Stift Kremsmünster
Stift Kremsmünster / Stefan Kerschbaumer
Stift Kremsmünster / Stefan Kerschbaumer
„Spaltung“

Vertrauensverlust: Experte sieht auch Kirchen gefordert

Das Vertrauen in zentrale Institutionen, wie Politik, Medien und Kirchen sinkt, und auch zwischenmenschlich ortet der Soziologe Jan Wetzel einen Vertrauensverlust. Es brauche mehr gemeinsame Räume, „Orte der Begegnung“, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Kirchen und Religionsgemeinschaften sieht er hier auch gefordert.

Menschen müssen vertrauen, um mit den Unsicherheiten des Lebens umgehen zu können, so der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Wetzel gegenüber religion.ORF.at. Es brauche zwar ein gewisses Maß an Kontrolle, weil aber vieles ungewiss sei, müssen Menschen einander im Alltag einen gewissen Vertrauensvorschuss geben: „Das ist schon immer so ein kleiner Kredit, den man den anderen gibt. Auch deswegen, weil man auch nicht weiß, was für Bedingungen in Zukunft eintreten werden.“

Die Bedeutung von Vertrauen zeige sich dabei nicht nur im Zwischenmenschlichen. Ohne Vertrauen in die politischen Institutionen schwinde die Bereitschaft zur Beachtung der Spielregeln der Demokratie. Kirchen und Religionsgemeinschaften würden ohne Vertrauen ihre moralische Autorität und damit ihren Stellenwert in der Gesellschaft verlieren. Welche Konsequenzen das hat, ist auch Thema der diesjährigen Ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster, bei der Wetzel als einer der Vortragenden teilnimmt.

„Krasse Unterschiede“

Das Vertrauen in der Gesellschaft ist Wetzel zufolge ein komplexes Thema. Daher sei es wichtig genau zu unterscheiden: Das betrifft etwa die Frage in welchem Kontext von Vertrauen die Rede ist. Betrifft es Menschen, die sich gut kennen, spricht die Soziologie von „interpersonalem Vertrauen“. Dieses sei in Krisenzeiten eher stabil oder sogar verstärkt, da man oft gezwungen sei, auf diese Beziehungen stärker als sonst zurückzugreifen.

Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Jan Wetzel
Privat
Jan Wetzel forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Demgegenüber nimmt „generalisiertes Vertrauen“, also jenes zwischen Menschen, die einander nicht kennen, einander aber etwa auf der Straße, im Alltag begegnen, ab. Ebenso sinkt das Vertrauen in Institutionen. Gerade hier würden sich zum Teil aber „krasse Unterschiede“ zeigen. So sei das Vertrauen in die Polizei im deutschsprachigen Raum relativ stabil, das Vertrauen in Politik, Medien und Kirchen wechselhaft. Derzeit sinkt es.

Keine generelle Spaltung der Gesellschaft

Einen allgemeinen Vertrauensverlust sowie eine generelle Spaltung der Gesellschaft, wie sie Wetzel zufolge häufig auch in unterschiedlichen Medien beschworen würden, sieht der Soziologie nicht. Was sich aber zeigen würde, sei „in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen auch Wertorientierungen, immer mehr eine Spaltung zwischen Stadt und Land.“ Den genauen Gründen nachzugehen, sei nun wichtig.

Ebenso zentral sei darüber zu diskutieren, welche Rolle Massenmedien haben. Wetzel: „Ob sie dazu beitragen Konflikte auszugleichen, Meinungen gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen, ohne eben zuzuspitzen.“ Es sei zu überlegen, wie man hier Meinungsvertreter, Influencer und Influencerinnen in die Pflicht nehmen könnte. Vor allem aber zeige sich die Notwendigkeit zu „unterscheiden, wo sich echte Konflikte zeigen und wo nur die Art wie über Themen gestritten wird, diesen Eindruck erzeugt“.

„Kirchen brauchen ein neues Selbstbewusstsein“

Wetzel zufolge könne man Spaltungen entgegenwirken, indem man fördert, dass unterschiedliche Menschen im analogen Leben mehr miteinander in Kontakt kommen: „Etwa durch die Stärkung sozialer Infrastrukturen.“ Denn nur durch die Begegnung mit den „Anderen“ könne auch ein Gefühl dafür entstehen, wer denn eigentlich das Volk, wer die „Anderen“ sind. „Orte der Begegnung“ wären gute Möglichkeiten um das „generalisierte Vertrauen“ wieder zu stärken.

Veranstaltungshinweis

23. Ökumenische Sommerakademie, 13.-15. Juli 2022, Stift Kremsmünster, Anmeldung unter: sommerakademie@ku-linz.at, Anmeldung bis 1. Juli 2022

Hier seien auch Kirchen gefordert, so Wetzel. Dafür sei es auch notwendig, dass sie ein neues Selbstbewusstsein entwickeln und sich die Frage stellen, ob sie sich auch als soziale Einrichtung verstehen können. Wetzel: „Ich glaube, das ist ganz entscheidend, weil sich zeigt, dass auch, wenn Gesellschaft in der Zukunft nicht mehr von Religion dominiert ist, diese trotzdem eine wichtige Rolle spielt. Aber es wird eben eine andere Rolle sein.“ Welche gilt es nun vor allem auch intern zu klären.

Religiöse Räume gemeinsam nutzen

Die zunehmende Pluralisierung stelle vor neue Fragen. Etwa vor jene ob und wie Räume gemeinsam genutzt werden könnten. Dabei könnte der Staat den Aufbau solcher „Orte der Begegnung“ auch dadurch unterstützen, dass er „den bürokratischen Aufwand senkt“, der oft mit der Einrichtung solcher Räume einhergeht.

Wilfried Kuehn mit einem Modell des „Hous of One“
APA/AFP/ John MacDougall
Architekt Wilfried Kuehn mit einem Modell des „House of One“

Als ein positives Beispiel im religösen Bereich sieht Wetzel das „House of One“, das in Berlin gebaut wird und Muslimen, Musliminnen, Juden, Jüdinnen, Christen und Christinnen gleichberechtigt Raum bieten soll. Geplant ist das „House of One“ als Haus des Gebets und der interdisziplinären Lehre, aber auch als „Ort der Begegnung“. Es soll allen Menschen offenstehen und den Austausch von Menschen unterschiedlicher Weltanschauung ermöglichen und fördern.