Ukraine

Weihnachten im Kriegsgebiet „bewusster denn je“

Trotz der Kriegszerstörung weiter Teile des Landes und der fortdauernden russischen Bombenangriffe wird das Geburtsfest Jesu in der Ukraine nicht ausfallen. Im Gegenteil: Die christlichen Kirchen wollen Weihnachten im Kriegsgebiet „bewusster denn je“ feiern.

So beschrieb es der römisch-katholische Bischof von Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk, am Freitag im Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur Kathpress: „Mehr denn je ist Weihnachten heuer das Fest der Sehnsucht, dass in all die Misere, die wir derzeit erleben, echter Friede kommt“, so der dem Franziskanerorden zugehörige Geistliche.

Eine Folge des Krieges ist nach Ausführungen des Bischofs ein Zusammenrücken der Konfessionen, konkret sichtbar auch beim Weihnachtstermin. „Viele Orthodoxe, die bisher ihr Fest im Jänner hatten, werden heuer zeitgleich mit uns feiern. Dieser Trend, der sich schon in den vergangenen Jahren angedeutet hat, hat sich nun verstärkt“, berichtete Szyrokoradiuk. Zur Erklärung: Orthodoxe Christen und Christinnen, die nach dem julianischen Kalender leben, feiern erst am 6. Jänner den Heiligen Abend, am 7. Jänner Weihnachten.

Weihnachten bei Kerzenlicht

Nachdem das Parlament in Kiew schon 2017 den 25. Dezember zum offiziellen Feiertag erklärt hat, stellte heuer die ukrainisch-orthodoxe Kirche (UOK) – als Signal der Lossagung von Moskau – ihren Priestern und Gläubigen erstmals frei, Weihnachten schon im Dezember zu feiern. Offiziell geändert wurde der Termin noch nicht. „Diese Diskussion wird es erst geben, wenn der Krieg vorbei ist. Heute tun wir, was möglich ist – wir arbeiten zusammen“, sagte der Bischof.

In der römisch-katholischen Kathedrale von Odessa findet am Heiligeb Abend die Christmette bereits um 19.00 Uhr statt, denn um 23.00 Uhr ist Ausgangssperre. Gefeiert wird bei Kerzenlicht, gibt es in der Millionenstadt an der Schwarzmeerküste doch derzeit keinen Strom – und wenn doch, dann nur wenige Stunden pro Tag.

Starker Zulauf in ukrainische Kirchen

Am Christtag gibt es sechs Messen, wie auch sonst an Sonntagen üblich, „denn seit dem Krieg kommen mehr Leute denn je, um hier Hoffnung zu schöpfen. Wir Priester sehen, wie die Leute wieder zum Christentum zurückkommen, nachdem viele von ihnen alles verloren haben: Haus, Arbeit und Angehörige. Aber sie haben Gott gefunden. Doch um was für einen hohen Preis!“, so der Bischof.

Was Bischof Szyrokoradiuk zu Weihnachten den Gläubigen vermitteln will? „Die Hilfe und den Segen Gottes, und dass jeder Christ einen Kampf zu bestehen hat – für seinen Glauben und seine Freiheit, aber auch ganz persönlich gegen die Sünde. Wir dürfen in diesem Kampf angesichts der Probleme, die nur zeitlich sind, die Geduld und die Hoffnung nicht verlieren. Wir haben keine andere Wahl.“

Zerstörte Kirchen

Auch in jenen Teilen der Region des Oblast Cherson, der kürzlich nach monatelanger russischer Besatzung befreit wurde, werden dieses Wochenende römisch-katholische Weihnachtsgottesdienste gefeiert, und sogar in den von Russland besetzten Gebieten. Dort freilich unter teils noch schwierigeren Bedingungen, wie der Bischof darlegte: „Leider sind vier unserer Kirchen zerstört worden. Eine davon ist heute eine komplette Ruine, eine hat kein Dach und keine Fenster mehr, eine Kapelle ist zu 50 Prozent beschädigt.“

Auch Odessa selbst, wo es derzeit viele Flüchtlinge aus den befreiten Gebieten gibt, erlebt weiterhin russische Luftangriffe. Rund 50 Drohnen sind es derzeit pro Tag, wobei nur etwa die Hälfte rechtzeitig durch das Luftabwehrsystem abgefangen werden kann. Ziel dieser Anschläge ist vor allem die Infrastruktur, um die Stromversorgung und Leitungssysteme lahmzulegen. Die Schäden würden meist sofort repariert, doch schon wenige Tage später erneut durch weitere Angriffe zerstört, so der Bischof. „Der Schaden ist zwar in der Regel nicht allzu groß, aber beständig. Diese Zermürbungstaktik ist reiner Terrorismus.“

Odessa: Ohne Wasser, Strom und Heizung

Die Folge ist, dass es in Odessa schon seit zwei Wochen, wenn überhaupt, dann nur zwei bis drei Stunden Strom gibt – und damit auch kein Internet, keine Heizung und teils auch kein Wasser. „Auch beim Transport funktioniert nur, was nicht elektrisch angetrieben wird“, erklärte Szyrokoradiuk.

In den Innenräumen habe es in Odessa zehn bis zwölf Grad. In der Hafenstadt herrschen nur dank ihrer Lage am Meer „mildere“ Wintertemperaturen. Im kontinentalen Landesinneren hingegen, darunter auch etwa in Kiew, kann die Temperatur eisige minus 20 Grad Celsius und sogar noch darunter betragen, wenngleich auch dort aktuell Temperaturen im Plusbereich herrschen.

Seelsorge und Hilfe

Auch über Weihnachten ist Bischof Stanislaw, ebenso wie seine Priester und Mitarbeiter der Caritas-Spes, mit der Seelsorge und vor allem mit der humanitären Hilfe beschäftigt. Tausende Lebensmittelpakete werden geschnürt, denn: „Die Nahrung ist derzeit das Wichtigste, weiters auch die Versorgung mit warmen Decken und Winterbekleidung sowie Medikamente und finanzielle Unterstützung.“

Möglich seien die Hilfeleistungen durch die Solidarität aus dem Westen Europas und aus Amerika, die für die Menschen vor Ort von großer Bedeutung sei, wie der Bischof betonte und zugleich allen Wohltätern dankte. Sein Weihnachtswunsch an die nicht direkt vom Krieg betroffenen Menschen schließt sich dem Aufruf von Papst Franziskus an: „Wichtig wäre, noch mehr für die Ukraine zu beten, gerade zu Weihnachten. Und natürlich auch das christliche Mitgefühl zu zeigen. Wir sind momentan auf Hilfe von außen angewiesen“, so Bischof Szyrokoradiuk.