Francisco de Goya: Kreuzigung Christi (1780), Museo Nacional del Prado
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Karfreitag

Die letzten Worte Jesu am Kreuz

Die Evangelien berichten über die letzten Worte, die von Jesus Christus am Kreuz überliefert sind. Bekannt sind sie als die „sieben letzten Worte Jesu“, womit sieben Aussprüche gemeint sind. Aber nicht alle der überlieferten Sprüche stammen von Jesus selbst.

So ist der berühmte Ausruf von Jesus, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34, Mt 27,46), auf Hebräisch „Eli, eli, lema sabachthani?“, während der Kreuzigung der Anfang eines Psalms. „Jesus hat am Kreuz gebetet“, sagt der Theologe Jan-Heiner Tück, der am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Wien lehrt, im Gespräch mit religion.ORF.at.

Der Ausspruch steht bei Markus (Mk 15,34) und Matthäus (Mt 27,46). „In beiden Evangelien, die auf Griechisch geschrieben wurden, werden die hebräischen Worte extra hinzugefügt“ – für Tück ein Zeichen von Authentizität. Der hebräische Text schaffte es auch in die Lutherbibel.

Sieben Worte Christi am Kreuz, Illustration, Niederlande, 17. Jahrhundert
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„Sieben Worte Christi am Kreuz“, Illustration, Niederlande, 17. Jahrhundert

„Mein Gott, mein Gott …“

Jesus zitierte hier den Psalm 22,2, wo es heißt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?“ Der „abgründige Satz“, so Tück, der im Zusammenhang mit der Passion, dem Leiden und Sterben Jesu, wie ein Vorwurf gegen Gott wirkt, ist also der Anfang eines damals wohl häufig verwendeten Gebets.

Sieben letzte Worte Jesu

  • „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34)
  • „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43)
  • „Frau, siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter!“ (Joh, 19,26-27)
  • „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34/Mt 27,46/Ps 22,2)
  • „Mich dürstet.“ (Joh, 19, 28)
  • „Es ist vollbracht.“ (Joh, 19,30)
  • „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46/Ps 31,6)

Psalmen sind Gebete, Gedichte und Lieder in der Hebräischen Bibel bzw. im Alten Testament. Die 150 Texte im Buch der Psalmen sind auch als Psalter und im jüdischen Tanach als Tehillim bekannt, es gibt aber auch einzelne Psalmen in anderen Teilen der Bibel. Das griechische Wort „psalmos“ bedeutet Lied oder Saitenspiel – wahrscheinlich wurden die Psalmen gesungen. Die meisten Psalmen stammen aus der Zeit zwischen dem 6. und dem 2. Jahrhundert v. Chr.

„Abgründige Erfahrung der Verlassenheit“

Auch wenn der Psalm 22 versöhnlich und mit einer Lobpreisung Gottes endet, kann man sich fragen, was es zu bedeuten hat, dass Jesus ihn laut Evangelien am Höhepunkt seiner Leiden sprach. „Es gibt in der Theologie zwei Richtungen, die diesen Ausspruch unterschiedlich deuten“, sagt Tück, „eine sieht hier die abgründige Erfahrung der Verlassenheit, die auch als ‚Gottesnacht‘ bezeichnet wird.“

Wie jeder thorafromme Jude sei Jesus mit den heiligen Schriften natürlich genau vertraut gewesen, er habe sehr wahrscheinlich auch den Psalter auswendig gekannt. „Die andere weist auf das versöhnliche Ende des Psalms hin“, das Gehorsam und das Versprechen berge, Gottes Wort in die Zukunft zu tragen, erklärt der Theologe. Trotzdem: Hätte Jesus nicht ein anderes Gebet wählen können?

Ein Gebet wäre besonders naheliegend gewesen, das „Schma Jisrael“ („Höre, Israel“), das keine Klage enthält. Es ist eines der wichtigsten Gebete im Judentum, fromme Juden und Jüdinnen beten das „Schma Jisrael“ mehrmals am Tag. „Vor diesem Hintergrund kann man das Zitat von Psalm 22 als abgründigen Schrei der Klage, ja sogar Anklage deuten. Manche Theologen sprechen sogar von einem Riss in Gott selbst.“ Christus habe bei der Kreuzigung auf Golgatha jedenfalls „die radikale Trennung von Gott, dem Vater, durchlitten“.

Francisco de Goya: Kreuzigung Christi (1780), Museo Nacional del Prado
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Francisco de Goya: Kreuzigung Christi (1780), Museo Nacional del Prado

Jesus am Ort der Gottlosigkeit

„Jesus hat sein ganzes Leben lang versucht, den Willen Gottes zu realisieren“, sagt Tück, dessen neues Buch „Crux. Über die Anstößigkeit des Kreuzes“ vor Kurzem erschienen ist. Am Vorabend der Kreuzigung hatte Jesus im Garten Gethsemane mit dem Vater gerungen und schließlich im Gebet („Nicht was ich will, sondern was du willst“) sein Einverständnis für die Passion gegeben (Mt 26,42). Dennoch habe „auch Jesus den Ort der Gottlosigkeit erlebt“.

Buchcover Jan-Heiner Tück: Crux
Herder Verlag

Jan-Heiner Tück: Crux. Über die Anstößigkeit des Kreuzes. Herder, 376 Seiten, 29,50 Euro.

Heute vermissen viele „die rettende Präsenz Gottes und leiden unter der epochalen Erfahrung der Abwesenheit“, da könne der Blick auf den Gekreuzigten an der Seite der Verlorenen auch tröstlich sein – ohne „zu schnell in eine billige Tröstungspastoral zu kommen“, die das Leid gar nicht erst in den Blick nimmt, so Tück.

Oder mit den Worten des von den Nazis ermordeten lutherischen Theologen Dietrich Bonhöffer (1906–1945): „Nur der leidende Gott kann helfen.“ Die Thematik ist in den anderen Psalmen weit verbreitet: Das Leiden des verleumdeten Gerechten; der Ausgestoßene, der durch falsche Anschuldigungen in einer ausweglosen Lage ist, betet zu Gott.

Psalm mit „österlicher Einfärbung“

Aber Jesus „hatte auch das Ende des Psalms im Blick“, wo es heißt: „Vor ihm allein sollen niederfallen die Mächtigen der Erde, vor ihm sich alle niederwerfen, die in der Erde ruhen. Meine Seele, sie lebt für ihn; mein Stamm wird ihm dienen. Vom Herrn wird man dem künftigen Geschlecht erzählen, seine Heilstat verkündet man dem kommenden Volk; denn er hat das Werk getan.“ (Ps 22,30–32)

Psalm 22 endet mit einer Verheißung, was ihm eine „österliche Einfärbung“ gibt. Mit „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34) beweise Christus am Kreuz seine finale „Vergebungshaltung“, sagt Tück, „er hat die Feindesliebe am Ende realisiert“.

Versöhnlich ist schließlich auch der letzte der in den Evangelien überlieferten Aussprüche: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ ist ebenfalls Teil eines Psalms (Lk 23,46/Ps 31,6). „Die Passion ist eingebettet in vorher – das Abendmahl, das einsame Gebet – und nachher“, sagt Theologe Tück, „die Brechung der Wirklichkeit des Todes durch die Auferstehung zu einem Leben, das keinen Tod mehr kennt. Das Grundvertrauen in den Vater hat Jesus ganz am Ende durchgehalten.“