Die Theologisch-Philosophische Hochschule Brixen
Judith Fürst
Judith Fürst
Interview

Abgelehnter Dekan arbeitet weiter zu Sexualmoral

Der Moraltheologe Martin Lintner, der im Juni vom Hochschulkollegium der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen als Dekan gewählt worden war, vom Vatikan aber nicht die nötige Zustimmung bekam, lehrt und publiziert weiter zur Sexualmoral der römisch-katholischen Kirche. Diese war der Grund für die vatikanische Ablehnung.

Der Theologe darf weiterhin lehren und publizieren, ein Leitungsamt darf er allerdings nicht einnehmen. Im Gespräch mit religion.ORF.at spricht Lintner über Machtstrukturen, Hierarchien und über sein neues Buch über christliche Beziehungsethik, mit dem er einen konstruktiven Beitrag leisten möchte.

religion.ORF.at: Herr Professor Lintner, der Vatikan hat Ihnen das „Nihil obstat“ (eine Unbedenklichkeitserklärung) verweigert und damit ausgeschlossen, dass Sie die Stelle als Dekan antreten können. Zunächst einmal die Frage Wie geht es Ihnen damit?

Lintner: Es ist natürlich keine angenehme Sache. Am Anfang, als ich die Information bekommen habe, war ich enttäuscht. In einem zweiten Moment dann eher verwundert, dass diese Spielregeln im Vatikan offensichtlich immer noch angewendet werden – trotz Kurienreform und auch obwohl Papst Franziskus ja von Anfang seines Pontifikats an deutlich gemacht hat, dass er auch das Verhältnis zwischen Lehramt bzw. der römischen Kurie und den Theologen und Theologinnen verbessern möchte. Es gab auch keine klärende Rücksprache, weder mit dem Bischof noch mit der Hochschule, die mich gewählt hat, noch mit mir selbst. Insgesamt hat es mir aber keine schlaflosen Nächte bereitet.

Für Buch angezeigt

religion.ORF.at: Stein des Anstoßes ist Ihre Haltung zur katholischen Sexualmoral. Und da scheint ein Buch von Ihnen Aufsehen erregt zu haben, das schon ein paar Jahre alt ist: „Den Eros entgiften“. Haben Sie den Eindruck, das zuständige Dikasterium habe dieses Buch in der Schublade gehabt, um es zücken zu können, wenn es passend ist?

Lintner: Ja, dieses Buch ist bereits 2011 erschienen, und es ist tatsächlich so, dass ich damals angezeigt wurde. 2012 habe ich dann über den Bischof Post bekommen von der Glaubenskongregation. Damals hat dann die Glaubenskongregation das Buch geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass ich der Glaubenslehre der Kirche nicht widerspreche, aber eben dass zu einigen Punkten meine Position geklärt werden müsste.

Der Moratheologe Martin Lintner in der Bibliothek der theologisch philosophischen Hochschule Brixen
Judith Fürst
Interview mit dem Moraltheologen Martin Lintner in der Bibliothek der Theologisch-Philosophischen Hochschule Brixen

Das haben wir dann in Folge gemacht über unseren Bischof in Südtirol. Und ich hätte dann gedacht, dass das Thema erledigt ist. Aber offensichtlich ist das nicht der Fall. Und so hat man jetzt, elf, zwölf Jahre danach, tatsächlich wieder darauf zurückgegriffen, allerdings schwammig. Man hat schon auf meine Publikationen zur Sexualmoral verwiesen, aber nicht dezidiert benannt, worum es geht. Also es ist eine sehr im Grunde genommen undurchsichtige Sache.

Ansatz zur Erneuerung der Sexualethik

religion.ORF.at: Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, dass die Erfahrungen der Menschen berücksichtigt werden. Von außen betrachtet, wirkt es – überspitzt formuliert – so, dass immer noch die an den entscheidenden Hebeln im Vatikan sitzenden zölibatär lebenden, überwiegend älteren Männer darüber bestimmen, wie zwei Menschen ihr Liebesleben gestalten sollen.

Lintner: Ja, dieser Vorwurf ist auch, glaube ich, durchaus berechtigt. Und deshalb ist eben der Ansatz einer Erneuerung der Sexualethik wichtig. Das bedeutet, dass man versucht, die Gewissen der Menschen zu bilden und nicht ihnen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Die katholische Kirche, ich glaube das durchaus sagen zu können, hat mit der Gewissensfreiheit bis heute gewisse Probleme.

Sendungshinweis

Martin Lintner können Sie am 6.9. ab 16.05 Uhr in der Ö1-Sendung „Praxis“ hören.

