des Moskauer Patriarchen Kyrill scheint am Nullpunkt angelangt zu sein. Das betont zumindest der Grazer orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis.

Durch den Krieg, in dem russische Bomben auf Christen und Christinnen und Kirchen jeder Konfession fallen, sei es „psychologisch und menschlich unvorstellbar, dass Teile des ukrainischen Volkes Patriarch Kyrill weiterhin als ihr geistliches Oberhaupt betrachten können“, so Larentzakis im Gespräch mit der deutschn katholischen Wochenzeitung „Tagespost“ vom Mittwoch.

Viele ukrainische Gemeinden und Diözesen, die bisher unter russischer Jurisdiktion waren, würden nun zur autokephalen orthodoxen Kirche der Ukraine wechseln. „Wer will jetzt als orthodoxer Ukrainer noch unter Moskauer Jurisdiktion bleiben?“, so Larentzakis wörtlich.

Unabhängigkeit „pastoral heilend“

Die Anerkennung der vollständigen kirchlichen Unabhängigkeit (Autokephalie) der ukrainischen Orthodoxie durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios vor einigen Jahren war nach Larentzakis Auffassung „prophetisch, kirchenrechtlich korrekt und pastoral heilend“.

Dass in der Folge in der Ukraine Millionen orthodoxer Christinnen und Christen von Moskau zu Schismatikern erklärt wurden, sei „kirchenrechtlich nicht legitim, denn diese Menschen wollten orthodox bleiben und lediglich autokephal werden“, so der griechisch-orthodoxe Theologe.

Zugleich versuche das Moskauer Patriarchat seit Langem, seine Grenzen zu erweitern. Larentzakis: „Diese Tendenz gibt es schon lange, und sie hat Spannungen in Jerusalem und sogar auf dem Berg Athos ausgelöst. Viele Diözesen in Serbien, Griechenland und Zypern erhalten viel Geld aus Russland.“

„Fragwürdige Abhängigkeitsnetzwerke“

Von „fragwürdigen Abhängigkeitsnetzwerken“ sprach gegenüber der „Tagespost“ auch der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern (ACK), der griechisch-orthodoxe Theologe Georgios Vlantis.

„Die Zurückhaltung etlicher Kirchen, was die Anerkennung der Autokephalie der Kirche der Ukraine angeht, ist nicht auf theologische Gründe zurückzuführen. Sowohl Angst als auch die Versuchung des Geldes spielen eine wichtige Rolle.“

Angst und Geld im Hintergrund

Keine Kirche wolle, dass auf ihrem Gebiet eine parallele russische Jurisdiktion entsteht, wie es derzeit die russische Kirche in Afrika auf dem kanonischen Territorium des Patriarchats von Alexandrien vorantreibt. Vlantis weiter: „Für mehrere Kirchen ist der russische Pilgertourismus eine wichtige Einkommensquelle.“ Angst und Geld würden eine „Dimension der Erpressung“ bilden, meinte Vlantis.

Larentzakis zeigte sich im Gespräch mit der „Tagespost“ überzeugt: „Das Patriarchat von Moskau versucht seit Jahrzehnten, das Ökumenische Patriarchat zu diskreditieren.“ Viele Stimmen in der weltweiten Orthodoxie würden jetzt aber sagen, dass die Glaubwürdigkeit von Patriarch Kyrill durch den Krieg und seinen Umgang damit am Nullpunkt angelangt sei.

„Wenn das so ist, dann muss Kyrill an die eigene Brust klopfen und überlegen, wie er die Zerstörung von Wohnhäusern, Kirchen, Klöstern und Kunstdenkmälern mit seinem Gewissen vereinbaren kann“, sagt Grigorios Larentzakis. Auch innerhalb des russisch-orthodoxen Klerus gebe es bereits Stimmen, die mit Kyrills Kurs unglücklich sind.