Das niederösterreichische Stift Klosterneuburg beleuchtet in seiner neuen Ausstellung „Gotteskrieger: Kampf um den rechten Glauben rund um Wien im 15. Jahrhundert“ Grundlagen und Verlauf der Hussitenkriege und die „hussitische Revolution“. Sie war die erste Reformation der katholischen Kirche.
Lange vor Martin Luther gab es schon Ansätze, das Monopol der Papst-Kirche auf die Auslegung der Bibel aufzubrechen. Das Große abendländische Schisma (1378–1417) hatte die Kirche tief gespalten und geschwächt, es gab zeitweise drei Päpste, und die Gläubigen suchten nach alternativen Wegen zu Gott. Der böhmische Prediger und Theologe Jan Hus (1372–1415) wollte die Kirche nach dem Vorbild der Urchristen umbilden. Die Folge waren die von 1419 bis 1434 dauernden, blutigen Hussitenkriege – „Kreuzzüge“ mitten in Europa, denen unter anderen auch die Wiener Juden zum Opfer fielen.
Schon die Armutsbewegungen des 12. Jahrhunderts brachten die heiligen Texte der einfachen Bevölkerung nahe – die Kirche sah das als Privileg der Priester. „Man hatte Angst, dass die Texte falsch oder anders ausgelegt werden könnten“, sagte Kuratorin Maria Theisen bei der Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag. Die Bibel in der jeweiligen Landessprache zu lesen oder zu predigen galt als Ketzerei.
Ausstellungshinweis
Gotteskrieger: Kampf um den rechten Glauben rund um Wien im 15. Jahrhundert, 29. April bis 15. November, täglich im Stift Klosterneuburg. Führung: samstags, sonntags, feiertags um 12.00 und 15.00 Uhr
Reformer wie der Brite John Wyclif (ca. 1330–1384) hatten die heiligen Texte aus der lateinischen Vulgata in die jeweilige Landessprache übersetzt. Wyclif inspirierte Hus, der auf Tschechisch predigte und schrieb. Damit prägte und formte er übrigens – ganz wie im 16. Jahrhundert Luther – seine Landessprache und trug dazu bei, das böhmische (bzw. tschechische) Nationalbewusstsein zu stärken. Er und andere, etwa Hieronymus von Prag, der auch in Wien predigte, forderten die Kirche heraus: 1415 wurde Hus auf dem Konzil zu Konstanz (1414–1418) auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Predigten und die Wiener Gesera
Hus war fortan ein Märtyrer, und seine Anhänger, die Hussiten, traten dem deutschen König Sigismund auf dem Schlachtfeld ebenso wie auf den Predigerstühlen entgegen. Auch die Wiener Universität habe eine wichtige Rolle gespielt, so Kuratorin Theisen. Sie war gegen die Lehren der Hussiten und warnte die Bevölkerung in Predigten davor.
Wien war auch Schauplatz eines der furchtbarsten Auswüchse des Krieges. Der Wiener Gesera, dem Pogrom an der Wiener jüdischen Bevölkerung 1420/21, ist in der Ausstellung ein eigener kleiner Raum gewidmet. Es ging ums Geld: Der Habsburger Herzog Albrecht V. wollte seinen Schwiegervater Sigismund im Kampf gegen die „Häretiker“ unterstützen. 1419 standen die Hussiten vor der Stadt Krems, der Herzog brauchte Geld, und die jüdischen Gemeinden waren schutzlos.
Juden enteignet und ermordet
Unter dem Vorwand, sie hätten den Hussiten Waffen geliefert, zu dem sich recht übliche Verleumdungen über angebliche Hostienschändungen gesellten, wurden die Wiener Jüdinnen und Juden aus der Stadt vertrieben und teils ermordet, ihr Besitz enteignet. Allein in Wien wurden über 200 Juden in Erdberg verbrannt. Die Ausstellung zeigt ein Modell der 1421 zerstörten Synagoge und eine Schautafel mit den Namen einiger der Opfer.
Albrecht V. konnte mit dem Geld der Juden den Krieg weiter finanzieren. Waffenhandel spielte eine große Rolle, ebenso wirtschaftliche Sanktionen, wie man sie auch dieser Tage im Zuge des Ukraine-Krieges wieder kennt. Der Handel mit „Ketzern“ galt als Sünde – dennoch fand er statt. Rechnungsbücher belegen, dass böhmische Weinhändler während der ersten Kriegsjahre nach Klosterneuburg reisten, um dort einzukaufen.
Gute Zeiten für den Waffenhandel
Theisen wies darauf hin, dass mitten im Krieg Waffen sogar aus Prag bestellt worden seien. Teile von Rüstungen und zeitgenössischen Waffen sind in der Schau zu sehen. Etwa bessere Armbrüste seien eine Entwicklung der Hussitenkriege, so Theisen, auch Schießpulver spielte schon eine große Rolle.
Furchtbar sind die Details eines Gemäldes, das unter dem Namen „Das hussitische Heer triumphiert über die Kreuzzugstruppe“ ausgestellt ist: Ein kleines Kind ist auf eine Lanze gespießt worden, ein weiteres von Pferden zertrampelt. Kriegspropaganda, aber wohl auch traurige Abbildung der Realität.
Die Bedeutung des Kelchs
Der oben links abgebildete, deutlich hervorgehobene Kelch weist auf eine der Forderungen der Hussiten hin, die Kommunion in Form von Brot und Wein. Auf Letzteren wurde in der katholischen Kirche verzichtet. Auch Laien sollten das Sakrament in beiderlei Gestalt (sub utraque specie) empfangen, forderten die Utraquisten. Die „Vier Prager Artikel“, die die Hussiten dem König vorgelegt hatten, verlangten neben diesem „Laienkelch“ auch Predigtfreiheit, die Armut der Geistlichen und die Bestrafung von Todsünden.
Einen großen Einfluss hatten die Kriege und Fluchtbewegungen auf die zeitgenössische Kunst. Flüchtlinge wie die aus böhmischen Ländern vertriebenen Zisterzienser führten Kunstwerke und kostbare Handschriften mit sich, von denen vieles im Stift Klosterneuburg geblieben ist. Aber auch der Ausdruck der Kunst selbst wandelte sich: Entgegen der Forderung der Reformer, die Marien- und Heiligenverehrung abzuschaffen, erlangte die Ausgestaltung von Marienbildern und -altären jetzt erst recht eine neue Qualität.
Neue Kunstströmungen
Kunstformen wie etwa Darstellungen des „Schmerzensmannes“ entstanden in dieser Zeit. Mehrere einzigartige Kunstwerke sind in der Ausstellung „Gotteskrieger“ zu sehen, unter anderem ein ausklappbarer Magdalenenaltar und ein Teil des Großen Albrechtsaltars, der ursprünglich in der Wiener Karmeliterkirche hing. Wer die übrigen erhaltenen Teile dieses Meisterwerks sehen will, kann (und sollte) eine eigene Führung in der Sebastianikapelle buchen.
Die Hussitenkriege endeten 1436, die erschöpften Parteien gaben sich mit einem Kompromiss zufrieden: Das Sakrament in Form von Brot und Wein für alle wurde gewährt, und die gemäßigteren Hussiten erkannten König Sigismund an. Die radikaleren wie die Taboriten wurden vernichtend geschlagen und massenweise hingerichtet. Neue Bedrohungen für Kirche und König tauchten aber schon am Horizont auf: die Belagerungen durch die Osmanen im 16. und 17. Jahrhundert und die durch den Buchdruck befeuerte Reformation eines Mönchs namens Martin Luther.