Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios und Papst Franziskus nebeneinander auf Stühlen sitzend
APA/AFP/Marco Bertorello
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Krieg

Ukraine: Positionen von Vatikan und Konstantinopel

Der Heilige Stuhl in Rom und das orthodoxe Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel nehmen unterschiedliche Positionen zum Ukraine-Krieg ein. Darauf wies der Lemberger Theologe Pavlo Smytsnyuk im Zuge einer Tagung an der Universität Wien hin.

Für den Vatikan sei seine Neutralität ein „unverzichtbares Instrument zur Vermittlung zwischen Kriegsparteien“, erklärte der am Department of Religion der Universität Princeton lehrende ukrainische Wissenschaftler im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress am Dienstag. Ein Besuch des Papstes im Kriegsgebiet würde „zum Zusammenbruch der neutralen Position führen“. Demgegenüber fühle sich Konstantinopel „mehr involviert“ und unterstütze die ukrainische Seite ausdrücklich, so der Experte.

Smytsnyuk äußerte sich als einer von 30 Teilnehmenden an der interdisziplinären Konferenz „War in Ukraine – Theological, Ethical and Historical Reflections“, die die Wiener Katholisch-Theologische Fakultät in der Vorwoche veranstaltete.

Ethische Fragen zum Krieg

Der Krieg in der Ukraine werfe viele ethische Fragen auf, einschließlich der Bewertung von Kriegsgewalt, Folter und Waffenlieferungen, „weshalb die Einschätzungen verschiedener Kirchen wichtig sind“, wie Smytsnyuk festhielt. Dem Heiligen Stuhl hielt er zugute, „als Stimme der Moral und des Gewissens“ zu agieren. Der Konflikt in der Ukraine werde vom Vatikan deutlicher als frühere Kriege kommentiert, es werde für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen votiert und für die Opfer und gefallene Soldaten gebetet.

Papst hinterfragte „gerechten Krieg“

In der Soziallehre der katholischen Kirche gibt es das Konzept des „gerechten Krieges“, das besagt, dass im Falle eines böswilligen Angriffs auf die Souveränität eines Landes, der Verletzung der Menschenwürde, einer niederträchtigen Kriegsführung und der Tötung unschuldiger Menschen, die Verteidigung und der Schutz der Opfer, gerechtfertigt sein können – notfalls mit gewaltsamen Mitteln.

Wie der Theologe erinnerte, habe Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ in Bezug auf die Lehre vom gerechten Krieg „eine gewisse Distanz eingenommen“ und argumentiert, dass Krieg immer blutig und zerstörerisch ist und dass Waffen, selbst wenn sie zur Verteidigung eingesetzt werden, noch mehr Leid und Zerstörung verursachen.

Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau

Das von Ökumenischen Patriarchen Barthlolomaios I. geführte Patriarchat von Konstantinopel wiederum sprach der eigenständigen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) bereits 2019 deren Autokephalie zu, wodurch es indirekt in Konflikt mit der Russisch-Orthodoxen Kirche geriet. „Angesichts dessen hatte Konstantinopel gar keine Hoffnungen, im aktuellen Konflikt eine vermittelnde Funktion erfüllen zu können“, erläuterte Smytsnyuk.

Wenig Perspektive für UOK

Die Propaganda des Kremls habe sich der russischen Kirche zur Legitimierung und Rechtfertigung ihrer Politik schon seit geraumer Zeit bedient, wies der Theologe im Kathpress-Interview hin. Der Moskauer Patriarch Kyrill sehe den Krieg als „metaphysischen Kampf gegen die ausschweifende westliche Kultur“.

Der neben der nun autokephalen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) existierenden Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) traut Smytsnyuk keine gute Zukunftsperspektive zu. Obwohl sie sich unter Metropolit Onufrij noch im Mai 2022 vom Moskauer Patriarchat für unabhängig erklärte und den Angriffskrieg von Beginn an verurteilte, werde sie von den Gläubigen zunehmend abgelehnt. Belastend seien auch bekannt gewordene Kollaborationen zwischen Geistlichen der UOK und dem russischen Militär. Nichtsdestotrotz wäre es ein Fehler, diese Kirche zu verbieten, sagte der Theologe.

Versöhnungsprozess nach Kriegsende

Laut Smytsnyuk, der seit seiner Studienzeit in Russland mit einigen Orthodoxen „noch immer gute freundschaftliche Beziehungen“ pflegt, müsse – auch theologisch – die Herausforderung bestanden werden, nach Kriegsende einen Versöhnungsprozess einzuleiten: „Russland wird, und sei es nur geographisch, unser Nachbar bleiben, und wir werden lernen müssen, wie wir damit umgehen.“

In der Ukraine höre man oft, dass alle Russen an diesem Krieg schuld seien. Smytsnyuk wandte sich in dem Interview gegen solche Pauschalisierungen: Er kenne auch russische Intellektuelle, die Widerstand und Mut zeigten und dafür verfolgt, unterdrückt und inhaftiert werden. „Wir müssen mit diesen Russen zusammenarbeiten und Kommunikationskanäle errichten, die Putins Regime kritisieren.“ Gleichzeitig trügen alle, die das russische Regime auch nur stillschweigend mit ihren Steuern unterstützen, Verantwortung für das, was ihre Regierung tue.

Konferenz zum Ukraine-Krieg

An der fünftägigen Konferenz über den Ukraine-Krieg in der Vorwoche in Wien nahmen 30 Nachwuchswissenschaftler vornehmlich aus der Ukraine teil. Als prominenteste Expertin war die Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin 2022, Oleksandra Matwijtschuk, für einen Vortrag per Video zugeschaltet.

Pavlo Smytsnyuk studierte Philosophie und Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, in Athen und in St. Petersburg; sein Doktoratsstudium schloss er an der Oxford University ab und leitete bis 2022 drei Jahre lang das Institut für Ökumenische Studien an der Ukrainisch-Katholischen Universität in Lemberg.