Lateinamerika

Befreiungstheologe Enrique Dussel gestorben

Der lateinamerikanische Befreiungstheologe und Philosoph Enrique Dussel ist tot. Dussel starb Medienberichten zufolge am Sonntag (Ortszeit) im 89. Lebensjahr in Mexiko-Stadt. Der Philosoph, Historiker und Theologe war in den 1970er Jahren einer der Mitbegründer der kritischen Denkrichtung „Philosophie der Befreiung“ in seinem Heimatland Argentinien.

Dussel galt zudem als einer der wichtigsten Vordenker der „Theologie der Befreiung“. Die von Dussel mitgeprägte Denkrichtung zeichnet sich durch Kritik der klassischen Philosophie als zu eurozentrisch aus, fordert politische Umwälzungen und legt einen besonderen Fokus auf das Leid unterdrückter und notleidender Menschen.

Die „Theologie der Befreiung“ ist eine nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) entstandene lateinamerikanische Ausprägung innerhalb der katholischen Theologie, die sich besonders durch eine „Option für die Armen“ auszeichnet.

Bewegtes Leben

Dussel wurde 1934 als Nachfahre deutscher Einwanderer in Argentinien geboren und studierte dort sowie in Spanien und Paris Philosophie, Theologie und Geschichte. Er führte ein bewegtes Leben: Ab 1959 lebte Dussel für zwei Jahre in Nazareth und arbeitete dort als Zimmermann. 1961 ließ er sich in Frankreich nieder, lernte zwei Jahre später auf einer Deutschlandreise seine spätere Ehefrau Johanna Peters kennen und nahm 1964 eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz an.

Von 1967 bis 1975 unterrichtete er als Professor Kirchengeschichte und Ethik in seiner argentinischen Heimat. In dieser Zeit stand er in engem Austausch mit dem Jesuiten Juan Carlos Scannone, der als einer der Väter der „Theologie des Volkes“, einer argentinischen Variante der Befreiungstheologie gilt. Der 2019 verstorbene Scannone unterrichtete den heutigen Papst Franziskus, damals Jorge Mario Bergoglio, als jungen Jesuiten in Altgriechisch und Literatur.

Exil in Mexiko

Zusehends geriet Dussel aufgrund seines Forschungsschwerpunkts in den frühen 1970er Jahren ins Fadenkreuz der sich bildenden paramilitärischen Gruppen in Argentinien. Neben Anschuldigungen wurde er als Marxist gebrandmarkt, es gab Morddrohungen und 1973 einen Bombenanschlag auf sein Haus.

1975 wurde seine Einrichtung an der Universität Cuyo geschlossen und seine Bücher verboten, worauf ins Exil nach Mexiko ging. Dort hatte er eine Professur für lateinamerikanische Theologie- und Kirchengeschichte und philosophische Ethik inne und veröffentlichte sein Hauptwerk „Philosophie der Befreiung“.

Für „dekoloniale Wende“

Ab 2000 war Dussel, der weiterhin in Mexiko lebte, Teil des Kollektivs „grupo modernidad/colonialidad“, das sich einer „dekolonialen Wende“ in Lateinamerika verschrieben hatte. Insgesamt verfasste er über 50 Bücher und mehr als 400 wissenschaftliche Beiträge, von denen viele in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden.

Durch seine Beiträge zum Aufbau einer „engagierten Philosophie“ galt er als einer der renommiertesten philosophischen Denker des amerikanischen Kontinents. Er stand im Austausch mit namhaften Philosophen, wie Jürgen Habermas oder Richard Rorty. Anerkannt wurde Dussels Wirken mit zahlreichen Ehrendoktorwürden, darunter auch von der Universität Freiburg (1981).