Papst Benedikt XVI.
Reuters/Tony Gentile
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„Was ist das Christentum?“

Buch von Benedikt XVI. birgt Diskussionspotenzial

Das postum erschienene Buch „Che cos’e il Cristianesimo“ („Was ist das Christentum?“) des früheren Papstes Benedikt XVI. birgt Potenzial für Diskussionen: Die 16 Texte enthalten zum Teil sehr kritische Überlegungen über den Protestantismus, den Koran und die „Gender-Ideologie“.

Das seit Mittwoch im Buchhandel zunächst nur in italienischer Sprache erhältliche Buch enthält Texte aus der Zeit nach Benedikts Rücktritt vom Papst-Amt 2013. Die meisten wurden um das Jahr 2018 verfasst, der letzte 2022.

Eine gemeinsame Mahlfeier von Katholiken und Protestanten halte er wegen grundlegender Unterschiede für unmöglich, so der als Joseph Ratzinger geborene ehemalige Papst. Seine Überlegungen zu diesem Thema hielt er in einem der nun postum erschienenen Aufsätze fest. Teile davon waren bereits 2020 in einem Buch erschienen, das zu großen Teilen Kardinal Robert Sarah geschrieben hatte.

Mahlfeier mit Protestanten „unmöglich“

Die Auseinandersetzung mit dem Protestantismus ist jedoch neu. Benedikt XVI. beklagt in dem jetzt veröffentlichten Text, dass sich das Zweite Vatikanische Konzil (1962—1965) „nicht mit der grundsätzlichen Infragestellung des katholischen Priestertums durch die Reformation des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt“ habe.

Das sei eine verborgene „Wunde, die sich nun bemerkbar macht und die nach meiner Ansicht nun endlich einmal offen und grundsätzlich angegangen werden muss“. Der ehemalige Papst gibt zu bedenken, dies sei „ebenso wichtig wie schwierig, weil daran das gesamte Problem der Schriftauslegung hängt, deren Hermeneutik durch Luther definiert wurde“.

Diskussion um Luthers Priester-Begriff

Benedikt XVI. sieht Luthers grundsätzlichen Fehler darin, dass er einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem Priester-Begriff des Alten Testaments und dem von Jesus gestifteten Priestertum konstruiere. Luthers gesamte Konstruktion gründe auf dem Kontrast von Gesetz und Evangelium, zwischen Rechtfertigung durch Werke und Rechtfertigung allein durch den Glauben.

In Wahrheit habe aber schon die frühe Kirche das Priestertum des Alten Testaments mit den Dienstämtern des Neuen Testaments verbunden und die Rechtfertigung durch Glauben und durch Werke nicht als Gegensatz gesehen. Wegen ihrer völlig entgegengesetzten theologischen Grundlagen „sei es ganz klar, dass ‚Abendmahl‘ und ‚Messe‘ zwei grundverschiedene Formen des Kults sind, die einander von ihrem Wesen her ausschließen. Wer heute die Interkommunion predigt, sollte sich daran erinnern“, so die postume Mahnung des ehemaligen Papstes, der am Silvestertag verstorben ist.

Innerkatholische Diskussion um Messopfer

Zu innerkatholischen Streitigkeiten um das Messopfer merkte Benedikt an, bei der Liturgiereform nach 1969 hätten „Luthers Thesen unausgesprochen eine gewisse Rolle gespielt, so dass manche Kreise behaupten konnten, das Dekret des Konzils von Trient über das Messopfer sei stillschweigend abgeschafft worden“. Er äußerte daher die Vermutung, dass die Härte des Widerstands gegen die Alte Messe zum Teil auch daher komme, „dass manche in ihr eine nicht mehr akzeptable Vorstellung von Opfer und Sühne am Werk sahen“.

