Vier Jugendliche sitzen an einem Ufer
Pixabay/florentiabuckingham
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Ratgeber

Ohnmacht: Umgang mit einem unguten Gefühl

Wie umgehen mit Ohnmachtsgefühlen? Diese Frage stellt sich die katholische Ordensfrau Melanie Wolfers und versucht in einem neuen Buch aufzudröseln, was dieser Kontrollverlust eigentlich ist und wie man ihm begegnen kann.

Derzeit gibt es mit der Klimakrise, dem Krieg in der Ukraine und einigen anderen Krisenherden auf der Welt sowie mit den wirtschaftlichen Veränderungen mit Wohlstandsverlust gleich mehrere Entwicklungen, auf die viele, besonders junge, Menschen mit Angst und Unbehagen reagieren.

Das Gefühl, ausgeliefert und machtlos zu sein, ist nicht nur individuell unangenehm, sondern schafft aus Wolfers’ Sicht auch eine demokratiepolitisch bedenkliche Lage, weil dieses Empfinden in eine entmündigte, unpolitische und unethische Haltung führen könne. Um das zu verhindern, empfiehlt die Autorin in ihrem neuen Buch „Nimm der Ohnmacht ihre Macht. Entdecke die Kraft, die in dir wohnt“, sich den Ohnmachts- und Verlustgefühlen zu stellen, sie kritisch zu analysieren und bewusst mit ihnen umzugehen.

Ohnmächtig fühlen heißt nicht, ohnmächtig sein

Denn es bestehe die Gefahr, dass sich eine Negativspirale entwickelt, die die Situation noch schlechter erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist. Sich ohnmächtig zu fühlen heiße nämlich noch lange nicht, tatsächlich ohnmächtig zu sein, so Wolfers im Interview mit religion.ORF.at.

Melanie Wolfers
Ulrik Hölzel
Melanie Wolfers ist Ordensfrau im Salvatorianerinnen-Orden

Melanie Wolfers schreibt ihre Ratgeber immer aus einem persönlichen Anliegen heraus und nimmt Bezug auf die Themen, die ihr in ihren seelsorgerlichen Gesprächen mit jungen Erwachsenen begegnen. Dabei beschäftige sie immer wieder die Frage: Woher kann die Kraft kommen, in entscheidenden Momenten nicht aufzugeben, sagt sie gegenüber religion.ORF.at.

Veranstaltungshinweis

Melanie Wolfers ist am 20. April 2023 zu Gast im Radiokulturhaus in Wien.

Handlungsspielraum vor einer Reaktion

„Natürlich, die Dinge selbst bleiben, wie sie sind“, und es gehe auch nicht darum, allem Schlechten etwas Gutes abzugewinnen, so Wolfers. Entgegen der neoliberalen Dynamik von „immer schneller, weiter, höher“ und der damit verbundenen Ausklammerung von Schwäche und Grenzen, setzt die Autorin auf die Integration von negativen Aspekten des Daseins – und zwar um die Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Das sei aber nicht gleichzusetzen mit der häufig propagierten Selbstoptimierung, weil dabei die eigenen Grenzen eben nicht berücksichtigt würden. Eine ständige Selbstoptimierung sei eine „unrealistische Wunschvorstellung sowie eine heillose Selbstüberforderung“. „Aber unsere Gedanken bestimmen unser Erleben und Handeln mit.“ Im Buch zitiert die Bestseller-Autorin den Psychologen Viktor Frankl, der in dem Zeitraum zwischen einem Reiz und der Reaktion darauf ein Stück Freiheit sah, in dem die Art der Reaktion gewählt werden kann. Also entweder destruktiv oder aber konstruktiv.

Buchcover „Nimm der Ohnmacht ihre Macht“ von Melanie Wolfers
Verlag bene!

Buchhinweis

Melanie Wolfers: Nimm der Ohnmacht ihre Macht. Entdecke die Kraft, die in dir wohnt, bene! 2023, 205 Seiten, 19,60 Euro.

Ohnmachtsgefühle nicht nur negativ

Für die Überwindung des Ohnmachtsgefühls hat die Ordensfrau zwar „keine glatte Lösung“. Doch sich dem Gefühl zu stellen, sei ein wichtiger Schritt. Weiters helfe es, die Quellen der der eigenen Kraft zu entdecken. „Wer hätte zu Beginn von 2018 gedacht, dass ein junges schwedisches Mädchen eine globale Klimabewegung anstößt, die schon viel bewirkt hat?“

Wolfers beschreibt Ohnmacht und Hilflosigkeit als zum Leben dazugehörig und auch als nicht ausschließlich negativ, sondern als Warnung, wann es geboten ist, sich zu ergeben, Widerstand also zwecklos ist. In bestimmten Situationen könne das lebensnotwendig sein, und manches müsse durchgestanden und ausgehalten werden. Danach ergibt sich nach dieser Rechnung wieder der kleine Spielraum, in dem man handeln kann, so die Theorie.

Vertrauen auf ein größeres Ganzes

Als Ordensfrau fühlt sich die Autorin in ein großes Ganzes eingebettet, vertraut auf die Bibel und kann auf ein Urvertrauen zurückgreifen. Religiös zu sein kann also in Momenten der Perspektiv- und Orientierungslosigkeit Halt geben. Übungen, die positiven Dinge des Lebens und Alltags zu sehen und daraus ein gewisses Maß an Zuversicht zu schöpfen, können aber auch nichtreligiöse Menschen üben.

Sieben Grundhaltungen sind laut Wolfers dafür hilfreich: Dankbarkeit, Freude, Vertrauen, Verzeihen, Zuversicht, tatkräftiges Hoffen und Innehalten. Diese Haltungen könne sich jede und jeder aneignen, denn es handle sich nicht um Eigenschaften, die jemand hat oder nicht. Das neue Buch hält verschiedene Zugänge parat, eigene, selbstwirksame Kräfte aufzuspüren.

Sich selbst und andere stärken

Um Positives zu stärken, könne man beispielsweise ein Dankbarkeitstagebuch führen. Und man solle sich bewusst Freude erlauben, so Wolfers mit Verweis auf Desmond Tutus gemeinsam mit dem Dalai Lama 2016 herausgegebenes „Buch der Freude“. Ein zentraler Punkt sind auch die Gemeinschaft und stabile zwischenmenschliche Beziehungen, die es zu pflegen gelte. Damit stärkt man sich nicht nur selbst, sondern auch die anderen.