Räume des jüdischen Museums. Ausgestellt ist ein gelber Davidstern.
Ouriel Morgensztern
Ouriel Morgensztern
„100 Missverständnisse“

Kritik an Schau im Jüdischen Museum reißt nicht ab

Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat sich in der Kontroverse über die Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“, nun kritisch zu Wort gemeldet. Er ortet mangelnde Recherche und Pietätlosigkeit. Beim Museumsbesuch sei vielen das Lachen vergangen.

„Das vielleicht größte Manko der Ausstellung ist die verkürzte Darstellung dessen, was als Missverständnis angeprangert werden soll“, schreiben der Präsident des Koordinierungsausschusses, der katholische Theologe Martin Jäggle, und dessen jüdischer Vizepräsident Willy Weisz in einem Kommentar auf der Webseite des Ausschusses.

Die erste große Ausstellung unter der neuen, seit Sommer amtierenden JMW-Direktorin Barbara Staudinger sollte jüdische Stereotype augenzwinkernd in den Fokus rücken, kitschige Klischees parodieren und neue Wege des Erinnerns eröffnen, die aus dem Rahmen einer vermeintlich „angemessenen“ Erinnerungskultur fallen. So hieß es in der Ankündigung zur Schau, die noch bis 4. Juni zu sehen ist. Dabei musste sich Staudinger bereits rasch nach der Eröffnung im vergangenen Dezember scharfer Kritik stellen.

Schoah-Überlebende: „Nichts rechtfertigt Hetze“

„Ein großer Teil des jüdischen Publikums empfindet die Ausstellung in ihrer jetzigen Form als untragbar“, konstatierte etwa Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Publizist Paul Lendvai verlangte gar die Schließung der Schau.

Die Kontroverse eskalierte bis zu persönlichen Angriffen auf die Historikerin und Judaistin Staudinger, sodass neun österreichische Holocaust-Überlebende in einem Offenen Brief zu Sachlichkeit aufriefen: „Kritik ist immer wichtig“, schrieben sie darin, „aber nichts rechtfertigt Rufmord und Hetze“.

Die Direktorin des Jüdischen Museums Barbara Staudinger
APA/Robert Jäger
Die neue Direktorin Barbara Staudinger wurde auch persönlich kritisiert. Holocaust-Überlebende mahnten zur Sachlichkeit.

Vorwurf: Mangel an Recherche

Weisz und Jäggle attestieren der Ausstellung nun in ihrer Abhandlung auch einen Mangel an Recherche. „So sind einige Aussagen zu Vorschriften für koschere Lebensmittel einfach falsch: künstliche Zusatzstoffe sind, solange sie nicht tierischen Ursprungs sind, in koscheren Speisen sehr wohl erlaubt, und ein Kaschrut-Verbot gentechnisch veränderter Pflanzen und Tieren gibt es auch nicht“, schreiben die Ausschuss-Präsidenten.

Auch die Aussage, dass Mirjam zusammen mit den Frauen singend durch das Rote Meer gezogen sei, entspreche keinem Bibelzitat, sondern der Fantasie der Autorin; „der Gesang am Meer sowohl von Moses wie danach von Mirjam wurde nach dem Durchqueren des Meers angestimmt“, erläutern Weisz und Jäggle.

Beim Besuch „das Lachen vergangen“

Über weite Strecken löse die Ausstellung ihr Anliegen ein, bringe bemerkenswerte (Kunst-)Werke erstmals nach Wien, rege zum Nachdenken und zum Schmunzeln an. „Doch zu vielen ist beim Besuch das Lachen vergangen“, konstatiert der jüdisch-christliche Ausschuss. Einige Kunstwerke provozierten, „was ja auch Aufgabe von Kunst ist, durch Tabubruch, um etablierte Praktiken und Einstellungen aufzubrechen“.

Das treffe besonders für das Video der australischen Künstlerin Jane Korman „Dancing Auschwitz“ zu, in dem die Künstlerin, ihr Vater und Auschwitz-Überlebender sowie dessen Enkelkinder in Auschwitz und anderen Vernichtungsorten auf Erde mit der Asche der Ermordeten, also der einzig für sie vorhandenen Gräber, tanzen. Es sei nachvollziehbar, dass in Wien, „das als ‚Täter-Hauptstadt‘ bis heute kein Schoah-Museum hat“, das Video primär empöre.

„Provozierend“ und „verstörend“

Dabei sei „Dancing Auschwitz“ bei Weitem nicht das einzig provozierende Kunstwerk der Schau, befinden Weisz und Jäggle: „Die Collagen eines Bildes von Leichen aus den Todeslagern mit dem eines nackten Frauenhintern oder eines Bildes von ausgemergelten KZ-Insassen mit der Werbung für ein Getränk sind nicht mehr provokant, sondern wegen ihrer Pietätlosigkeit nur verstörend.“

Die Beziehung des Textes zum jeweiligen „Missverständnis“ erschließe sich in der Ausstellung nicht immer. Das Objekt „Jüdinnen und Juden dürfen Israel nicht kritisieren“ werde etwa erläutert mit: „Wenn Jüdinnen und Juden es wagen, zu widersprechen“, was eigentlich einer Bestätigung gleichkomme. Die dortigen „antizionistischen Begleitschilder“ – laut Direktorin Staudinger „leider durchgerutscht“ – mussten aufgrund der Kritik abgeändert werden.

Jüdinnen und Juden als Kontrollinstanz

Das Objekt „Der christlich-jüdische Dialog ist ein Dialog“ werde hingegen klassisch museal abgehandelt. Das abgebildete „Kennenlernquiz“ des „lesbischfeministischen Schabbeskreises“ aus den 1980er-Jahren helfe heute noch, Unsicherheit in der Begegnung mit Jüdinnen und unangemessene Erwartungen aufzudecken, verdecke aber den Stand des christlich-jüdischen Dialogs im 21. Jahrhundert und führe so letztlich doch in die Irre, bemängeln die Religionsdialog-Experten.

Abschließend empfehlen Jäggle und Weisz – „als einen Beitrag zum Dialog“ -, religiöse Aussagen oder solche zu jüdischem Leben von Jüdinnen und Juden gegenlesen zu lassen. „Dies könnte einige falsche Aussagen verhindern.“ Staudinger selbst habe angekündigt, in die Ausstellung in den kommenden Wochen „eine weitere textliche Kontextebene“ einzuziehen.