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Interview

Zulauf für katholische Extremisten in Pandemie

Dem säkularen Staat misstrauen sie, Muslime und Juden sind ihre Feindbilder: Christliche Extremistinnen und Extremisten gebe es auch in Österreich – vor allem katholische Gruppierungen, sagt der Politologe Thomas Schmidinger dem ORF. In der Pandemie haben sie Zulauf bekommen.

religion.ORF.at: In Ihrem neuen Buch „Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist" geht es um religiösen Extremismus. Allerdings nicht im Islam, sondern im Christentum. Bei christlichem Extremismus fallen vielen Menschen maximal noch evangelikale Gruppen in den USA oder in Teilen Afrikas ein. Aber bei uns?

Der Fokus im Buch ist auf den katholischen Traditionalismus gerichtet. Traditionalismus ist die Selbstbezeichnung der meisten dieser Gruppierungen, die sich als die Vertreter der wahren katholischen Lehre betrachten. Damit ist ein Kirchenbild, ein Weltbild, eine Vorstellung gemeint, dass Staat, Gesellschaft und Kirche zusammenwirken sollen wie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Einige davon wollen noch deutlich weiter zurück.

Das sind Gruppierungen, die auch zu meiner eigenen Überraschung durchaus größer und vielfältiger in Österreich sind, als ich mir das gedacht hätte, und insgesamt vielleicht 2.000 oder auch 3.000 Personen umfassen. Es sind mehrere verschiedene Gruppierungen, einige größere und kleinere, die dadurch geeint sind, dass sie die moderne Demokratie, die Religionsfreiheit ablehnen, sich ein Zurück zu einem katholisch geprägten Staat wünschen, sehr antimuslimisch, größtenteils auch antisemitisch geprägt sind und eine Gesellschaft wiederherstellen wollen, die von einem katholisch geprägten Staat dominiert ist.

Was macht diese christlichen extremistischen Gruppen aus? Gibt es Gemeinsamkeiten?

Das Gemeinsame ist, etwas salopp gesagt, dass alle diese Gruppen päpstlicher als der Papst sind. Also sie sind alle der Meinung, dass die katholische Kirche spätestens mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das ja so „furchtbare“ Dinge wie die Religionsfreiheit akzeptiert hat, in die Irre geleitet worden ist und dass der heutige Papst entweder fehlgeleitet oder ein illegaler Usurpator des Stuhles Petri ist.

Es gibt sehr verschiedene, auch miteinander rivalisierende Gruppierungen und Abstufungen in den Forderungen. Angefangen damit, dass es eine Korrektur der katholischen Kirche zurück zum Antimodernismus des frühen 20. Jahrhunderts braucht oder aber überhaupt einen neuen Papst, weil die derzeitige Kirche, vom wahren Glauben abgekommen sei. Es gibt dann einige ganz extreme Gruppierungen, die den Papst sogar schon gewählt haben. Es gibt traditionalistische Gegenpäpste, das sind aber selbst innerhalb dieses Spektrums Randphänomene.

Ist es auch eine Gemeinsamkeit, dass einige dieser Gruppen antisemitisch sind? Und stimmt es, dass fast alle zudem antimuslimisch sind?

Ja, diese Feindschaft gegenüber dem Islam, aber auch gegenüber dem Judentum ist sehr zentral. Daneben gibt es auch sehr patriarchale Geschlechterbilder, Homophobie. Es ist etwa die Regenbogenparade jedes Jahr ein Angriffsziel einer Gegendemo aus diesem Spektrum. Die Feindschaft zum Judentum ist eine Besonderheit des katholischen Traditionalismus, anders als etwa evangelikale extremistische Organisationen. Die sind in mancher Hinsicht auch antisemitisch, aber sie sind oft zugleich proisraelisch.

Im katholischen Traditionalismus ist es sehr zentral, den Juden wie Anfang des 20. Jahrhunderts im katholischen Mainstream vorzuwerfen, am Gottesmord beteiligt gewesen zu sein. Also das Judentum wird hier immer noch als Verschwörung gesehen. Es spielt bei manchen auch eine wichtige Rolle beim vermeintlichen Glaubensabfall der katholischen Kirche, weil das ja als eine Verschwörung vor allem von Freimaurern gesehen wird, die teilweise wiederum als jüdisch betrachtet werden.

Wer fühlt sich zu solchen extremistischen christlichen Gruppen hingezogen?

Es gibt, würde ich sagen, zwei verschiedene Wege in diese Gruppierungen. Einerseits gehört es zu deren Lebensstil, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen, und es gibt viele Menschen, die bereits in diesen Familien aufwachsen. Diese Familien bemühen sich sehr, dass Kinder möglichst wenig Kontakt zur Gesamtgesellschaft bekommen, dass viele nicht in den regulären Schulbetrieb gehen, zu Hause Unterricht erleben oder in Internate dieser Gemeinschaften, wie sie in der Schweiz oder in Deutschland existieren, eingeschult werden und dort wirklich unter dem Einfluss dieser Lehren stehen.

Buchhinweis

Thomas Schmidinger: Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist. Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich. Mandelbaum Verlag, Juli 2023, 21,00 Euro.

Das andere ist aber auch, dass es wie bei allen religiös extremistischen Gruppierungen Menschen gibt, die oft aus psychischen Krisensituationen heraus einen sehr rigiden Moralkodex, eine sehr rigide Anweisung für ihr eigenes Leben brauchen.

