Österreich

Armutsstatistik: Caritas sieht „Alarmstufe Rot“

Alarmiert hat die Caritas auf die am Donnerstag von der Statistik Austria veröffentlichten Zahlen zur Armut in Österreich 2022 reagiert. Aus diesen geht hervor, dass die Armut im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist. „Die Not in Österreich breitet sich aus“ und es herrsche „Alarmstufe Rot“, sagte Caritas-Präsident Michael Landau.

Er forderte dringend strukturelle Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. 1,3 Millionen Menschen in Österreich sind laut den aktuellen Zahlen armutsgefährdet. 2,3 Prozent der Bevölkerung konnten sich im Vorjahr mehrere Ausgaben wie neue Möbel, einen Urlaub oder eine angemessen warme Wohnung nicht leisten.

Im Jahr zuvor waren es noch 1,8 Prozent, geht aus der Statistik hervor. Dass die Zahl der erheblich materiell deprivierten Menschen ebenso gestiegen ist – von 160.000 auf 201.000 – nannte Landau „extrem beunruhigend“.

„Klarer Weckruf für die Bundesregierung“

Die Statistik zeige, dass Armut immer mehr Menschen treffe – worauf die Caritas und andere Hilfsorganisationen seit dem Beginn der Teuerungswelle immer wieder hingewiesen hätten, erinnerte Landau. Die aktuellen Zahlen müssten daher „ein klarer Weckruf für die Bundesregierung“ sein. Belegt sei nun auch, dass besonders vulnerable Menschen von der Pandemie und der anhaltenden Teuerung am meisten betroffen sind. Landau: „Jene Menschen, die bereits vor der Krise von Armut betroffen waren, sind jetzt noch ärmer geworden.“

Eine geheizte Wohnung sei für viele Menschen keine Selbstverständlichkeit mehr, habe sich bestätigt. „Mit den gestiegenen Preisen für Lebensmittel und den anhaltend hohen Energiepreisen sehen wir auch in der Sozialberatung, dass Menschen bereits am Anfang des Monats nach Abzug der Fixkosten kein Geld mehr haben“, so Landau. Menschen mit weniger Einkommen litten unter der Inflation umso stärker.

Strukturelle Lösungen nötig

Nur strukturelle Maßnahmen könnten den Menschen nachhaltig ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, sagte der Caritas-Präsident. „Wieder bestätigt sich: Sozialleistungen sind ein bedeutsamer Hebel in der Armutsbekämpfung. Ohne diese Leistungen wären 2022 um 30 Prozent mehr Menschen armutsgefährdet gewesen.“

Einmalhilfen und sonstigen Anti-Teuerungsmaßnahmen der Regierung in den vergangenen Monaten hatte die Caritas stets begrüßt, doch hätten diese nur ein „kurzes Aufatmen bei Betroffenen“ gebracht, erklärte Landau auf Basis der Statistik. Strukturelle Maßnahmen und Reformen seien nun nötig, „damit nicht noch mehr Menschen in die Armut abrutschen. Das ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens.“ Am Zug sah der Caritas-Präsident dabei nun die Bundesregierung und Bundesländer.

Nachbesserungen bei Ausgleichszulagen-Richtsatz

Wichtig wären laut Landau vor allem Nachbesserungen beim Ausgleichszulagen-Richtsatz, an dem sich das österreichische Sozialsystem bei der Berechnung etwa der Höhe der Mindestpension sowie der Sozialhilfe beziehe. Aktuell liegt der Richtsatz bei 1.110,26 Euro – d.h. 280 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle, die auf 1.392 Euro gestiegen ist. „Wer Armut in Österreich wirklich und schnell bekämpfen will, muss diese Lücke schließen“, forderte der Caritas-Präsident.

