Interview

Expertin: Koranverbrennungen bringen Christen in Gefahr

Koranverbrennungen in Europa können Christinnen und Christen in anderen Ländern in Gefahr bringen. Das müsse allen bewusst sein, die sich an solchen Taten beteiligen, sagte die Menschenrechtsexpertin des Hilfswerks missio, Katja Voges.

Solche Aktionen gefährdeten das mühsam erarbeitete Vertrauen zwischen den Konfessionen, so Voges im Interview des Portals Katholisch.de am Sonntag. Das gelte umso mehr, als die Gewalt etwa im Irak zuletzt zurückgegangen sei.

„An vielen Stellen haben interreligiöse Dialoge begonnen, um dem Misstrauen zu begegnen“, sagte Voges. „Gerade in dieser fragilen Annäherungssituation fürchten wir, Aktionen wie die Koranverbrennungen könnten das neu gewonnene Vertrauen ins Wanken bringen.“

Religionskritik ja, Extremismus nein

Kritik an Religion müsse möglich sein, betonte die Expertin. „Aber diese Aktionen gehen zu weit, weil sie die Eskalation bewusst in Kauf nehmen.“ Auch dürfe niemand Rote Linien übertreten mit dem Argument, dass es ohnehin Extremismus in der Gesellschaft gebe.

Der Aktivist Salwan Momika hält während einer Protestaktion in Stockholm einen Koran und ein Bild der irakischen Flagge in der Hand
APA/AFP/Oscar Olsson
Der Exiliraker Salwan Momika löste mit seinen Aktionen diplomatische Spannungen und Diskussionen über Religionsfreiheit aus

Verbrennungen und das Trampeln eines irakischen Geflüchteten auf der Heiligen Schrift der Muslime hatten zuletzt für Unruhen und diplomatische Spannungen gesorgt. Die Regierungen in Schweden und in Dänemark prüfen Medienberichten zufolge Möglichkeiten, Schändungen des Korans zu verbieten.

Schaden für Christinnen und Christen

Rechte Kräfte inszenierten sich oft als „Verteidiger der Christenheit und der Religionsfreiheit“, fügte Voges hinzu. Der irakische Geflüchtete, der jüngst in Stockholm einen Koran geschändet hatte, ordne sich beispielsweise der dortigen rechtspopulistischen Regierungspartei zu. Dieses Bild falle jedoch in sich zusammen, „wenn deutlich wird, dass ihr Handeln Christinnen und Christen im Irak oder anderswo schadet.“

Zudem interpretierten Rechtspopulisten und Rechtsextreme hierzulande Religionsfreiheit als das Recht auf den Schutz von Religion – ähnlich wie islamistische Gruppen. „Aber es handelt sich vielmehr um ein Freiheitsrecht des Einzelnen“, erklärte die Expertin. „Jeder Mensch genießt das Recht, seinen individuellen Glauben zu praktizieren und zu wechseln. Auch die Ablehnung des religiösen Glaubens durch den Einzelnen wird durch die Religionsfreiheit geschützt.“

Theologe: Aktionen „moralisch zu ächten“

Der evangelische Theologe Ulrich Körtner schrieb in der „Kleinen Zeitung“ (Sonntag-Ausgabe) „Kritik an religiösen Lehren und religiöser Praxis ist das eine, Beleidigung von Personen, Respektlosigkeit, Verunglimpfung und Herabwürdigung dagegen etwas anderes“.

Den Aktivisten dort „ging und geht es offenbar nur um islamfeindliche Aufwiegelung, um Beleidigung und Verhetzung“, so Körtner. Die Handlungsweise des aus dem Irak stammenden, atheistischen Mitglieds der Rechtspopulisten in Schweden sei „moralisch zu ächten“, auch wenn das Strafrecht in Skandinavien die Grenzen der Meinungsfreiheit anders zieht als etwa das österreichische.

Gegen „Cancel Culture“

In seinen Ausführungen über die Frage „Darf man heilige Bücher verbrennen?“ hielt der an der Uni Wien lehrende Theologe fest, man dürfe sich in der Debatte, die an den Streit um die 2005 zuerst in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen erinnere, „nicht in eine religiöse Form der ‚Cancel Culture‘ hineinmanövrieren“.

Religionsvertreter sollten anderen nicht vorschreiben, was sie öffentlich sagen dürfen und was nicht. „Allgemein gesagt muss mir nicht heilig sein, was anderen heilig ist“, schrieb Körtner. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit würden in einer liberalen Gesellschaft bedeuten, „dass selbst offene Ablehnung dessen, was Personen und Gruppen heilig ist, zu ertragen ist“.

Religionskritik schon bei Jesus

Das entspricht nach den Worten des Theologen auch der Botschaft Jesu, der selbst religiöse Religionskritik übte. Und diese sei auch in anderen Erzählungen der Bibel belegt, erinnerte Körtner etwa an die Zerstörung des Goldenen Kalbs durch Mose, an die Tötung der Baalspriester durch den Propheten Elia oder an die beißende Kritik an Kultbildern bei Jesaja.

Da Bücherverbrennungen aber auch zu den „dunklen Kapiteln der Christentumsgeschichte“ zählten, ja sogar vermeintliche Ketzer auf dem Scheiterhaufen landeten, sei Religionskritik für die Kirchen auch ein Anlass zur Selbstkritik, hielt Körtner fest.

Grundrechte untereinander abwägen

Es gebe berechtigterweise „kein Grundrecht, von jedweder Art von Kränkung geschützt zu werden“. Das zu fordern, wäre laut Körtner das Ende der Meinungsfreiheit, der Freiheit der Kunst und der Religionsfreiheit, die als Grundrechte zu verteidigen seien. Religionsfreiheit, die das Recht auf Religionslosigkeit einschließt, gelte nicht absolut, sondern sei im Einzelfall gegen die anderen Grundrechte abzuwägen. Dabei sei zu fragen, was dem Gemeinwohl und dem friedlichen Zusammenleben dient.

Die Koranverbrennungen und -schändungen in Schweden und Dänemark sorgten weltweit – und auch unter Christen – für Empörung, „geht es bei den Aktionen doch ausschließlich um die Herabwürdigung und Verunglimpfung einer Religion und ihrer Gläubigen, die dem Geist des Evangeliums widerspricht“. Dass diese Aktionen geeignet sind, den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden, dürfte wohl außer Zweifel stehen, so Körtner. Auch sicherheitspolitisch stellten sie eine Gefahr dar. „Kein Wunder, dass man nun in Schweden darüber nachdenkt, die Grenzen der Meinungsfreiheit enger als bisher zu ziehen.“