Deutschland

Antijüdisches Relief muss nicht entfernt werden

Ein antijüdisches Sandsteinrelief („Judensau“) an der Fassade der Stadtkirche in Wittenberg im deutschen Sachsen-Anhalt muss nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht entfernt werden. Ein jüdischer Kläger forderte seit Jahren die Entfernung des Reliefs, ist jedoch vor Gerichten gescheitert.

Der Inhalt des Reliefs aus dem 13. Jahrhundert sei zwar beleidigend, durch das Anbringen einer Bodenplatte und eines Info-Aufstellers sei es aber zu einem „Mahnmal“ umgewandelt worden, urteilte der BGH am Dienstag in Karlsruhe. Die beklagte Kirchengemeinde habe sich somit ausreichend distanziert.

Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden können. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tiers und blickt ihm in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein.

„In Stein gemeißelter Antisemitismus“

Bei dem Relief handle es sich zwar letztlich um „in Stein gemeißelten Antisemitismus“, betonte der BGH. Dieser beleidigende und „rechtsverletzende Zustand“ könne jedoch nicht nur durch Entfernung des Reliefs, sondern auch durch eine „Distanzierung und Kontextualisierung“ behoben werden, erklärte das Gericht in seiner Urteilsbegründung weiter. Durch eine solche Umwandlung könne „eine Aufklärung und eine inhaltliche Auseinandersetzung ermöglicht werden, um Ausgrenzung, Hass und Diffamierung entgegenzutreten“.

Ein antijudaistisches Ralief an der Wittenberger Stadtkirche
APA/AP/Jens Meyer
Ein antijudaistisches Relief an der Wittenberger Stadtkirche muss nicht entfernt werden, urteilte der deutsche Bundesgerichtshof

Das antijüdische Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert wurde um eine Bodenplatte und einen Aufsteller ergänzt, die die Darstellung einordnen sollen. Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die „Wittenberger Sau“ als „ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte“.

Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, sieht in der „Judensau“ nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden. Insbesondere den Reformator Martin Luther (1483-1546), der einst in eben jener Kirche in Wittenberg predigte, bezeichnet Düllmann als „Erz-Antisemit“.

Relief als Mahnmal

Die BGH-Anwältin der Stadtkirchengemeinde hatte betont, dass diese das Relief in Absprache mit der jüdischen Gemeinde zum Teil eines Mahnmals gemacht habe. In welcher Form auf den historischen Kontext hingewiesen wird, sei weder Sache des Klägers noch des Gerichts. Düllmanns BGH-Anwalt wiederum reichten die Ausführungen auf der Erklärtafel nicht aus. Die Kirche übernehme keine Verantwortung.

Auf der Tafel an der Kirche steht, Schmähplastiken dieser Art seien besonders im Mittelalter verbreitet gewesen. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“ Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informationen über die Gesamtzahl derartiger Darstellungen. Von anderen Rechtsstreitigkeiten, die sich an einem BGH-Urteil orientieren könnten, weiß man dort nichts.

Schuster: Erklärtafel besser als Entfernung

Zentralratspräsident Josef Schuster hatte der Deutschen Presse-Agentur erklärt, die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen. Das sei bisher nicht ersichtlich. „Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen“, sagte Schuster. Eine Erklärtafel sei besser, als Schmähplastiken zu entfernen und damit zu verleugnen. Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Weitere Klagen angekündigt

Für Kläger Düllmann ist die Angelegenheit mit dem BGH-Urteil womöglich noch nicht erledigt: Er war schon vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht Naumburg gescheitert und ging schon nach der mündlichen Verhandlung am BGH von einer Niederlage aus. Dann werde er aber zum Bundesverfassungsgericht ziehen, sagte der 79-Jährige. Dort gehe es nicht um zivilrechtliche Fragen nach Beleidigung und Unterlassung, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Und sollte auch das nichts bringen, bleibe ihm noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.