Nach lebensbejahenden Themen wie Familie („Family matters“) und der Nahrungsaufnahme („Mahlzeit“) war es nur eine Frage der Zeit, bis der Tod ins Dom Museum Einzug halten würde. Das renommierte Haus im Schatten des Stephansdoms mit seinen vielen alten und modernen Kunstschätzen kann zum Thema Tod und Sterblichkeit ganz besonders aus dem Vollen schöpfen. „Praktisch alles“ aus der ständigen Sammlung passe zur aktuellen, „sozusagen aufgelegten“ Schau, sagt Direktorin Johanna Schwanberg.
Anders als heutzutage habe sich die Kunst früherer Tage sehr viel mit allem Vergänglichen befasst, so Schwanberg – man muss nicht gleich bis ins alte Ägypten zurück: Auch das Barock hatte eine ausgeprägte Schwäche für den Tod. Im Gegensatz zu heute habe man damals auf einen langsamen, bewussten und gut vorbereiteten Tod gehofft, erklärt die Direktorin. Davon zeugen das Büchlein „Die Kunst vom guten Sterben“ (1761) sowie ein zierlicher Elfenbeinschädel (ca. 1720), die sich eine Vitrine im ersten Raum teilen.
Der Knochenmann als Dauerbrenner
Obwohl betont nicht nur der Tod, sondern ebenso das sterbliche (Nach-)Leben im Vordergrund steht, ist der Grundton der Schau gedämpft. Zu den Werken aus der eigenen Sammlung kommen für „Sterblich sein“ auch fünf Auftragsarbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler dazu, Leihgaben aus verschiedenen Stiften und Sammlungen ergänzen die Ausstellung.
Eine Neuinterpretation des Knochenmanns liefert Günter Brus’ Aquarell „Junger Tod“, das er 2020 unter dem Eindruck der Pandemie malte. Lässig steht er da, mit den Händen in den Taschen und ganz in Schwarz. Überhaupt erweist sich der Knochenmann als Dauerbrenner in der Ikonografie des Todes: Auf vielen Zeichnungen und Skizzen, darunter einige von Alfred Kubin, Ernst Fuchs und Lovis Corinth, dominieren Skelette und Totenköpfe. Über allem schwebt ein „dekonstruiertes“ Skelett aus Aluminium, die Installation „Blindflug/Blind Flight“ von Manfred Erjautz (2021).
Der Tod ist eine Zumutung
Dem Tod durch Gewalt ist der mittlere Teil der Ausstellung gewidmet, mit dem „Triumph des Todes“ von Jan Brueghel d. J. (um 1620) als Highlight: Das Skelett-Wimmelbild zeichnet sich durch die Abwesenheit jeglicher religiöser Symbole aus, anders als das Vorbild, das gleichnamige Gemälde seines Großvaters Pieter Brueghel d. Ä.
Den Raum dominiert gleichermaßen eine an die Decke geschraubte Videoinstallation der französischen Body-Art-Künstlerin Orlan. In „Petition contre la mort“ (2023) wettert sie gegen die Zumutung, die der Tod darstellt – und darunter fordert ein grellrotes Plakat zum Unterschreiben einer Petition gegen das Sterben auf.
Ausstellungshinweis
„Sterblich sein“ im Dom Museum Wien, 6. Oktober 2023 bis 25. August 2024
Aktuell und radikal wirkt auch ein auf Stoff aufgetragenes Gedicht. Die ukrainische Künstlerin Olia Fedorova schrieb es während der Belagerung der Stadt Charkiw mit den einzigen verfügbaren Materialien: Filzstift auf Leintuch. Aus dem eigentlich sehr gewalttätigen Computerspiel „Grand Theft Auto“ ausgeschnittene ruhigere Teile fügte der Künstler Phil Solomon zu etwas Neuem zusammen – das Ergebnis ist der beinahe meditative Film „In Memoriam (Mark LaPore 1952–2005)“. Die feinfühligen Foto- und Collagearbeiten des syrischen Künstlers Khaled Barakeh (Chaled Baraka) versuchen mit Aussparungstechniken, die Würde von im Krieg getöteten und gefolterten Menschen wiederherzustellen.
Einige privatere und sehr persönliche Arbeiten wie Renate Bertlmanns „Poesiealbum I-IV – Meiner Mutter gewidmet“ (1980) und Lena Ilay Schwingshandls „sterbebild-oma0012.jpg“ (2018) berühren durch ihre zurückgenommene Gestaltung. In diese Kategorie fällt auch eine kleine Schatulle mit Reliquien und Gegenständen aus dem Stephansdom – von wem oder aus welcher Zeit sie stammen und wer sie zusammengestellt hat, ist unbekannt.
Im letzten Teil bringt die Ausstellung unter dem Motto „Was bleibt“ noch einmal Altes und Neues zusammen: Eine riesige Holzplastik, eine „Kreuzabnahme“ des Barockkünstlers Giovanni Giuliani (um 1730), die aus dem Kloster Heiligenkreuz stammt, nimmt sich monumental aus gegen die kleinen, gerahmten Fotografien, Briefe und Dokumente gleich daneben. Die Künstlerin Ramesch Daha arbeitet hier mit „Unlimited History-Sigmund Klein“ (2019) das Schicksal ihres von den Nationalsozialisten ermordeten Stiefurgroßvaters auf.
Am Ende wird es bunt
An der Stirnseite des Raumes wird es noch einmal knallig: Das quietschgrün-bunte Ölgemälde „To love or not to love …“ (1964/65, bis 2008 teilweise übermalt) von Maria Lassnig saugt die Blicke an, daneben begibt sich in Ameh Egwuhs „Life after Life 6“ (2021) ein junger Mann offenbar auf eine poppige Himmelfahrt. Eine plüschige, pink-violette, mit Totenköpfen bestickte Stoffinstallation der mongolischen Künstlerin Nomin Bold, „Transporter to Another Time“ (2023), würzt die christlich dominierte Ausstellung am Ende mit einer buddhistischen Note.