Weiters müsse die Sozialhilfe wieder zu einem „existenzsichernden letzten Netz“ werden. Dafür nötig seien „Mindeststandards statt Obergrenzen, einheitliche, bedarfsorientierte Kinderrichtsätze, die Neugestaltung des Wohnbedarfs und das Verbot der Anrechnung anderer Sozialleistungen“, sagte Landau. Auch die Anhebung des Arbeitslosengelds auf ein „armutsfestes“ Niveau wäre vonnöten, denn: „Nach Scheitern der Arbeitsmarktreform und gleichzeitig explodierenden Preisen ist die ausgebliebene Inflationsanpassung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nicht akzeptabel“.

Lösungen für Wohnen

Zuletzt müsse beim Wohnen dringend auf strukturelle Lösungen gesetzt werden. „Immer mehr Menschen sind durch die Wohnkosten schwer belastet“, so Landau, für den kein Weg an einem „massiven Ausbau von sozialem Wohnbau“ vorbeiführt. Die Schaffung und Sanierung von leistbarem Wohnraum müsse priorisiert werden, wobei man angesichts der notwendigen Energiewende „soziale und ökologische Fragen konsequent zusammen denken“ müsse, forderte der Caritas-Präsident.

Frauen und Alleinerziehende mit höchstem Risiko

Den Daten der Statistik Austria zufolge sind Frauen und Alleinerziehende tendenziell am meisten von materieller und sozialer Benachteiligung betroffen. Frauen ab 18 Jahren machten mit 95.000 oder 47 Prozent die größte Gruppe aus, weiters gehören 70.000 Männer ab 18 Jahren (35 Prozent) sowie 36.000 Kinder und Jugendliche (18 Prozent) zu dieser Gruppe. Das höchste Risiko für absolute Armutslagen hatten Personen in Einelternhaushalten, die im Vorjahr mit 12,7 Prozent fünfmal häufiger einer erheblichen materiellen und sozialen Deprivation ausgesetzt waren als die Gesamtbevölkerung.

Personen mit einem absolut geringen Lebensstandard waren im Vorjahr auch häufig mit einer überproportionalen Belastung durch Wohnkosten konfrontiert, die bei 28,3 Prozent von ihnen mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens ausmachten – während es in der Gesamtbevölkerung nur 7,4 Prozent waren. Auch der Gesundheitszustand ist bei materiell und sozial Benachteiligten deutlich schlechter als bei anderen.

Sorge auch in den Bundesländern

Zuvor am Mittwoch hatte sich die Direktorin der Caritas der Diözese Graz-Seckau über die Zahlen des Armutsberichts des Landes Steiermark besorgt geäußert. „Die Bestandsaufnahme des Landes zeigt, dass es notwendig ist, Sozialleistungen zielgerichteter einzusetzen“, hielt die Nora Tödtling-Musenbichler fest.

Kritisch sah die Caritas-Direktorin den Befund, dass sich die Armutsgefährdungsquote in der Steiermark seit 2004 nicht signifikant geändert habe und 2021 bei 13 Prozent der Bevölkerung liege. Ohne Sozialleistungen und Pensionen läge dieser Wert bei 45 Prozent. „Das bestätigt, dass der Sozialstaat wirkt, und das ist gut. Wir dürfen seine Instrumente nicht infrage stellen. Aber darüber hinaus müsste doch unser gemeinsames Anliegen sein, die Menschen aus der Gefährdung herauszubringen“, so Tödtling-Musenbichler auch in Richtung Politik.

„Vielfältige Ansätze und Anstrengungen nötig“

Von politischer Seite seien vielfältige Ansätze und Anstrengungen nötig, um Menschen „dauerhaft armutsfest abzusichern“, allen voran „Investitionen im Bereich Bildung und Qualifikation“. Auch die Caritas der Diözese Linz hatte am Mittwoch auf steigende Armut in Oberösterreich aufmerksam gemacht.

Die Preisexplosionen bei Strom, Miete und Essen würden in Linz immer mehr Menschen in die Verzweiflung treiben und den Weg zur Caritas-Sozialberatung antreten lassen. 3.033 Erwachsene und 2.423 mitbetroffene Kinder seien von den Sozialberatern im vergangenen Jahr unterstützt worden – fast ein Drittel mehr als im Jahr davor.