Kreuzweg

Ostkirchen-Experte kritisiert Vatikan

Mit scharfer Kritik an der vatikanischen Russlandpolitik hat sich der Wiener Ostkirchen-Experte Thomas Mark Nemeth zu Wort gemeldet. Konkret kritisiert er etwa die Absicht, dass am Karfreitag beim Kreuzweg am römischen Kolosseum eine Station weit das Kreuz von einer Ukrainerin und einer Russin gemeinsam getragen wird.

„Wer hat bloß dem Papst geraten, ein Mitglied des Aggressorstaates und ein Mitglied des überfallenen Staates gemeinsam das Kreuz tragen zu lassen, und noch dazu angesichts der derzeitigen Situation, die seit dem Zweiten Weltkrieg ihresgleichen sucht?“, so Nemeth wörtlich in einem Kommentar, der auf der Website Katholisch.at veröffentlicht ist.

Nicht wenige Ukrainer würden sich fragen, ob der Vatikan auf ihrer Seite stehe, so Nemeth. Dies speise sich etwa aus der Tatsache, dass Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin am 7. und 8. April meinte, dass die Ukraine zwar das Recht auf Selbstverteidigung habe, gegenüber Waffenlieferungen in die Ukraine aber Skepsis angebracht sei. Dass man grundsätzlich dagegen sei, wurde später von der Nuntiatur in Kiew allerdings dementiert, räumt Nemeth ein.

„Heikle“ Beziehungen prüfen

Eine Reise von Franziskus in die Ukraine stehe aber seit mehreren Wochen im Raum. Laut Kardinal Parolin müsse man aber bei etwaigen Konsequenzen insbesondere die „heiklen“ Beziehungen zur russisch-orthodoxen Kirche prüfen, zeigt sich der Ostkirchen-Experte verwundert. Es bleibe etwa auch die Frage, so Nemeth, „welcher Nutzen von der Taktik Roms zu erwarten ist, den Aggressor nicht beim Namen zu nennen“. Er kritisiert zudem die „schamlose Ausnutzung der diplomatischen Bemühungen Roms seitens der Moskauer Kirchenleitung“.

Es scheine ihm, so Nemeth weiter, „dass man in Rom immer noch bei einer überholten gemeinsamen Betrachtung von der Ukraine und Russlands stehen geblieben ist“. Das habe sich gerade bei der Weihe beider Länder an Maria am 25. März gezeigt. Im Zusammenhang mit dem derzeitigen, gegen die Existenz der Ukraine gerichteten Kampf zähle das Narrativ der Einheit dieser Völker zu einer der ideologischen Komponenten der derzeitigen Katastrophe, so Nemeth.

„Ausrichtung auf Moskau hinterfragen“

Es wäre nötig, die Tradition der vatikanischen Ostpolitik, bei der die Ausrichtung auf die Verständigung mit Moskau seit Jahrzehnten eine fixe Idee darstellt, kritisch zu hinterfragen. Denn es scheine realitätsfremd, wenn sich die römische Kurie immer noch auf der Ebene eines neutralen politischen „Global Player“ verorte, an einem Treffen mit Kyrill festhalte und meine, auf Putin Einfluss nehmen zu können. In der Einschätzung der Situation seien Politiker auf EU-Ebene der Kirchenführung viele Schritte voraus, so der Befund des Theologen.

Scharfe Kritik von Großerzbischof Schewtschuk

Nemeth hat die Professur für Theologie des christlichen Ostens an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien inne. Er gehört der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche (UGKK) an und ist Priester der griechisch-katholischen Erzdiözese Lemberg. In seinem Kommentar verweist er auch auf Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Oberhaupt der UGKK. Dieser hatte zuletzt ebenfalls heftige Kritik an den vatikanischen Kreuzwegsabsichten beim Kolosseum geübt.

Er halte diese Idee für unpassend, zweideutig und für eine solche, die den Kontext der militärischen Aggression durch Russland gegen die Ukraine nicht berücksichtigt. Für die Griechisch-Katholischen der Ukraine seien die Texte und Gesten der 13. Kreuzwegstation unverständlich und sogar beleidigend, insbesondere im Zusammenhang mit dem erwarteten zweiten, noch blutigeren Angriff der russischen Streitkräfte auf die ukrainischen Städte und Dörfer. Und er wisse, so Schewtschuk, dass auch die römisch-katholischen Brüder in der Ukraine diese Gedanken und Sorgen teilten.

Blinde Flecken

Der Großerzbischof habe zudem, wie Nemeth weiter ausführt, auch deutlich gemacht, dass Gesten der Versöhnung zunächst einmal der Beendigung des Krieges bedürften und dass man auch an der Wahrnehmung von Verantwortung für die unfassbaren Gräueltaten nicht vorbeikomme. Auch diesbezüglich, so Nemeth, wäre dem Vatikan die Frage zu stellen, ob nicht blinde Flecken beträchtlichen Ausmaßes existieren.

Patriarch Kyrill, „der sich in den letzten Wochen als Komplize Putins erwiesen hat und eine unsägliche Sonntagspredigt an die andere reiht“, habe die Ukraine bereits verloren, so der Ostkirchen-Experte, und er fährt fort: „Und der Papst? Er hat mit der UGKK durchaus Glück, denn die Gemeinschaft mit dem Römischen Stuhl gehört zum Markenzeichen dieser Kirche. Von ihrer Spannung zwischen Loyalität und Eigenständigkeit ist aber für die Ökumene noch manches zu erwarten. Und Rom täte gut daran, auf die Kirchen in der Ukraine zu hören.“

Abermals verweist Nemeth auf Großerzbischof Schewtschuk. Dieser habe in seiner Video-Stellungnahme vom 6. März zum „Sonntag der Versöhnung“ deutlich gemacht, dass es „sehr schwierig ist, mitten im Krieg von Vergebung zu sprechen“, dass aber „Vergebung das Geheimnis des Sieges ist“. Vergebung gewähren sei aber primär Sache der Opfer „und lässt sich nicht von oben herab bestimmen, auch nicht vom Papst“, so Nemeth.