Novemberpogrome

Kardinal Schönborn: Kein Platz für Antisemitismus

Erschüttert vom nach wie vor vorhandenen antisemitischen Potenzial in der Gesellschaft hat sich am Donnerstag Kardinal Christoph Schönborn gezeigt. Der gewalttätige Hass auf Juden sei eine schreckliche Realität, auch in der säkularen, „postmodernen“ Gesellschaft.

Das schrieb der Kardinal in der Nachricht auf der Plattform X (vormals Twitter). „Als Christen können wir dazu nicht schweigen. Wir stehen ganz klar auf der Seite unserer jüdischen Mitmenschen. Die Achtung der Menschenwürde ist unteilbar. Niemand darf von ihr ausgeschlossen werden“, so Schönborn.

Der Wiener Erzbischof erinnerte an die Novemberpogrome: Vor 85 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, habe ein fanatisierter Mob auch in Wien jüdisches Eigentum geplündert, Jüdinnen und Juden aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben, Synagogen und religiöse Symbole des Judentums in Brand gesteckt und vernichtet.

Kardinal Schönborn
APA/Hans Punz
Kardinal Schönborn: „Als Christen können wir dazu nicht schweigen"

„Widerstand war zu gering“

Schönborn: „Als Christen müssen wir beschämt bekennen: Der Widerstand der Kirchen gegen den längst verbreiteten Antisemitismus war viel zu gering und kaum hörbar. Ja, jahrhundertelange antijudaistische Polemik von christlicher Seite hatte auch Anteil daran, dass Antisemitismus sich so tief in der Gesellschaft verwurzeln konnte.“

„Flutwelle des Antisemitismus“

Tief betroffen von der aktuellen „Flutwelle des Antisemitismus“ in Österreich hat sich am Donnerstag auch der Dekan der Salzburger theologischen Fakultät, Dietmar Winkler, gezeigt. Die „Macht der Bilder aus Gaza machten aus dem auch hierzulande vorhandenen antisemitischen Grundwasserspiegel eine Flutwelle des Antisemitismus. Bilder der unfassbaren Brutalität der Hamas erreichten die weltweite Bevölkerung kaum“, so Winkler gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress.

„Österreich muss selbstverständlich auch für die zivilen Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung die Stimme erheben. Aber Österreich hat auch eine besondere historische Verantwortung hier vor Ort, die Stimme gegen Antisemitismus zu erheben. Der Krieg des Staates Israel gegen den Terror der Hamas in Gaza ist eine Sache, das reflexartige Hochkommen von Antisemitismus und Antijudaismus hierzulande etwas ganz anderes“, wird Winkler zitiert.

Solidaritätsaktionen zweckentfremdet

Demonstrationen in Österreich, die als Solidaritätsaktionen für die Palästinenserinnen und Palästinenser angekündigt wurden, seien instrumentalisiert und zweckentfremdet worden für den Aufruf zur Vernichtung Israels, kritisierte Winkler.

Das Gedenken an die Progromnacht des 9. November 1938, de facto der Auftakt zum Holocaust, habe damit in diesen Tagen eine erschreckende Aktualität erlangt. Die brutalen Überfälle der Hamas hätten zu einer flächendeckenden Retraumatisierung in Israel und auch in der jüdischen Diaspora geführt, sowohl kollektiv als auch subjektiv.

Taten der Mehrheitsgesellschaft

Aus Österreich wurden im Zuge der Pogrome vom November 1938 ca. 3.800 Menschen in die KZs verschleppt, so Winkler: „Die Pogrome waren Taten der Mehrheitsgesellschaft, die von machthabenden Institutionen mindestens geduldet oder – wie im Fall der Pogromnacht von 1938 – mitinszeniert waren.“ So seien etwa die Feuerwehren angehalten gewesen, Synagogen abbrennen zu lassen und nur das Übergreifen auf „arischen“ Besitz zu verhindern. Viele Überlebende hätten ihre Angst und Hilflosigkeit, Ohnmacht und Wut gegenüber dem plündernden organisierten Mob geschildert.

Zerstörte Fassade, Novemberpogrom 1038
ORF/Yad Vashem
Zerstörungen nach den Novemberpogromen 1938

Auch wenn in Salzburg selbst keine direkten Morde an diesem Tag geschahen, so wurden 60 Männer in das KZ Dachau verschleppt, die Synagoge in Salzburg massiv angegriffen und Geschäfte von jüdischen Salzburgern wurden geplündert, erinnerte Winkler. Wem die Flucht gelang, der musste seinen Besitz zurücklassen und mittellos einen Neuanfang in einem fremden Land wagen. Wer Salzburg nicht verlassen konnte, geriet in die Maschinerie von zunehmend radikalerer Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung.

Eliminatorischer Antisemitismus

Der auf Antisemitismus und Antijudaismus spezialisierte Salzburger Kirchenhistoriker Roland Cerny-Werner hielt gegenüber Kathpress fest: „Ein oft transformiertes Bild, theologisch, gesellschaftlich, kulturell und kirchlich immer wieder perpetuiert und gefestigt, bildet den grundlegenden Motivvorrat dessen, was wir heute als eliminatorischen Antisemitismus bezeichnen müssen: Den Zugriff auf Juden und Jüdinnen, weil sie Juden sind, weil sie als das ‚böse Andere‘ konstruiert werden, und aus Mehrheitsgesellschaften ausgeschlossen werden sollten.“

Dass dabei deren physische Vernichtung nicht nur in Kauf genommen wird, sondern als vermeintliche Problemlösung betrieben wird, mache etwa die Hamas zu den wohl heftigsten Antisemiten der Zeit und das Gutheißen, das Feiern und Relativieren derer Taten sei eindeutig ein antisemitisches Gebaren, betonte Cerny-Werner.

Der Experte sprach von einem Denken und Tun, „das 85 Jahre nach den Novemberpogromen erschreckende Parallelen sowohl auf der Seite der Täter als auch der Opfer offenlegt: Verfolgung mit System, Vernichtenwollen, der Versuch einer weltweiten Dynamisierung dieser Vernichtungsideen einerseits und auf der anderen Seite das Verstecken, das Verheimlichen der eigenen Identität und die Wut über die Hilflosigkeit und Ohnmacht.“