SeestadtIllustration Campus der Religionen – Wettbewerb 2020 Siegerprojekt Burtscher-Durig Perspektive
Burtscher-Durig ZT GmbH, Renderings: ZoomVP.at
Burtscher-Durig ZT GmbH, Renderings: ZoomVP.at
Campus der Religionen

Gemeinsam beten in der Seestadt

In der Seestadt Aspern in Wien – mit rund 240 Hektar gegenwärtig Europas größtes Stadtentwicklungsgebiet – soll ein Campus der Religionen entstehen. Doch eine Neuorientierung ist nötig: Denn ein wesentlicher Teil des Projekts, die Integration einer Hochschule, entfällt.

Die vorgesehene Außenstelle der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) ist nicht mehr garantiert, der für 2023 geplante Baustart dürfte somit nicht halten. Das interreligiöse Projekt soll nicht nur den Austausch unter den beteiligten Religionsgemeinschaften – Buddhisten, Evangelische Kirche, Hinduisten, Islamische Glaubensgemeinschaft, Israelitische Kultusgemeinde, Neuapostolische Kirche, römisch-katholische Kirche und Sikhs – fördern, sondern ist auch als ein Leuchtturmprojekt gedacht, das wesentlich zur Belebung der Seestadt beitragen soll.

Im Unterschied zu vergleichbaren Projekten wie dem Mehrreligionenhaus „House of one“ in Berlin, dessen Kern ein von der jüdischen, christlichen und islamischen Glaubensgemeinschaft gleichermaßen genutzter Sakralraum bildet, zeichnet sich der geplante Campus durch einen dezidiert städtebaulichen Ansatz aus.

Hochschule kommt doch nicht

Der Entwurf des Wiener Architekturbüros Burtscher-Durig, der 2020 siegreich aus einem Architektur- und Ideenwettbewerb hervorgegangen ist, sieht eine Campusstruktur vor, in der die einzelnen Religionshäuser durch ein Netzwerk offener und durchlässiger Außen- bzw. Stadträume verbunden werden. Die Grundkonzeption sah die Integration einer Außenstelle der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule auf dem Baufeld vor.

Luftaufnahme der Seestadt 2019
Christian Fürthner/MA 18
Luftaufnahme der Seestadt 2019

Der an Wochentagen konzentrierte universitäre Alltag sollte die sakralen Praktiken am Wochenende ergänzen und so eine durchgängige Belebung des Campusareals fördern. Dem Vernehmen nach hat die KPH aus diversen Gründen den Standort für eine Dependance wieder aufgegeben. Das bedeutet nun, dass eine Adaption des Raumprogramms nötig ist. Aus städtebaulicher Sicht wäre die Integration einer vergleichbaren Funktion, die unter der Woche die Bespielung des Campus garantiert, wünschenswert.

Mögliche Synergien in der Raumnutzung zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften und der Hochschule waren von Anfang an zentraler Bestandteil des Projekts. Multifunktionale, auch interkonfessionell nutzbare Räume und eine Mensa sollen als Orte der kulturellen Begegnung fungieren.

Architekt Harald Gnilsen, Vorsitzender des Vereins Campus der Religionen und leitender Baudirektor des Bauamts der Wiener Erzdiözese, weist in diesem Zusammenhang auch auf die aus dem religiösen Verständnis abgeleitete „Schöpfungsverantwortung" hin, die alle Glaubensgemeinschaften teilen. Diese umfasse auch den sorgfältigen und sparsamen Umgang mit Ressourcen.

Sorgfalt im Ausloten von Synergien

Im Vorfeld des Wettbewerbs wurden in einer Reihe von Workshops, an denen Vertreter der Stadt, der Religionsgemeinschaften und der KPH beteiligt waren, Synergiepotenziale ausgelotet. Geleitet wurde dieser Prozess vom renommierten Architekturbüro nonconform, das sich unter anderem auf die Betreuung partizipativer Planungsprozesse spezialisiert hat.