Veröffentlichung postum geplant

Das „spirituelle Fast-Testament“, wie es im Untertitel heißt, enthält neben bereits veröffentlichten Texten, Interviews und Briefwechseln auch Material, das bislang nicht öffentlich zugänglich war. Erschienen ist die italienische Erstausgabe im Verlag Mondadori. Laut den Herausgebern hat sich Benedikt XVI. zwingend ausbedungen, dass das Buch erst nach seinem Tod veröffentlicht wird.

Kritik an „Großmächten der Toleranz“

In „Was ist das Christentum?“ kritisiert Benedikt XVI. auch ein aus seiner Sicht falsches Toleranzverständnis vieler westlicher Staaten. Die „Großmächte der Toleranz“ räumten dem Christentum die von ihnen propagierte Toleranz nicht ein, so seine Kritik. Mit ihrer „radikalen Manipulation des Menschen“ und „der Verzerrung der Geschlechter durch die Gender-Ideologie“ stellten sie sich klar gegen das Christentum, heißt es laut Kathpress in einem Aufsatz.

Buchhinweis

Benedetto XVI.: „Che cos’e il Cristianesimo“, Mondadori-Verlag (in italienischer Sprache)

In dem Ende 2018 verfassten Text erklärte Benedikt XVI. weiter: „Die Intoleranz dieser scheinbaren Modernität gegenüber dem christlichen Glauben ist noch nicht in offene Verfolgung umgeschlagen, und doch zeigt sie sich in zunehmend autoritärer Weise mit dem Ziel, durch entsprechende Gesetzgebung die Auslöschung dessen zu erreichen, was wesentlich christlich ist.“

Benedikt XVI.: „Christentum selbst nicht intolerant“

Die Kritik, dass der christliche Glaube durch seinen Wahrheits- und Universalitätsanspruch selbst intolerant sei, teilte Benedikt XVI. nicht. Dieser Auffassung liege der Verdacht zugrunde, dass Wahrheit selbst gefährlich sei. Stattdessen sei aber Toleranz im Wesen der Wahrheit verankert, so das ehemalige Kirchenoberhaupt. Gesellschaften, die sich gegen die Wahrheit stellten, seien intolerant.

Kritik an muslimisch-christlichem Dialog

In seinem Buch kritisiert das frühere Kirchenoberhaupt zudem einige gegenwärtige Versuche zum Dialog von Christen und Muslimen. Diese seien oft gekennzeichnet von der „ungenügenden Kenntnis der heiligen Schriften“ beider Religionen. Ferner sei dieser Dialog häufig „strukturell falsch aufgestellt“.

So werde einerseits betont, dass sowohl in der Bibel wie auch im Koran die Rede sei von der Barmherzigkeit Gottes. Daraus werde der Imperativ der Nächstenliebe abgeleitet. Dann werde aber auch festgestellt, dass sich in beiden Texten Aufrufe zur Gewalt fänden. Und schließlich stelle man sich gewissermaßen über beide Religionen und stelle fest, dass es in beiden Gutes und Schlechtes gebe und es deshalb nötig sei, Bibel und Koran in einer Hermeneutik der Liebe zu lesen und sich mit Blick auf beide der Gewalt entgegenzustellen.

Benedikt XVI.: „Christlicher Glaube keine Buchreligion“

Auf diese Weise, so die Kritik des früheren Papstes, würden aber verschiedene Ebenen vermischt. Anders als die Bibel sei der Koran ein einziges Buch. Es werde von den Muslimen als direkte Inspiration Gottes angesehen und beanspruche deshalb eine von Gott ausgehende Autorität.

Die Bibel hingegen sei eine über etwa tausend Jahre gewachsene Sammlung von Schriften. Diese seien nach dem Glauben von Juden und Christen nicht unmittelbar von Gott diktiert. Ihre Autorität entwickle sich immer nur in der Interpretation des Weges, den das Volk Gottes unter seiner Führung zurückgelegt habe. Insofern sei der christliche Glaube keine „Buchreligion“. Wer diese strukturellen Unterschiede betrachte, werde sich vor übereilten Parallelen zwischen den beiden Religionen hüten.