Krieg in Nahost

Wissenschaftler: Vermischung von Politik und Religion

Im aktuellen Nahost-Konflikt kommt es laut dem Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, Mouhanad Khorchide, auch in Europa zu einer Vermischung von Politik und Religion.

In einem Gastbeitrag für die „Salzburger Nachrichten“ (Wochenend-Ausgabe) schrieb der aus Österreich stammende Leiter des Zentrums für Islamische Theologie von einer Vermischung des politischen Konflikts mit dem Verhältnis der beiden Religionen – des Islams und Judentums – miteinander. Der Theologe mahnt zu einer fundierten Auseinandersetzung mit tradierten Narrativen in der islamischen Welt über das Judentum.

Im Koran stoße man sowohl auf Lob als auch auf Kritik an Juden zur Zeit Mohammeds im siebten Jahrhundert, erläuterte der Theologe. Man dürfe diese Kritik auf keinen Fall als Kritik am Judentum oder an den Juden verallgemeinern, denn es seien jeweils nur bestimmte Gruppen oder Personenkreise gemeint gewesen.

Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide
APA/Roland Schlager
Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide

Es falle auf, dass der Koran gegenüber dem Christentum inhaltliche Kritik äußert, vorwiegend in Bezug auf die Vergötterung Jesu. Was hingegen das Judentum angeht, betreffe die koranische Kritik hauptsächlich politische und keine religiösen Konflikte zur Zeit Mohammeds, so Khorchide.

Religiöse Dimension

Man dürfe daraus aber nicht voreilig ableiten, dass deshalb die Religion bei der aktuellen Auseinandersetzung im Nahen Osten keine Rolle spiele. Khorchide verwies etwa auf die Al-Aksa-Moschee, die im Islam neben den Moscheen in Mekka und Medina als die dritte heilige Moschee gilt.

Diese Moschee aufzugeben würde für viele Muslime einem Verrat am Islam selbst gleichkommen. Der Nahost-Konflikt sei folglich mit einer religiösen Dimension verbunden, die man nicht wegdenken könne. Entsprechend bleibe Ostjerusalem auch ein nicht verhandelbarer Bestandteil islamischer Kultstätten.

Politischer Konflikt wird religiös

Diese starke religiöse Bedeutung von Jerusalem führe oft zu einer Vermischung des politischen Konflikts mit dem Verhältnis des Islams und des Judentums zueinander, so Khorchide: „In den sozialen Netzwerken und auf Pro-Palästina-Demonstrationen ist oft von den bösen Juden die Rede, und so wird aus einem politischen Konflikt ein religiöser. Dies ist Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus, der durch die aktuellen Ereignisse viel Nährboden in und auch außerhalb Europas findet.“

Im Narrativ vieler Muslime ist laut Khorchide Israel der Aggressor und die Hamas die Verteidigerin der heiligen Stätten des Islam. Daher werde der jüngste Angriff der Hamas nicht als Terroranschlag gesehen, sondern als legitimer Akt der Selbstverteidigung.

Narrative über Judentum

Junge Männer, die im Gazastreifen ohne Perspektiven leben und mit dem Kriegsnarrativ aufwachsen, müssten aufgefangen werden, so Khorchide: „Da reichen Verurteilungen und Verbote der Hamas nicht. Es braucht gezielte wirtschaftliche wie auch Bildungsmaßnahmen.“

Man dürfe nicht vergessen, „dass viele Flüchtlinge, die aus Syrien zu uns kamen, von ganz anderen Narrativen über das Judentum, die jüdische Bevölkerung und den Staat Israel geprägt sind als wir“. Darüber müsse offen und sachlich geredet werden.

Weiter Hoffnung auf dauerhaften Frieden

Initiativen und Haltungen, die zu einer friedlichen Koexistenz von Jüdinnen, Juden und Palästinenserinnen und Palästinensern aufrufen, berufen sich laut Khorchide oft darauf, dass Muhammad, als er im Jahre 622 von Mekka nach Medina ausgewandert ist, den berühmten Vertrag von Medina geschlossen habe, in dem er den Juden als Teil einer gemeinsamen Umma (Gemeinschaft) dieselben Rechte gab wie den Muslimen.

Khorchide erinnert zudem daran, dass Juden, Christen und Muslime im osmanischen Reich in Wirtschaft, Politik und Kultur eng verbunden waren. Derzeit würden diese positiven Narrative aber verdrängt und durch Kriegsnarrative ersetzt.

Es bleibe nur zu hoffen, „dass sich die Weltgemeinschaft stärker im Sinne einer friedlichen Lösung dieses Konflikts einschaltet“. Die bisherigen Bemühungen seien offenbar gescheitert. Daraus müsse man entsprechende Lehren ziehen „und einen Weg des dauerhaften Friedens im Nahen Osten einschlagen“.