Illustration Campus der Religionen – Wettbewerb 2020, Siegerprojekt Burtscher-Durig
Burtscher-Durig ZT GmbH, Renderings: ZoomVP.at
Ein ursprünglich angedachter Park mit „Religionshäusern“ konnte so nicht umgesetzt werden

Das schwedische Architekturbüro Tovatt Architects & Planners, das für den Masterplan der Seestadt Aspern verantwortlich zeichnet, stellte den Diskutanten erste Baumassenstudien zur Verfügung. Früh war klar, dass der ursprünglich angedachte Park mit „Religionshäusern“ aufgrund des umfangreichen Programms auf dem vorgesehenen Grundstück zwischen U-Bahn-Trasse und See nicht realisiert werden kann und einem verdichteten und somit auch urbaneren Konzept werde weichen müssen.

Die gemeinsam erarbeiteten Wünsche an das Raum- und Funktionsdiagramm flossen in die Wettbewerbsausschreibung ein, zudem die Vorgabe einer durchlässigen Campusstruktur, die sich auch zum Umfeld, etwa zum benachbarten Schulcampus, öffnen sollte, und auch die Idee eines gemeinsamen Dachs. Dieses sollte sich später im Siegerprojekt von Burtscher-Durig als eine alles umspannende, schattenspendende Pergola materialisieren. Auch ein zentraler gemeinsamer Platz, der zufällige Begegnungen ermöglichen sollte – ein weiteres Ergebnis der Ideenfindung -, fand in die räumliche Konzeption von Burtscher-Durig Eingang.

Eigenständigkeit und Gemeinschaft

Generell scheint das Konzept einer „Einheit in der Vielfalt“ ein vielversprechender Ansatz zu sein. Er setzt auf die Koexistenz von neutralen Gemeinschaftsflächen und differenziert gestalteten Sakralräumen, die der Ausübung sehr spezifischer und auch von Religion zu Religion divergierender Rituale, Raumanforderungen und Symbolik dienen. Die Rollenzuschreibung des zugänglichen, allen Stadtbewohnern offen stehenden Zwischenraums als gemeinsamer Nenner ist ein geschickter Schachzug.

Gruppenbild Glaubensgemeinschaften, Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Kardinal Christoph Schönborn, DI Harald Gnilsen, Gursharan Singh Mangat, Boris Podrecca, Christoph Berger, Marianne Durig, Ulrich Burtscher u. a. im Festsaal, 11.08.2020
PID/Markus Wache
Gruppenbild Glaubensgemeinschaften mit Bürgermeister

Durchlässige und für alle zugängliche Stadträume weisen einen hohen Freiheitsgrad auf und eröffnen so einen Potenzialraum für Begegnung und Austausch. Gemeinsame Feste im Stadtraum sind geplant und würden nicht nur den interreligiösen Dialog, sondern auch niederschwellig die Einbeziehung von Anrainern und Stadtbewohnern ermöglichen.

Das urbane Versprechen der Seestadt

Die im Entstehen begriffene Seestadt Aspern – über ein Viertel des neuen Quartiers wurde bereits realisiert – ist ein Teilgebiet der Donaustadt, die wiederum als 22. Wiener Gemeindebezirk Teil der Stadt Wien ist. So entpuppt sich auf jeder Maßstabsebene das Versprechen eines städtischen Raum- und Gesellschaftszusammenhangs, der gewöhnlich mit der Vorstellung verdichteter und viel frequentierter Stadträume verbunden ist.

Die Seestadt, die nach Fertigstellung rund 25.000 Bewohnerinnen und Bewohner und 20.000 Arbeitsplätze zählen soll, kann diesen Wunschbildern wohl nur nahekommen, wenn es gelingt, Anziehungspunkte ins Quartier zu integrieren, die auch Donaustädter und Wiener, die nicht in der Seestadt wohnen, zum Aufsuchen der Seestadt motivieren. Öffentliche Einrichtungen, die viele Menschen ansprechen, anziehen und in Bewegung setzen, spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Tovatt architects and planners – Illustrativer Masterplan 2006 Rot = Baufeld – Campus der Religionen
Grafische Bearbeitung Andre Krammer
Rot eingezeichnet das Baufeld Campus der Religionen

Nicht weit vom Bauplatz der Campus der Religionen entfernt wurde vor Kurzem die Kulturgarage eröffnet – eine interessante Mischung aus Hochgarage, Volkshochschule und Veranstaltungszentrum. Das Gebäude stellt einen potenziellen Anziehungspunkt dar, der seine tatsächliche Reichweite, die stark von der Programmierung abhängen wird, erst unter Beweis stellen muss.