Sie tut sich relativ leicht, wenn man das anwendet auf die Religionsfreiheit. Da ist sie mittlerweile wirklich weltweit eine Institution, die die Religionsfreiheit meint, und zwar mit aller Klarheit und Deutlichkeit. Aber in Bezug auf die Sittenlehre nicht. Das war immer ein ganz großes Konfliktfeld während des Pontifikats von Johannes Paul II. Er hat argumentiert, dass ein Katholik oder eine Katholikin in den entscheidenden sittlichen Fragen, wo das Lehramt eine Lehre vorgibt, nicht davon abweichen kann. Und das ist bis heute ein Knackpunkt.

Natürlich können wir alles tun, um Menschen zu befähigen, die Gewissensbildung zu unterstützen, aber wir können niemandem diese Entscheidung abnehmen. Und wenn jemand nach Prüfung aller Umstände und Kriterien entgegen der kirchlichen Lehre zu einer Entscheidung kommt, dann müssen wir die respektieren.

Zusammenhang Sexualmoral und Missbrauchsfälle

religion.ORF.at: Da geht es auch um Macht und Hierarchien. Gerade diese hierarchischen Strukturen, aber auch die rigide Sexualmoral, so sagen Expertinnen und Experten, spielt ja auch eine große Rolle bei den Missbrauchsskandalen. Wäre die katholische Kirche nicht gut beraten, gerade auch im Hinblick auf die Missbrauchsskandale die Sexuallehre zu überdenken und auf Schwachstellen zu prüfen?

Lintner: Auf jeden Fall. Vor allem ist hier sehr differenziert herauszuarbeiten, welche Zusammenhänge es zwischen den wirklich häufigen Fällen von Missbrauch und Missbräuchen im katholischen Umfeld und der Sexualmoral gibt, da befinden wir uns mitten in einem Prozess. Der ganze Synodale Weg in Deutschland ist ja gerade wegen dieser Frage angestoßen worden.

Die berühmte MHG-Studie (ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Unis Mannheim, Heidelberg und Gießen; Anm.) beispielsweise weist auch darauf hin. Sie sagt zwar – und das ist auch das, was Experten, Expertinnen derzeit vertreten – dass es keinen ursächlichen Zusammenhang gibt.

Aber sie sagt auch, dass man sehr wohl danach fragen muss, welche Persönlichkeitsmerkmale und welche Persönlichkeitsstrukturen durch eine rigide Sexualmoral, die dem Gewissen wenig Raum gegeben hat, gefördert worden sind, die dann eben Missbrauch begünstigen. Und auf dieser Ebene sind wir als katholische Kirche äußerst gut beraten, uns das ganz genau anzuschauen. Vor allem auch im Zusammenhang mit der Frage von Macht und Ausübung von Macht innerhalb der katholischen Kirche.

Inhalte versus „moralisierender Spiegel“

religion.ORF.at: Ihre nächste Publikation zum Thema steht schon in den Startlöchern. In Kürze erscheint ihr Buch „Christliche Beziehungsethik, Historische Entwicklungen, biblische Grundlagen und gegenwärtige Perspektiven“. Worum geht es da?

Lintner: Das Buch erscheint bei Herder und ist das Ergebnis einer jahrelangen Arbeit. Da versuche ich, meine Forschungsergebnisse noch einmal zusammenzufassen. Da habe ich auch die Möglichkeit, genau auf das einzugehen, was die Anfragen seitens des Lehramtes sind. Man hat mir ja kein Lehr- und Publikationsverbot erteilt, von daher sehe ich auch keinen Anlass, diesbezüglich nicht mehr aktiv zu sein.

Und das zweite: Ich denke, dass ich genau mit diesem Buch dann in diesem Problemfeld, das sich mit der Verweigerung des „Nihil obstat“ aufgetan hat, einen konstruktiven Beitrag leisten kann. Im Vorwort formuliere ich das auch ganz dezidiert und offen, dass dieses Buch sich auch als ein Beitrag für einen offenen und konstruktiven Dialog zwischen Lehramt und Theologie im Bereich der Beziehungsethik versteht.

Wir stehen diesbezüglich in einem Entwicklungsprozess, wo noch offen ist, in welche Richtung er geht. Den Missbrauchsskandal haben wir genannt, und es gibt auch andere, die ganzen soziokulturellen Entwicklungen: Menschen, die in Partnerschafts- und Familienformen leben, die eben der kirchlichen Lehre nicht entsprechen. Haben wir auch denen etwas zu sagen? Oder haben wir ihnen nur den moralisierenden Spiegel vorzuhalten? Es geht bis hin zum Umgang mit Geschlechtsidentitäten, Gender Studies usw. Ich behaupte ja nicht, dass das, was ich präsentiere, morgen die Lehre der Kirche sein muss. Aber einen konstruktiven Beitrag zu leisten, das nehme ich für mich in Anspruch.