Ein Mann in einer Ausgrabungsstätte in Israel
APA/AFP/Galti Tibbon
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Archäologie

Theorie: Judentum-Verbreitung jünger als gedacht

Das Judentum, wie es heute bekannt ist, könnte sich wesentlich später verbreitet haben als bisher angenommen. Diese Theorie vertritt Yonatan Adler, Professor für Archäologie an der Universität Ariel in Israel.

Es gebe keine historischen oder archäologischen Beweise dafür, dass die alten Judäer, ob im Heiligen Land oder in der Diaspora, die Gesetze der Thora bis zum 2. Jahrhundert vor Christus beachteten oder auch nur kannten, wird Adler in der Tageszeitung „Haaretz“ (Dienstag-Ausgabe) zitiert, wie Kathpress und KNA berichteten.

Adlers Buch „The Origins of Judaism“ (Die Ursprünge des Judentums) ist am Dienstag bei Yale University Press erschienen. Der Autor unterscheidet in seiner Analyse zwischen der Entstehungszeit biblischer Texte und ihrer Verbreitung in weiten Teilen der Bevölkerung, schreibt die KNA-Journalistin Andrea Krogmann.

Mit Niederschrift nicht automatisch verbreitet

Die spätestens seit dem 19. Jahrhundert nach der Historizität der biblischen Erzählung und ihrer Entstehungszeit fragende historisch-kritische Forschung leidet laut Adler unter einem Fehler, da sie davon ausgehe, dass ein religiöses Gesetz mit seiner Niederschrift den Menschen automatisch bekannt war und allgemein respektiert wurde. Es sei möglich, dass „die Prinzipien des Judentums viel älter sind“, die Menschen sie jedoch erst sehr spät beachtet hätten.

Adler gründet seine Theorie auf Hinweise außerbiblischer Texte und archäologischer Funde zur Existenz prägender Merkmale des Judentums. Dazu zählt er den Monotheismus, die Ablehnung figürlicher Kunst, Einhaltung von Speise- und Reinheitsvorschriften und Beachtung von Festen wie Sabbat oder Pessach. Daraus leitet der Forscher Erkenntnisse ab, wann die Judäer erstmals in bedeutender Zahl die Gebote der Thora befolgten.

Beweise für Verbreitung jünger als Texte

Bisher galt demnach zahlreichen Wissenschaftlern die Zeit des zweiten jüdischen Tempels ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. als wahrscheinliche Epoche für eine allgemeine Kenntnis der Thoragebote, während die von den Israeliten vorher praktizierte Religion sehr weit vom heute bekannten Judentum entfernt gewesen sei. Bis in die persische Zeit hinein seien etwa Münzen mit figürlichen Motiven geprägt oder unkoschere Fische verzehrt worden. Jedoch tauchten erst ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. jüdische Ritualbäder (Mikwen) und Synagogen sowie textliche Belege für die Einhaltung des Sabbats oder die Feier des Pessachfests auf.

Der Archäologe schließt nicht aus, dass es kleine, archäologisch nicht nachweisbare Gruppen in persischer oder frühhellenistischer Zeit gab, die eine Form des Thoragesetzes befolgten. Es gebe jedoch keine Beweise dafür. Vielmehr verweist Adler auf Gegenbeweise, wonach das heutige Judentum im 2. Jahrhundert v. Chr. Formen annahm. Allerdings nahm das Thoragesetz demnach viele frühe Traditionen der alten Israeliten auf, etwa die Beschneidung.

Wert der biblischen Texte nicht geschmälert

„Die biblische Geschichte selbst besagt, dass das Volk das Gesetz nie beachtet hat. Diese Geschichte ist im Wesentlichen richtig, aber sie wird aus der Perspektive von Leuten erzählt, die meinen, dass die Israeliten die Thora hätten befolgen sollen“, so Adler laut „Haaretz“. Der Wert der biblischen Texte werde durch die kritische Untersuchung nicht geschmälert. Die Tatsache, dass es die Thora gebe, „könnte erklären, wie das jüdische Volk so lange überlebt hat, wo andere Kulturen verschwunden sind“. Zugleich seien die Wurzeln des Judentums der Schlüssel zum Verständnis der anderen monotheistischen Religionen.