Wien

Lichtermeer am Heldenplatz gegen Antisemitismus

Mehr als 20.000 Menschen haben Donnerstagabend laut Mitorganisator Daniel Landau am Lichtermeer am Wiener Heldenplatz teilgenommen, um für die Freilassung der Hamas-Geiseln sowie gegen Antisemitismus, Terror, Gewalt und Hass zu demonstrieren.

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien und die zivilgesellschaftliche Initiative „#YesWeCare“ hatten zu dem Lichtermeer in der Wiener Innenstadt geladen. „Ich möchte diese Veranstaltung nicht offiziell beginnen, ohne dass der Botschafter ‚meines‘ Israel – auch wenn ich nicht israelischer Staatsbürger bin – hier wäre“, sagte Landau. Vorkommnisse gab es laut Polizei keine.

Zur Teilnehmerzahl machten die Beamten gegenüber der APA keine Angaben. Landau wie in der Einleitung auf die 220 neben der Rednerbühne platzierten Stühle hin, die für die von der Hamas nach wie vor als Geiseln Genommenen standen, sowie deren Bilder, die auf einen Trakt der Hofburg projiziert waren.

„Terror darf nicht gewinnen“

Befürchtungen über etwaige Störaktionen bis hin zu Anschlägen entgegnete Landau mit positivem Denken. Es könnten Leute nicht hier sein, weil sie sich fürchteten, sagte er. Doch er sei der Meinung, die Sorgen seien unbegründet, „denn der Terror darf nicht gewinnen. Er wird nicht gewinnen. Niemals.“

Lichternmeer gegen Antisemitismus in Wien
APA/Eva Manhart
Laut Organisatoren waren 20.000 Menschen beim Lichtermeer

Landau erwähnte auch den Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. „Ich bin zutiefst betroffen, wie der Hass nicht einmal vor der Schändung Toter zurückschreckt.“

Vergleich mit World Trade Center

Oskar Deutsch, Präsident der IKG, verglich die Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, den islamistischen Anschlägen in Paris im November 2015 sowie dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Jänner desselben Jahres. „Es war das grausamste Massaker an Jüdinnen und Juden, das die Welt nach 1945 gesehen hat“, so Deutsch. „Hier gibt es keinen Kontext: Es sind Verbrechen der grausamsten Art.“

„Mehr als 600 der 8.000 Raketen der Hamas und ihrer Verbündeten sind in Gaza selbst eingeschlagen“, sagte Deutsch. Auf die Rhetorik der radikalislamischen Hamas dürfe man aber nicht hereinfallen: „Die Propaganda der Islamisten wurde auch in Europa verbreitet. Sie behaupteten, Israel hätte ein Spital beschossen – eine Lüge, die nach nur wenigen Stunden entlarvt wurde.“

Mehr antisemitische Vorfälle

Dennoch habe es anschließend antisemitische Ausschreitungen gegeben. „In Österreich stieg die Anzahl der antisemitischen Vorfälle seit dem 7. Oktober um mindestens 400 Prozent im Vergleich zu 2022. Sie alle stehen hier dagegen auf“, wandte er sich ans Publikum. „Ihre Anwesenheit ist ein wichtiges Zeichen. Sie alle zeigen, dass wir für eine offene Gesellschaft einstehen, eine liberale Demokratie“, sagte er zu den Kundgebungsteilnehmern. „Es ist die Aufgabe von uns allen, von jedem Menschen auf dieser Welt, auf die Befreiung der Geiseln zu drängen.“

Der designierte Botschafter Israels in Österreich, David Roet, danke Mitorganisator Landau: „Sie haben eine inspirierende Arbeit geleistet“, meinte er. Der Heldenplatz, auf dem das Lichtermeer stattfand, erinnere ihn an die dunkelsten Kapitel der Geschichte. Doch „ich erkläre, dass ‚Nie wieder‘ jetzt ist, ,Nie wieder’ gilt für alle.’“ Der Botschafter äußerte sich auch zum Ausmaß der Unterstützung: „Ich bin dankbar für die parteienübergreifende Anerkennung in Österreich und in der ganzen Welt.“

Kritik an UNO-Generalsekretär

Kritik übte Roet an UNO-Generalsekretär Antonio Guterres: „Wir sind tief entsetzt über den Generalsekretär der Vereinten Nationen.“ Vor Kurzem habe dieser „beide Seiten verurteilt“ und Israel und die Hamas gleichgesetzt. Dabei gäbe die Hamas dem Roten Kreuz keinen Zugang zu ihren Geiseln.

