Schwarze Katze in einer Wiese
Getty Images/deepblue4you
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Klopf aufs Holz

„Himmel hilf“: Wo der Aberglaube beginnt

Wenn alles andere nicht mehr hilft, dann sollen höhere Mächte es richten: Heute wie in früheren Zeiten hoffen viele auf Beistand übernatürlicher Kräfte – und fürchten ihre Macht. Wo Glaube endet und Aberglaube beginnt, hat sich der Historiker Tillmann Bendikowski in seinem Buch „Himmel hilf!“ angesehen.

Unter einer Leiter durchgehen? Schlecht. Bringt ein vierblättriges Kleeblatt Glück? Oh ja. Und kann man zu bestimmten Heiligen beten, die zum jeweiligen Problem passen? Magisches Denken, Zauberei, Orakel: All das gehöre „zu unserem gemeinsamen Kulturerbe“, schreibt der Autor eingangs. In „Himmel hilf!“ richtet er einen besonderen Blick auf die katholische Kirche, vor allem auf den oft heiklen Grenzgang zwischen „magisch“ anmutenden Aspekten von Liturgie und Religionsausübung und dem „echten“ Aberglauben, den die Kirche stets verdammte.

Denn er trat in direkte Konkurrenz mit der Kirche, deren Bemühungen, bei Gott Gehör zu finden, aus heutiger Sicht selbst recht abergläubisch wirken können: Bendikowski schildert am Beispiel eines Dorfpfarrers im Deutschland des 11. Jahrhunderts, wie Priester mit Hilfe von „Regenprozessionen“ versuchten, Dürren abzuwenden. Führte das nicht zum gewünschten Erfolg, griffen die Menschen „zu magischer Selbsthilfe“ in Form diverser Rituale.

„Konkurrenz der Glaubensangebote“

So hätten sich die Kleriker in einer „regelrechten Konkurrenzsituation der Glaubensangebote“ wiedergefunden, so Bendikowski. Dieser Konkurrenz begegnete die Kirche unter anderem mit der sattsam bekannten Drastik, die in „Hexenprozessen“ und dem fatalen Wirken der Inquisition gipfelte. Hinter der Anwendung magischer Praktiken sieht der Autor die „Hoffnung, das Leben in gewisser Weise zu ‚ordnen‘, Orientierung zu bieten und nicht hilflos einem Zufall ausgeliefert zu sein“.

Diese Ordnung bieten und boten grundsätzlich die christlichen Kirchen, vielen reichte das aber nicht. „In gewisser Weise wurde die Kirche schlicht die Geister nicht mehr los, die sie einst selbst gerufen hatte: Sie hatte als Religion selbst ein magisch-spirituelles Potenzial im Gepäck (…)“ Zugleich habe sie den nicht christlichen Aberglauben „als geistlichen wie finanziellen Konkurrenten“ bekämpft.

Die furchtbaren Gewaltexzesse gegen „Hexen“ waren unter anderem die Folge. Opfer des Aberglaubens waren sehr häufig auch die Juden: Sie wurden ohnehin als „Fremde“ misstrauisch beäugt; in Zeiten besonderer Not waren sie oft willkommene Sündenböcke. So war der Glaube, Juden würden sich an kleinen Kindern vergreifen und in Ritualen deren Blut verwenden, Viehställe verhexen und Ähnliches, weit verbreitet. Pogrome und Gewalt und Mord waren oft die Folge.

„Es ist der Aberglaube eine große Pest“

Bezüglich magischen Denkens scheint das Mittelalter eine verlässliche Bank zu sein – doch auch und gerade in der Neuzeit und darüber hinaus blühte der Aberglaube. In der Moderne trat und tritt der Aberglaube in neuen Gewändern auf.

Aufklärungsarbeit versuchte der österreichische Mönch und Theologe Ferdinand Sterzinger (1721–1786) gegen das „Zauber- und Gespensterwesen und gegen allen Hexenglauben“ zu leisten. In seinen Schriften wetterte Sterzinger, der auch ein Mann der Wissenschaft war, gegen den Aberglauben: „Es ist der Aberglaube eine große Pest, die das menschliche Geschlecht in unendliche Uebel stürzt. (…)“ Den Adressaten seiner Schriften entnimmt man, wie weit verbreitet etwa der Gebrauch von Amuletten und das Wünschelrutengehen waren.

