Heiligsprechungen müssten zudem „ohne Keuschheitsgelübde und Martyrium“ möglich sein, so die Frankfurterin. Der „typische Heilige“ ist laut Reisinger bisher „ein weißer europäischer Priester“. Es fehlten dagegen die afrikanische Mutter, der asiatische Familienvater, die lateinamerikanische Ärztin und der australische Arbeiter.
Solange es einen solchen Mangel gebe, fehle der Kirche etwas Wesentliches. Reisinger äußerte sich im Vorfeld der christlichen Feiertage Allerheiligen und Allerseelen am 1. und 2. November.
Männer und Priester überrepräsentiert
Reisinger bezog sich auf eine Untersuchung, nach der unter den in den vergangenen 122 Jahren zu Heiligen erklärten Personen Männer und dabei noch einmal Priester mit knapp 90 Prozent überrepräsentiert seien.
Reisinger wörtlich: „Dabei besteht die Kirche nicht nur zu 99 Prozent aus solchen ganz normalen Menschen, sondern sie legt seit Jahrzehnten Wert darauf, dass gerade diese Menschen heilig werden können.“
Kritik an „weiblichen Wegen zur Heiligkeit“
Mit Blick auf den aus der Schweiz stammenden Nikolaus von der Flüe fragt Reisinger: „Wäre eine Mutter heiliggesprochen worden, die ihren Mann mit ihren zehn Kindern zurückgelassen hätte, um ein Leben als Einsiedlerin zu führen? Das ist eine Lebensgeschichte, die wohl nur für einen Mann und Vater als vorbildlich gelten kann.“
Im Heiligenkalender gebe es „ebenso wenig ein männliches Pendant zu ‚Heiligen Jungfrauen‘ wie ein weibliches Pendant zu männlichen ‚Hirten‘“. Reisinger kritisierte, Sexualität, Mutterschaft, sexuelle Gewalt und Tod durch einen Vergewaltiger seien „anscheinend weibliche Wege zur Heiligkeit“.
Reisinger selbst Missbrauchsbetroffene
Doris Reisinger (ehemals Wagner) hat als Betroffene sexuellen und geistlichen Missbrauchs seit 2014 diese Themen vor allem als Buchautorin in die Öffentlichkeit gebracht. Besondere Aufmerksamkeit erlangte ein Gespräch mit dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn, das im Frühjahr 2019 im Bayerischen Rundfunk und im ORF ausgestrahlt und dann als Buch veröffentlicht wurde.