Der neue Präsident der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JÖH), Alon Ishay, sprach von „pogromartigen Zuständen“ und bezog sich auf Vorkommnisse an mehreren Orten: in Dagestan, wo eine Menschenmenge auf dem Flughafen wegen der Ankunft jüdischer und israelischer Flüchtlinge randalierte, sowie (versuchte) Brandanschläge in Berlin und Wien.

Erinnnerung an Terrornacht

Was jüdische Gemeinden derzeit erlebten, sei daher kaum in Worte zu fassen. Auch den Terroranschlag in Wien, der sich auf den Tag genau vor drei Jahren ereignet hatte, bezog Ishay in seine Rede ein: „Nicht nur, weil Österreich ein Täterland ist, sondern auch, weil es heute vor drei Jahren einen Terroranschlag vor einer jüdischen Einrichtung gab.“

Zu den Anschlägen der Hamas am 7. Oktober sagte Ishay: „Die Schlächter unserer Freunde und Freundinnen, unserer Familien, werden Freiheitskämpfer genannt und der Versuch, sie zu stoppen, in perfider Täter-Opfer-Umkehr als Genozid bezeichnet.“ Weiter: „Es macht einen Unterschied, ob Kinder massakriert werden, oder ob sie als menschliche Schutzschilder der Hamas sterben. Wer da nicht unterscheidet, wird zum Apologeten der Massenmörder.“

„Nie wieder“ mehr als hohle Phrase

„In nicht einmal einem Monat gab es in Wien mehr als 200 antisemitische Vorfälle“, so Ishay. „Falls es jemals ein jüdisches Sicherheitsgefühl gab, ist es nun verschwunden.“ Angesichts dessen forderte er mehr Unterstützung für die jüdische Bevölkerung: „Viel zu wenige ergreifen Partei (für uns, Anm.). Doch wenn ‚nie wieder‘ mehr als eine hohle Phrase sein soll, dann brauchen wir euch jetzt.“

„Wie gut es tut, die Fahne Israels zu sehen, das attackiert wird!“, sagte der Schritsteller Doron Rabinovici über die hochgehaltene Fahne. „Es geht der Hamas nicht nur um die Freipressung ihrer Judenmörder. Es geht ihr um Judenhass, es geht ihr um antisemitische Hetze weltweit“, meinte der Autor. „An die Hamas brauchen wir uns nicht mehr zu richten – denn sie ist für alles Menschliche taub.“ Fehlenden Unterstützern richtete er aus: „Wer jetzt schweigt, braucht keine Sonntagsreden mehr zu halten.“

Angehörige Entführter dabei

Auch drei Angehörige von Entführten kamen beim Lichtermeer zu Wort. Aleksandra Aliyev sei von ihrer jüngeren Schwester Karina am Tag von deren Entführung angerufen worden. Karina habe zu ihr gesagt: „Wenn ich es nicht überlebe – bitte sei glücklich. Lebe.’“

Der Vater der entführten Liri Albag, Eli Albag, nutzte das Wetter während der Kundgebung als Metapher. „Der Himmel weint um die Kinder, die ermordet wurden.“ „Vergesst die Geschichte nicht“, setzte er fort – und deutete auf den Balkon der Hofburg, auf dem Adolf Hitler am 15. März 1938 unter Begeisterungsstürmen den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland ausgerufen hatte.

Den meisten Reden war gemein, dass sie mit den Worten „Bring them home now“ („Bringt sie sofort nach Hause“) endeten – gleichermaßen ein Aufruf an die Hamas, die Geiseln freizulassen, wie der Name einer Initiative.