Vatikan

Drei Szenarien für eine Kirche nach Benedikt XVI.

Nach dem Tod von Benedikt XVI. stellen sich viele die Frage, welchen Einfluss das Ableben des emeritierten Papstes auf die römisch-katholische Kirche haben könnte. Der Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück skizziert in der „Furche“ (aktuelle Ausgabe) drei mögliche Szenarien.

Welchen Weg wird Papst Franziskus der Weltkirche nach dem Tod Benedikts XVI. aufzeigen? Wie wird er Reformen forcieren oder seinen Weg wie bisher fortsetzen Tück sieht ein Szenario forcierter Reformgeschwindigkeit, nachdem Papst Franziskus nun nicht mehr auf seinen Vorgänger Rücksicht nehmen müsse, ein Szenario der Fokussierung auf die laufenden/begonnenen Projekte wie den Synodalen Prozess und schließlich ein Szenario des vorzeitigen Rücktritts „nach einer Schonfrist“. Am wahrscheinlichsten erachte der dabei das zweite Szenario, so Tück.

Prinzipiell wäre eine Beschleunigung im kirchlichen Reformtempo denkbar, führte Tück aus. Nachdem sich Benedikt XVI. häufig und pointiert gegen eine „Reformagenda“ ausgesprochen hat, die Lockerungen beim Zölibat, die Einführung eines Diakonats der Frau, Revisionen der kirchlichen Sexualethik und mehr Mitspracherechte für Laien vorsieht, könnte Franziskus dies nun „freier und forscher“ angehen, nachdem er keine „Rücksicht auf seinen Vorgänger“ mehr nehmen müsse. Tatsächlich hätte sich Benedikt ja auch nach seiner Emeritierung immer wieder theologiepolitisch zu Wort gemeldet, etwa rund um die Familiensynode 2014/15 oder die Amazonien-Synode 2019.

„Reformer versus Bremser“-Narrativ falsch

Das „Narrativ“ des Reformers auf der einen Seite und des Bremsers auf der anderen Seite, das auch „in den Medien beliebt“ sei, greife jedoch zu kurz, mahnte Tück. Schließlich unterscheide sich Franziskus eher im Stil seiner Amtsführung von Benedikt XVI. als in den theologischen Grundauffassungen. Als „realistischeres Szenario“ bezeichnete der Dogmatiker daher jenes, dass sich Franziskus angesichts schwindender Kräfte auf den Abschluss der begonnenen Projekte – vorrangig jenes des Synodalen Prozesses – fokussieren wird.

Die damit verbundenen Herausforderungen seien enorm („Wie soll dieses dissonanzträchtige Stimmengewirr zu einer wohlkomponierten Symphonie werden?“). Umso mehr bedürfe es einer „geschickten Navigationskunst, um den Ruf nach nachholender Selbstmodernisierung des Katholizismus mit den Moderne-skeptischen Stimmen zu versöhnen“. Tück: „Franziskus wird all seine Kräfte bündeln müssen, um dieses Projekt zu Ende zu bringen“. Zudem erwarte er vom Papst auch noch Impulse für das „Jubiläumsjahr 2025“, in dem des 1.700-Jahr-Jubiläums des wichtigen ersten ökumenischen Konzils von Nizäa gedacht werden wird.

„Ausgezehrter Pontifex“

Denkbar sei schließlich aber auch ein Rücktritt „nach einer Schonfrist“, so Tück abschließend. Schließlich sei im Zuge der Trauerfeierlichkeiten für Benedikt XVI. ein „gesundheitlich angeschlagener und ausgezehrter Pontifex sichtbar geworden“, dem man die Last seines Amtes zunehmend ansehe. Die „Strahlkraft des Anfangs ist verblasst“, attestierte der Theologe nüchtern, „und mit 86 Jahren dürfte es selbst für Franziskus schwierig sein, der krisengeschüttelten Kirche neuen Schwung zu geben.“

Sollte sich seine Gesundheit verschlechtern, sei daher „ein Rücktritt vorstellbar.“ Eine Gefährdung des Projekts des Synodalen Prozesses sieht Tück dadurch nicht – schließlich habe auch der hochbetagte Papst Johannes XXIII. die Agenden des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) seinem Nachfolger überlassen, „ohne dass das Konzil deshalb Schiffbruch erlitten hätte.“