Österreich

Rabbiner: 7. Oktober brachte Paradigmenwechsel für Juden

Der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister beobachtet seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober einen „Paradigmenwechsel“ für die in Österreich lebenden Jüdinnen und Juden, „was unser Selbstverständnis betrifft, hier in Sicherheit leben zu können“.

Das berichtete der Rabbiner am Dienstag im Interview mit dem Fernsehsender Puls 24. Seit dem Datum des Angriffs hätten sich die antisemitischen Vorfälle verdreifacht, berichtete kürzlich auch die Antisemitismus-Meldestelle der Wiener Kultusgemeinde.

Die aktuellen Entwicklungen zeigten, wie der Nahost-Konflikt nach Europa exportiert werde, so Hofmeister. Das gelte nicht für Österreich, sondern für viele westliche Länder. Dieser werde auf offener Straße ausgetragen und von muslimischen Vertretern, aber auch politischen Unterstützern der palästinensischen Seite angefacht. In Verwechselung der Forderung nach einem freien Palästina werde für einen Hamas-Terror demonstriert, „auf eine Art und Weise, die uns sehr große Angst macht“, so Hofmeister.

Juden wollen sich nicht verstecken

Jüdinnen und Juden wollten in Österreich ihr Leben nicht ändern, sich nicht verstecken und so den Alltag gestalten, wie es seit vielen Jahrzehnten möglich sei. Andererseits gelte es für Jüdinnen und Juden vorsichtig zu sein, denn die Aufrufe zu Hass und Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens auf der ganzen Welt hätten in den letzten Wochen bereits zu Vorfällen und Übergriffen geführt.

Rabbiner Schlomo Hofmeister
APA/AFP/Joe Klamar
Wiener Rabbiner Hofmeister: Demos machen Angst (Bild vom November 2020)

Hofmeister widerspricht der These, dass es einen explizit „muslimischen Antisemitismus“ gebe: Es gebe Antisemitismus, der von rechten, von linken und auch von muslimischer Seite getragen werde, „das bedeutet aber nicht, dass er muslimisch oder religiös gerechtfertigt oder erklärt wird“, sagte Hofmeister. Nicht zu leugnen sei aber, dass es insbesondere unter muslimischen Jugendlichen ein großes Problem gebe, was die Bedrohungslage der jüdischen Gemeinde betreffe.

„Riesiges antisemitisches Potenzial“

Diese akute Bedrohungslage habe auch bei ihm Ängste ausgelöst, die er sonst nicht gehabt hätte, so Hofmeister. Die Demonstrationen, die in ganz Europa abgehalten worden seien und den Hamas-Terror massiv verharmlost hätten, zeigten „ein riesiges antisemitisches Potenzial“, betonte der jüdische Geistliche. Dass sich dieses „derart virulent“ binnen weniger Tage aufgrund der Ereignisse im Nahen Osten „auf den Straßen austoben konnte“, sei durchaus überraschend gewesen.

In Österreich könne man sich trotzdem glücklich schätzen, ob der Situation, auch im Vergleich mit anderen Ländern in Europa und außerhalb. So genieße die jüdische Gemeinschaft den Schutz des Staates und man sei darauf bedacht, das Gemeinsame zu unterstützen, einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und nicht zu polarisieren, zeigte sich Hofmeister überzeugt. Das äußere sich letztendlich auch darin, wie sich die Konflikte in Österreich zeigten. So gebe es, trotz der angespannten Lage, in Wien noch keine „Situationen, wie wir sie in Paris, oder in London sehen“.

Keine Religion predigt Streit

Religionen seien von ihren Aussagen und Forderungen friedliebend, zeigte sich der Rabbiner überzeugt: „Es gibt keine Religion, die den Zwist, den Streit oder die Aggression predigt.“ Problematisch werde es erst dann, wenn die religiöse Identität zum „Spielball der Politik“ werde. In dem Moment, wo religiöse Vertreter politische Agenden verfolgten und die Religion damit vermischten, werde es zum Problem.

Um in einer angespannten Zeit wie aktuell müsse es umso mehr darum gehen, dem Anderen den Respekt zu zeigen, den man für sich selbst auch erwarte, zeigte sich Hofmeister überzeugt. So sei selbstverständlich, „dass die überwiegende Mehrheit der Muslimen in Europa Solidarität empfinden für die palästinensische Zivilbevölkerung“. Das bedeute aber noch nicht automatisch, dass sie den Terror der Hamas gutheißen würden.

Gleichzeitig gelte es zu respektieren, dass die europäischen Jüdinnen und Juden eine große Solidarität auch mit dem Staat Israel verspürten. Klar sei, „jedwede Form von Rechtfertigung, Erklärung oder Relativierung des Terrors der Hamas ist inakzeptabel, egal von welcher Seite“, so Hofmeister abschließend.