Eine Frau und ein Mann sitzen auf einer Bank und unterhalten sich
Getty Images/Jetta Productions/Blend Images LLC
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Lebenshilfe

Atheisten planen Seelsorge ohne Gott

Menschen in bestimmten Lebenslagen zu begleiten ist das Konzept von Seelsorge. Sie ist keine Psychotherapie und wird oft von Religionsgemeinschaften angeboten. Was aber ist mit Menschen ohne religiösen Glauben? Die Atheistische Religionsgesellschaft (ARG) arbeitet an einer Seelsorge ohne Gottesbezug.

Ein institutionalisiertes atheistisches Seelsorgeangebot gibt es in Österreich bisher nicht, es sei im Aufbau, sagt Wilfried Apfalter, Präsidiumsmitglied der ARG im Gespräch mit religion.ORF.at. Was es bereits gebe, sei die Betreuung und Begleitung von geflüchteten Menschen, die aufgrund ihrer atheistischen Weltanschauung aus ihren Herkunftsländern geflohen sind und in Österreich Asyl beantragen.

Mitglieder der ARG würden dabei – nach ausführlichen Gesprächen mit den Betroffenen – vor Gericht bezeugen, dass die Asylwerbenden tatsächlich eine atheistische Weltanschauung haben. Diesbezüglich arbeitet die ARG mit dem Verein Säkulare Flüchtlingshilfe zusammen.

Über die Geflüchtetenbegleitung hinaus soll es nach Vorstellung der ARG auch in anderen Lebensbereichen, wie etwa in Krankenhäusern, atheistische Seelsorge geben – das ist aber noch Zukunftsmusik, denn eine Institutionalisierung würde die staatliche Eintragung der ARG als religiöse Bekenntnisgemeinschaft voraussetzen. Seit Jahren bemüht sich die ARG – im Unterschied zu anderen atheistischen Vereinen – um diese Eintragung.

Verschiedene Seelsorge-Angebote

„Seele“ wird vor allem von Religionen als unsterbliches Element des Menschen verstanden. Der Begriff beinhaltet das Denken, Fühlen und Empfinden, wird aber auch mit dem Begriff „Psyche“ umfasst. Seelsorge ist aber eben keine Psychotherapie (die meist mit einem Krankheitsbild zusammenhängt), sie ist ein niederschwelligeres Angebot, in bestimmten Lebenssituationen mit anderen Menschen zu sprechen – etwa wenn man einen nahestehenden Menschen verliert, einsam ist oder belastende Familien- oder Arbeitssituationen verarbeiten muss.

Hinweis

Die Atheistische Religionsgesellschaft strebt im Gegensatz zu anderen atheistischen Vereinen die staatliche Eintragung als religiöse Bekenntnis-gemeinschaft an.

Bekannt sind zum Beispiel die Telefonseelsorge, die zwar von den katholischen Diözesen und der evangelischen Kirche finanziert wird, aber nicht nur gläubigen Menschen zur Verfügung steht, Seelsorgeangebote verschiedener Religionsgemeinschaften beim Bundesheer und in Spitälern (mehrere christliche Konfessionen, islamisch, jüdisch, buddhistisch).

Aufmerksamkeit auf Hier und Jetzt

So wie Atheistinnen und Atheisten an keine Gottheiten glauben, teilen sie auch die Vorstellung von einer unsterblichen Seele nicht. Das wäre der wesentliche Unterschied zwischen atheistischer und konfessioneller Seelsorge. Der Tod wird als Endpunkt des Lebens und auch des Leidens aufgefasst. Daher gilt die Aufmerksamkeit dem Leben im Hier und Jetzt, wobei die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Sterblichkeit einen wichtigen Platz einnimmt, betont die ARG auf ihrer Website.

Die Menschheit sieht die ARG „als evolutionär entstandene und stark kulturell mitgeprägte Lebewesen“, die auf vielfache Weise mit der Welt und dem, was „weit über uns hinausgeht“, eingebunden sind. Und es geht aus ARG-Sicht um die Interpretation des eigenen Lebens.

Bei atheistischer Seelsorge solle nach den Geschichten gefragt werden, die Menschen sich selbst und anderen über ihr Leben erzählen, heißt es in einem Beitrag der ARG für das deutsche Magazin „Leidfaden“, das in seiner aktuellen Ausgabe weltliche, säkulare Strategien für den Umgang mit Krisen, Leid und Trauer thematisiert. Das beinhalte Überzeugungen und Werthaltungen, Erwartungen und Wünsche. Dazu könne eine „gute Seelsorge“, wie es immer wieder heißt, hilfreiche Impulse liefern.

„Realistischer Blick auf die Welt“

„Gute Seelsorge ist eine Art von verantwortungsbewusst praktizierter, wirksam unterstützender Wegbegleitung. So gesehen verschwindet jeder scheinbare Widerspruch zwischen Atheismus und Seelsorge“, so der Artikel.

Der Atheistischen Religionsgesellschaft gehe es darum, „an einem realistischen und gleichzeitig hilfreichen Blick auf die Welt und auf uns selbst in ihr“ zu arbeiten. Wer ein umfassendes Wissen über die Welt habe, fühle sich „vielleicht etwas weniger ausgeliefert und etwas mehr als ein aktiver Teil von ihr“. Die Welt sei „voller Wunder und voller Schrecklichkeiten“, manchmal auch beides zugleich. Daher erscheint der ARG auch die Stärkung einer Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten und den daraus entstehenden Unsicherheiten umgehen zu können) erstrebenswert.