Skyline von München vor den Alpen mit der Zugspitze. Im Bild sind drei Kirchen zu sehen.
APA/dpa/Peter Kneffel
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Missbrauch

D: Kirchenrechtler erwartet Klagewelle gegen Kirche

Der deutsche Kirchenrechtler Thomas Schüller erwartet eine Klagewelle von Missbrauchsbetroffenen gegen die katholische Kirche. Grund könne sein, dass sich zwei Erzbistümer nicht auf die Verjährung berufen wollen.

Dass sich nach dem Erzbistum Köln nun auch das Erzbistum München und Freising dazu entschieden habe, in Haftungsfragen keine Verjährung geltend zu machen, könne „zu einer Klagewelle auch in anderen Bistümern bei vergleichbar gelagerten Fällen“ führen, sagte Schüller der dpa am Mittwoch.

Sollte es dazu kommen, sieht er vor allem Bistümer, die nicht so reich sind wie die in Köln und München, in finanzieller Bedrängnis. „Eine Reihe von Bistümern wird nicht lange in der Lage sein, die durch staatliche Gerichte verfügten Summen, die wie in Köln bis 800.000 Euro gehen können, zu bedienen, ohne nicht substanziell Vermögenswerte wie Immobilien veräußern zu müssen“, sagte Schüller.

Verzicht auf Verjährung

Das Erzbistum München und Freising hatte am Mittwoch mitgeteilt, sich nach der Klage eines Missbrauchsopfers vor dem Landgericht Traunstein nicht auf Verjährung zu berufen und sagte dem Mann Schmerzensgeld und gegebenenfalls auch Schadenersatz zu. In einem ähnlichen Fall hatte das Erzbistum Köln zuvor ebenso darauf verzichtet, sich auf eine Verjährung zu berufen.

Die bisher freiwillig gezahlten Summen bis 50.000 Euro seien in vielen Fällen angesichts der vielfältigen seelischen und somatischen Verletzungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagte Schüller. „Von daher werden jetzt viele Opfer sexualisierter Gewalt den staatlichen Klageweg einschlagen.“

„Bereit zur Anerkennung des Leids“

In München geht es um einen der zentralen Fälle aus einem Missbrauchsgutachten, das im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgte. „Die Erzdiözese München und Freising hat ihre Klageerwiderung in der Feststellungsklage vor dem Landgericht Traunstein fristgerecht eingereicht und erhebt die Einrede der Verjährung nicht“, teilte das Bistum am Mittwoch mit.

„Die Erzdiözese ist bereit, zur Anerkennung des Leids des Klägers ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüberhinausgehende Schadensersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden“, hieß es in der Mitteilung weiter. „Die Erzdiözese bedauert das dem Kläger und anderen Missbrauchsbetroffenen widerfahrene Leid zutiefst.“

Feststellungsklage eingereicht

Kritiker, die eine Aufarbeitung von Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche vor der Justiz fordern, hatten befürchtet, das Bistum könnte sich auf Verjährung berufen und sich einem Verfahren vor dem Landgericht Traunstein so entziehen.

Bei dem Kläger handelt es sich um einen Mann, der angibt, von dem verurteilten Wiederholungstäter Priester H. in Garching an der Alz missbraucht worden zu sein. Seine Zivilklage, eine sogenannte Feststellungsklage, richtet sich gegen vier Beschuldigte: den mutmaßlichen Täter, das Erzbistum und die früheren Erzbischöfe Kardinal Joseph Ratzinger (der spätere Papst Benedikt XVI.) und Kardinal Friedrich Wetter.

Ziel der Klage ist unter anderem, festzustellen, ob Bistumsverantwortliche Taten vertuscht und so weitere Taten des Priesters möglich gemacht haben. Bei dem Fall H. handelt es sich um einen der zentralen Fälle aus dem vor einem Jahr vorgestellten Gutachten über sexuelle Gewalt im Erzbistum München und Freising.

Missbrauchstäter mehrfach versetzt

Der Geistliche war in den 1980er Jahren aus Nordrhein-Westfalen nach Bayern versetzt worden, obwohl es zuvor Missbrauchsvorwürfe gegeben hatte. Selbst als der Mann nach weiteren Taten in Grafing bei München rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde, wurde er ein weiteres Mal versetzt: nach Garching an der Alz, wo niemand von seinen Taten wusste – und der Pfarrer erneut Kinder missbrauchte.

Nach dem Tod Ratzingers, des emeritierten Papstes Benedikt XVI., ruht das Verfahren gegen ihn, bis ein Rechtsnachfolger bestimmt ist. Das Verfahren gegen die anderen drei Beklagten läuft unverändert weiter, in der Nacht zu Mittwoch lief für die drei übrigen Beklagten die Frist zur Klageerwiderung ab. Das Gericht hat als Termin für die mündliche Verhandlung den 28. März vorgeschlagen.