Geisterglauben und Seancen

Auch das „Zeitalter der Vernunft“ war weit davon entfernt, vor Aberglauben gefeit zu sein: Der Geisterglauben hielt in Form spiritistischer Sitzungen, bei denen durch ein „Medium“ Botschaften Verstorbener entgegengenommen wurden, und an anderen Praktiken wie dem beliebten „Tischerlrücken“ in das 19. Jahrhundert Einzug.

Spiritualistisches Treffen in Leipzig, Deutschland, 1893
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Im 19. Jahrhundert erfreuten sich spiritistische Sitzungen großer Beliebtheit

Im Lauf des 20. Jahrhunderts erfuhren „Hexen“ eine deutliche „Aufwertung“: In den seit den 1940er Jahren entstandenen Wicca-Kulten „verschmelzen vormoderne matriarchalische Gottesvorstellungen mit schamanistischen Praktiken und Versatzstücken keltischer und germanischer Kultur“.

„Germanische“ Hexen und der „böse“ 13er

Kurios: Der Nationalsozialist und SS-Führer Heinrich Himmler „und mit ihm andere Anhänger eines diffusen germanischen Glaubens“ glaubten offenbar fest an die Existenz von Hexen: Diese hätten in Himmlers Vorstellung über „germanische“ Kräfte verfügt, schildert Bendikowski.

Buchcover Tillmann Bendikowski: Himmel hilf! Warum wir Halt in übernatürlichen Kräften suchen
C. Bertelsmann

Buchhinweis

Tillmann Bendikowski: „Himmel hilf“. Warum wir Halt in übernatürlichen Kräften suchen. C. Bertelsmann, 320 Seiten, 26,50 Euro.

Elemente „modernen Aberglaubens“ wie die Zahl 13, der negative Eigenschaften zugeschrieben werden, kommen in „Himmel hilf!“ auch vor. Man kennt die Hochhäuser, die über kein 13. Stockwerk verfügen, auch werde noch heute vielerorts davon abgeraten, 13 Gäste an einen Tisch zu bitten, liest man in „Himmel hilf!“ Den Ursprung des „bösen“ 13ers sieht der Historiker im Gegensatz zur „heiligen“ Zahl Zwölf beziehungsweise in der Anzahl der Teilnehmer am Letzten Abendmahl: Der 13. wäre in dieser Logik der Verräter Judas. Den mochte man nicht am Tisch sitzen haben.

„Hausmittel“ gegen den Teufel

Ein ganzes Kapitel widmet Bendikowski der Angst vor dem Teufel, die sich durch die Jahrhunderte zieht, allerdings auch in vielen Geschichten und Volkssagen einen folkloristischen Niederschlag fand. Teufelsaustreibungen sollten zwar idealerweise durch die kundige Hand eines Priesters vonstattengehen, sie seien aber oft auch mit „Hausmitteln“ versucht worden – eines der unangenehmeren waren schlicht Prügel für die oder den „Besessenen“. Dabei kamen dann hin und wieder die Opfer selbst ums Leben.

Der Glaube an Teufel und Dämonen ist freilich auch heute nicht ausgestorben – die katholische Kirche selbst bietet Teufelsaustreibungen an -; nicht zuletzt Papst Franziskus glaubt offensichtlich an das fortwährende böse Wirken des Teufels. Wie einer seiner Vorgänger, Papst Johannes Paul II., sagte: „Satans geschickter Plan in der Welt besteht darin, die Menschen zu veranlassen, seine Existenz zu verleugnen im Namen der Rationalität (…)“

Junge Frau mit T-Shirt mit Sternzeichenmuster
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Horoskop-Apps boomen vor allem bei Jüngeren

Autor Bendikowski betont, dass unsere heutige westliche Gesellschaft so aufgeklärt nun auch wieder nicht ist: Den Millennials attestiert der Historiker einen „Grundzustand der Unsicherheit“, der sich unter anderem in der Suche nach höheren (Schutz-)Mächten niederschlage. Boomende Horoskop-Apps und die Beliebtheit von Sternzeichenmustern in der Mode sind ihm dafür unter anderem ein Hinweis. Von Krisen und drohenden Zukunftsszenarien gequälte junge Menschen suchten Halt in der „deterministischen Logik der Astrologie“.