Zwischen Autonomie und Abhängigkeit

Das stadträumliche Setting, das dem Masterplan der Seestadt durch den Zuschnitt der Straßen, Plätze und Freiräume eingeschrieben ist, ist ein betont städtisch-urbanes, dessen Realisierung von einer hohen Nutzungsfrequenz im öffentlichen Raum abhängig ist.

Vorstädte und Randquartiere großer Städte entfalten ihren Charakter zwangsläufig im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Abhängigkeit von der Mutter- bzw. der Kernstadt. Das Branding der Seestadt, das auf das Modell einer „Stadt in der Stadt“ setzt und das sich auch in der räumlichen Konfiguration des Masterplans, der mit seiner Seemitte und Ringstraße das Stadtzentrum der Donaumetropole zitiert, ist ein Versprechen wie auch ein Wagnis.

Zum Autor

Andre Krammer ist Architekt und Urbanist in Wien. Er lehrt und forscht zurzeit am Forschungsbereich Städtebau der Technischen Universität Wien.

Randquartiere anderer Großstädte haben allerdings oft erst über die Zeit hinweg an Charakter gewonnen, etwa die römischen Vororte, die „borgate“, die italienischen Regisseuren des Neorealismus wie Pier Paolo Pasolini und Luchino Visconti als Kulissen ihrer Filme dienten, gerade weil sie sich vom historisch gewachsenen Stadtzentrum in der Künstlichkeit, die Planstädten eigen ist, unterscheiden. Die Retortenstadt kann erst in einem langwierigen Prozess durch ihre Bewohner angeeignet werden.

Plurale Identität

Auch in anderen Städten wie Bern, Hannover und Berlin sind in den letzten Jahren „Häuser der Religionen“ eingerichtet worden, die dem interkonfessionellen Dialog eine räumliche Plattform geben. Aus der Dynamik zwischen Differenz und Übereinkunft wird ein Annäherungspotenzial abgeleitet, das einer konkreten räumlichen und institutionellen Einbettung bedarf.

Das Spannende am Wiener Projekt ist der Ansatz, über das Einhausmodell als Raumkonzept hinauszugehen und auf eine Öffnung zum Stadtraum hin zu setzen. Urbane Räume schlechthin sind potenzielle Austragungsorte von Konflikten, stellen aber oft auch Orte, in denen ein emanzipatorischer Umgang mit Differenz erprobt und möglich gemacht werden kann.

Neuorientierung nach Pandemie

Coronavirusbedingt waren in den letzten Monaten persönliche Treffen der Vertreter der Religionsgemeinschaften nur eingeschränkt möglich. Der Ausstieg der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule, der eine Neuorientierung in der Programmatik und im Raumkonzept erfordert, stellt eine zusätzliche Herausforderung in der Genese des Projekts dar. Es wäre wohl nicht nur aus der Innen-, sondern auch aus der Außenperspektive wünschenswert, dass der Umsetzungsprozess fortgesetzt wird.

Für die Seestadt selbst und auch für die Stadt Wien wäre der interreligiöse Campus ein neuer Hotspot und zugleich ein im besten Fall wegweisender grenzüberschreitender Modellversuch, der Schule machen könnte. Am Sonntag, 24. April, wurde auf dem Baufeld in der Seestadt eine multireligiöse Kundgebung für den Frieden in Europa bzw. der Ukraine veranstaltet. Vielleicht war das schon der Auftakt für eine Renaissance des Projekts.