Der Kölner Dom ohne Gestühl
APA/dpa/Federico Gambarini
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Köln

Experte: Hohe Zahlung für Missbrauchsopfer „Zäsur“

Der deutsche Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Verurteilung des Erzbistums Köln zu 300.000 Euro Schmerzensgeld für einen Missbrauchsbetroffenen als eine „Zäsur in der deutschen Justizgeschichte“ bewertet.

„Erstmalig wird die katholische Kirche durch ein staatliches Gericht zu einer auch in der Höhe für deutsche zivilrechtliche Verhältnisse außergewöhnlichen Summe zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt“, sagte Schüller am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. „Daran werden sich zukünftig auch andere Gerichte zumindest orientieren.“

Schüller sagte, die bisherige „Armenspeisung“ der deutschen Bischöfe von Entschädigungsleistungen bis 50.000 Euro sei „krachend gescheitert“. Vielen Opfern sei diese Regelung „wie ein Hohn angesichts ihrer lebenslangen seelischen und körperlichen Verletzungen“ vorgekommen.

Kirchenrechtler: Weitere werden folgen

„Natürlich werden weitere Betroffenen sexualisierter Gewalt im Raum der Kirchen nun diesen gerichtlichen Weg gehen“, prophezeite Schüller. Dabei sei allerdings zu beachten, dass wohl nicht jedes Bistum bei Verjährung so wie im vorliegenden Fall das Erzbistum Köln darauf verzichten werde, Verjährungseinrede einzulegen.

Die Taten in dem Kölner Fall hatten in den 1970er Jahren stattgefunden. Außerdem sei die Aktenlage nicht immer so eindeutig wie jetzt, sagte Schüller. Unterm Strich könne man aber festhalten: „Auf jeden Fall ein guter Tag für alle Betroffenen.“

Viele Jahre lang missbraucht

In einer wegweisenden Gerichtsentscheidung wurde das katholische Erzbistum Köln am Dienstag zu 300.000 Euro Schmerzensgeld für einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt. Das Landgericht Köln sprach das Urteil am Dienstag nach einer mündlichen Verhandlung, bei der kein Vergleich zwischen den beiden Parteien zustande gekommen war. Der heute 62-jährige Georg Menne war als Messdiener viele Jahre lang von einem Priester sexuell missbraucht worden.

Die Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“ kommentierte, es gebe nun erstmals ein Urteil eines deutschen Gerichts, das einem Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs durch einen Priester der katholischen Kirche eine Entschädigung in Form eines Schmerzensgelds zuspreche. Dabei werde auch die institutionelle Verantwortung der Kirche für diese Verbrechen berücksichtigt.

Betroffenenorganisation: „Wichtiges Signal“

„Dies ist ein wichtiges Signal für Tausende ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland“, so der „Eckige Tisch“. „Die Kirche haftet für die Verbrechen ihrer Priester, Bischöfe und Ordensvorgesetzten.“ Es gilt als wahrscheinlich, dass nun auch viele andere Missbrauchsbetroffene den Klageweg beschreiten werden, so dass auf die Kirche hohe Kosten zukommen könnten.

Menne, der mehr als 300 Mal von dem inzwischen verstorbenen Priester vergewaltigt und auf andere Weise sexuell missbraucht worden war, hatte 750.000 Euro Schmerzensgeld gefordert. Nach der Urteilsverkündung lobte er die Gerichtsentscheidung jedoch als „Meilenstein für die Betroffenen“.

Ihr Leid werde damit anerkannt. Seine Anwälte sagten, sie müssten noch prüfen, ob sie in Berufung gehen würden. In jedem Fall werde mit dem Urteil Rechtsgeschichte geschrieben, die bisherige Rechtsprechung werde „pulverisiert“.

Erzdiözese begrüßt Urteil

Kardinal Rainer Maria Woelki begrüßte das Urteil: „Ich bin froh und dankbar, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Klarheit in diesem Fall beigetragen hat“, erklärte der Kölner Erzbischof m Mittwoch.

Die Erzdiözese ergänzte in einer Stellungnahme, sie übernehme für das erlittene Unrecht und Leid der Betroffenen institutionelle Mitverantwortung. Im konkreten Fall habe Woelki daher darauf verzichtet, eine Verjährung zu beanspruchen. Auch der Vortrag des Klägers sei nicht bestritten worden. In der Verhandlung hatte der Anwalt der deutschen Erzdiözese betont, in keinem vergleichbaren Fall sei ein mittlerer sechsstelliger Betrag gezahlt worden.