Es hat jetzt während der Coronavirus-Krise auch noch einen Zuwachs von einigen dieser Gruppierungen gegeben, weil Personen, die ohnehin schon etwas am konservativen Rand von Mainstream-Gemeinden gestanden sind, aufgrund der Schließung von Kirchengebäuden, also der Nichtabhaltung von Messen im Mainstream-Katholizismus teilweise angezogen worden sind durch diese Gruppierungen, die ja sämtliche Coronavirus-Regelungen ignoriert haben und weiterhin ihre Gottesdienste abgehalten haben und dadurch auch neue Leute gewinnen konnten.

Im Hauptfokus Ihres Buches steht der katholische Extremismus. Aber gibt es das auch in anderen christlichen Traditionen in Österreich, etwa in der Orthodoxie oder in den altorientalischen Kirchen?

Ja, es gibt extremistische Traditionen auch in der Orthodoxie. Über die Evangelikalen haben wir schon gesprochen, und in altorientalischen Kirchen in Österreich sind es meistens wenige gut organisierte Gemeinschaften, weil es einfach sehr viel kleinere Kirchen sind. Aber zum Beispiel in der koptischen Kirche gibt es immer wieder Einzelpersonen, die sich sehr stark mit antimuslimischen Statements an die Öffentlichkeit wenden. Da gibt es auch teilweise in den USA organisierte Gruppen, die hier auch ihre Anhänger haben.

Was die Orthodoxie betrifft, haben wir hier eine sehr negative Rolle – etwa der aktuellen russisch-orthodoxen Kirche im Krieg mit der Ukraine, was natürlich teilweise auch Auswirkungen auf die Diasporagemeinden hat. Aber insgesamt ist bei der orthodoxen Kirche hier in Österreich keine organisierte Gruppierung aufgefallen. Das sind Einzelpersonen. In den Herkunftsländern, wo diese Gemeinschaften die dominanten religiösen Traditionen sind, sieht es anders aus.

Wie ist das Gefahrenpotenzial dieser Gruppen einzuschätzen?

In Österreich hat es bisher keinerlei Gewaltakte aus dieser Szene gegeben, aber in der USA sehr wohl. Da gab es auch Gruppierungen aus dem christlichen Extremismus, die zum Beispiel Anschläge auf Ärzte durchgeführt haben, die Abtreibungen durchführen. Für Österreich würde ich rein von der Größe dieser Gruppierungen her nicht sagen, dass eine Gefahr zumindest derzeit für die Demokratie oder die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Aber für Kinder und Jugendliche, die in solchen Familien aufwachsen, ist natürlich dieser Charakter einer sehr strikten, sektenhaften Parallelgesellschaft ein massives Problem. Es ist sehr schwer, sich aus solchen sektenhaften Gruppierungen zu befreien. Und wenn wir in Österreich über Parallelgesellschaften reden, dann ist das definitiv eine, die sehr, sehr geschlossen ist und die Gesamtgesellschaft als feindlich, vom Glauben abgefallen und zu bekämpfen oder zu bekehren sieht.

Gibt es eigentlich auch Schnittstellen zur Politik? Haben diese Gruppen auch politischen Einfluss?

Es hat Versuche gegeben, christliche Parteien weit rechts von der ÖVP zu gründen. Die sind alle an der Wahlurne völlig gescheitert. In den letzten Jahren haben diese Gruppierungen teilweise ihre Strategie geändert. Und da haben sich katholische Traditionalistinnen und Traditionalisten zusammengetan mit evangelikalen extremen Gruppierungen, die dann gemeinsam versucht haben, einzelne Kandidatinnen und Kandidaten mittels Vorwahlen und Vorzugsstimmenwahlkämpfen in der ÖVP zu positionieren. Und das ist teilweise auch von Erfolg gekrönt gewesen.

Also da gibt es jetzt eher den Versuch des Extremismus, gewissermaßen die Mainstream-Parteien zu unterwandern. Das ist noch weit davon entfernt, ein großer Erfolg zu sein. Aber damit sind gewisse Themen, etwa das Abtreibungsthema oder auch das Schüren von Angst vor dem Islam, auch in Mainstream-Parteien hineingekommen.

Wo sind diese Gruppen aktiv? Sind das in sich abgeschlossene Zirkel, die sich persönlich treffen, oder findet man die auch im Internet auf YouTube?

Insgesamt sind das eher abgeschlossene Zirkel und je extremer, desto abgeschlossener. Das heißt aber nicht, dass nicht versucht würde, auch neue Anhänger zu gewinnen, noch sichtbarer zu werden. Zum Beispiel hat eine der größten dieser Gruppierungen, die Piusbruderschaft, vor eineinhalb Jahren die Minoritenkirche in Wien übernommen und ist mit einer sehr wichtigen historischen Kirche im Zentrum der Hauptstadt präsent.

Da mit dieser Ideologie ein gewisser Antimodernismus verbunden ist, sind sie meist sehr viel schwächer in Social Media oder im Internet präsent. Aber es gibt auch Gruppierungen, die regelmäßig Predigten auf YouTube stellen oder die Facebook-Auftritte haben. Diese Auftritte sind aber nicht so gemacht, dass man sie als Neuling einfach findet und dass sie primär auf Außenwirkung abzielen, sondern das ist eher eine Möglichkeit, die eigene Anhängerschaft weiter zu bespielen.