Interview

Experte kritisiert Papst für Missbrauchsaufarbeitung

Der Kinderschutzexperte und Jesuit Hans Zollner hat Papst Franziskus für dessen Missbrauchsaufarbeitung kritisiert. Franziskus habe dieses Thema nicht zu Priorität Nummer eins gemacht. Dennoch würdigte Zollner eine ehrliche Empathie des Papstes.

Das sagte Zollner im Interview der „taz“ (Samstag-Ausgabe). Für Franziskus seien Ökologie und Migration die wichtigsten Themen; das sei bedauerlich, „weil ich glaube, dass das ein Thema sein wird, mit dem sich die Weltkirche noch viele Jahre und Jahrzehnte auseinandersetzen wird“, so der Kinderschutzexperte.

Dennoch würdigte Zollner eine ehrliche Empathie des Papstes, mit der er Missbrauchsopfern begegne sowie seine Bemühungen um das Thema. „Er ist jemand, der das Thema wachgehalten hat, der im rechtlichen Bereich mehr Verschärfungen eingeführt hat als alle seine Vorgänger zusammen.“

Der Kinderschutzerxpert Hans Zollner
APA/AP/Andrew Medichini
Der Kinderschutzexperte und Jesuit Hans Zollner

Auch Kritik an Kinderschutzkommission

Zollner war im März aus der vatikanischen Kinderschutzkommission ausgetreten. Der Safeguarding-Experte hatte dem Gremium mangelnde Transparenz sowie unklare Verantwortlichkeiten vorgeworfen. Die Vereinbarungen über den Auftrag der Kommission seien „schwammig und wenig nachvollziehbar“, kritisierte der Jesuit. „Es bleibt bei Absichtserklärungen, bei denen man nicht weiß, was das eigentliche Ziel ist und wer seine Einhaltung überprüfen soll.“

Problematisch sei auch die Position des Kommissionsvorsitzenden, des Bostoner Kardinals Sean O’Malley. Dessen Amt könne nur dann funktionieren, wenn er sich oft in Rom aufhalte und „wenn er bereit wäre, in den Ring zu steigen“.

Insbesondere nach der Unterstellung der Kommission unter die Glaubensbehörde im vergangenen Jahr brauche es einen Vorsitzenden, „der auch stark in Konflikte geht“, erklärte Zollner. „Und das macht Kardinal O’Malley nicht.“ Der US-Erzbischof hatte zuletzt selbst „Wachstumsschmerzen“ bei der Umstrukturierung der Kommission bekannt. Zu Zollners Austritt und Kritik hatte er sich aber „überrascht und enttäuscht“ geäußert.

Verwundert über Umgang mit deutschen Bischöfen

Auch der Umgang mit Bischöfen in Deutschland, denen Fehler und Versäumnisse bei der Aufarbeitung von Missbrauch vorgeworfen werden, stößt bei Zollner auf Verwunderung. Dies gelte nicht nur in Bezug auf die Kardinäle Rainer Maria Woelki (Köln) und Reinhard Marx (München und Freising) sowie den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, die weiterhin im Amt sind, „sondern auch auf andere, die im deutschen Sprachraum weniger bekannt sind“, sagte Zollner der „taz“.

„Man muss natürlich bedenken, dass bei den dreien das Niveau der rechtlichen Anschuldigungen sehr unterschiedlich ist. Vor allem ist nicht klar, welche Kriterien angewendet werden, warum in einem Fall jemand entlassen wird und in einem anderen nicht.“ Zollner betonte, dass eine moralische Verantwortung angepackt werden müsse, die unabhängig von Verjährungsfristen sei.

„Niemand über einen Kamm scheren“

Der Jesuit sagte zugleich, er hoffe auf das Differenzierungsvermögen der Menschen, um nicht alle Priester und Ordensleute über einen Kamm zu scheren. „In der Präventionsarbeit, nicht in der Aufarbeitung, hat die katholische Kirche, auch in Deutschland, sehr viel gemacht. Erzwungenermaßen.“ Auf diesem Feld der Vorbeugung sei es so, dass manchmal staatliche Stellen und Nichtregierungsorganisationen auf die Kirche zukämen und um Rat fragten.

Die katholische Kirche habe einen höheren moralischen Anspruch verkörpert und vor sich hergetragen, so Zollner. „Daran wird sie berechtigterweise gemessen. Und wenn die Fallhöhe höher ist, dann ist natürlich auch die Aufmerksamkeit höher.“ Er verwies auf Erkenntnisse von Fachleuten, wonach die Mehrheit sexueller Gewalt im Familienzusammenhang passiere. „Das geht in der öffentlichen Debatte fast völlig unter. Onlinemissbrauch ist auch nur sehr sporadisch im Blickpunkt.“ Hinzu komme Missbrauch in Vereinen.

Kritik auch an evangelischer Kirche

Zollner bemängelte ebenfalls die Aufarbeitung von Missbrauch in der evangelischen Kirche: Die Protestanten seien „nicht nur etwas hintendran, sondern fast 15 Jahre“. Und weiter: „Sie haben sich gerne hinter den Katholiken versteckt und bauen jetzt hohe Hürden auf, weil es bald auch an die Aufarbeitung und an Entschädigungszahlungen von Opfern in ihren Reihen geht.“