Interview

UNO-Behindertenrechtskonvention: viele Baustellen in Österreich

Was der zuständige Fachausschuss der UNO für die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei seiner Staatenprüfung Österreichs im vergangenen Sommer festgestellt hat, bestätigt Julia Moser, Geschäftsführerin von „Licht für die Welt“, im APA-Gespräch.

Österreich ist bei der Umsetzung der Konvention säumig. „Ich habe einfach das Gefühl, wenn man mit politischen Vertreterinnen und Vertretern spricht, es wird nicht so ernstgenommen“, sagte Moser. Es gebe zahlreiche Problemfelder in Österreich, „wo man das Gefühl hat, man steht noch so am Anfang“, betonte die Geschäftsführerin der Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen in dem Gespräch aus Anlass des Welttages der Menschen mit Behinderungen (3. Dezember).

„Das ist nicht wirklich nachvollziehbar. Die Konvention ist jetzt seit 15 Jahren in Österreich ratifiziert und sie verpflichtet, das umzusetzen. Österreich hat es anscheinend auch unterschrieben in der Annahme, das reicht jetzt einmal“, kritisierte Moser.

Teilweise Rückschritte

Die „Licht für die Welt“-Chefin sprach davon, das Gefühl zu haben, dass die UNO-Konvention als lästig empfunden werde: „Alle paar Jahre wird geprüft, und dann müssen wir uns was überlegen und zeigen, was wir alles tun. Und jetzt ist wieder zehn Jahre eine Ruhe bis zum nächsten Mal.“ Moser räumte ein: „Ich muss schon auch dazu sagen, dass in manchem Bereich wichtige Dinge passiert sind. Sicher auch aufgrund der UNO-Konvention. In anderen Bereichen hat es teilweise Rückschritte gegeben.“

Das wirkt sich auf den Alltag von Menschen mit Behinderungen aus. Moser verwies darauf, dass viele Behinderungen nicht sichtbar – anders als etwa bei blinden Menschen, die einen Langstock verwenden, oder bei Rollstuhlnutzern oder auch Menschen mit Down-Syndrom, die meist gut zu erkennen sind: „Aber wenn ich nicht weiß, dass da eine Barriere ist für jemand anderen, fällt sie mir auch gar nicht auf. Und der Alltag von Menschen mit Behinderungen ist sehr häufig davon geprägt, mit Barrieren konfrontiert zu sein.“

„Maßnahmen auf mehreren Ebenen notwendig“

„Man hat oft das Gefühl, immer wieder auf die gleichen Dinge hinweisen zu müssen, die eigentlich schon längst erledigt sein sollten. Ich will nicht mehr diskutieren müssen, warum es alternative Zugänge zu Stufen braucht, warum ein Aufzug nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig ist und warum es keine gute Idee ist, wenn auf einem hellgrauen Hintergrund ein Text in einer noch etwas hellgraueren Schrift steht, sodass es kaum jemand lesen kann“, sagte Moser.

Mensch fährt mit Rollstuhl
Public Domain
Menschen mit Behinderungen müssten besser in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, so Moser

Ein Problem bei der Umsetzung der UNO-Konvention liegt der „Licht für die Welt“-Geschäftsführerin zufolge auch darin, dass Maßnahmen auf mehreren Ebenen notwendig sind – Stichwort Föderalismus. Und die Frage ist dabei wie so oft: Wer zahlt? „Weil die Länder sich jetzt nicht wirklich verpflichtet fühlen“, sagte Moser. Dazu komme die Gemeindeebene, auch da werde die Verpflichtung nicht wirklich gesehen. „Und es gibt sicher auch eine Überforderung, weil es gibt keine Angebote seitens des Bundes zur Fortbildung“, konstatierte die Geschäftsführerin.

Einbindung in Entscheidungsprozesse

Die Konvention regelt auch die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in die Entscheidungsprozesse: „Das ist in Österreich sicher ein sehr großes Problem, dass nicht verstanden wird, was Partizipation oder umfassende partizipative Teilhabe wirklich bedeutet. Man sagt, man lädt dann vielleicht ein, zwei Vertreterinnen oder Vertreter zu einer Sitzung ein, und dann macht man halt selber weiter. Man sorgt nicht dafür, dass Prozesse entsprechend aufgesetzt sind“, sagte Moser.

Ein gutes Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht der Katastrophenschutz, der in Österreich Ländersache ist. Wenn bei solchen Entscheidungs- und Optimierungsprozessen keine Menschen mit Behinderungen dabei sind, „dann werden sie auch vergessen“. Dabei seien sie die ersten, „die gefährdet sind“ – etwa wenn Gehörlose den Sirenenalarm nicht wahrnehmen.

Bildungsbereich als „große Baustelle“

Einer der größten Kritikpunkte der Staatenprüfung im Sommer betraf den Bildungsbereich – „zurecht“, sagte Moser. „Bildung ist schon eine große Baustelle. Man hat eine Segregation von Anfang an für Kinder mit und ohne Behinderungen. Man findet dann auch keinen Weg mehr raus. Wenn ein Kind einmal in der Sonderschule ist, dann ist ein bestimmter Weg vorprogrammiert, der von der Sonderschule in die betreute Werkstätte mit Taschengeld führt.“

Die „Licht für die Welt“-Geschäftsführerin räumte aber ein, dass es einfacher ist, Inklusion in einem Bildungssystem mitzudenken, das de facto neu errichtet wird – ein Beispiel dafür wäre der Südsudan -, als Segregation durch Inklusion in einem bestehenden System zu ersetzen.

NGO-Arbeit nicht flächendeckend inklusiv

Ein großes Problem ist – bei staatlichen Stellen wie auch bei Hilfsorganisationen – die Ausstattung mit Ressourcen. „Wir wollen bei der ADA (Austrian Development Agency, Anm.) inklusive Entwicklungszusammenarbeit machen. Es gibt dort Personen, die sind super engagiert. Nur wenn das das System oder die Struktur nicht hergeben, ist das natürlich schwierig“, erläuterte Moser. Die „Licht für die Welt“-Geschäftsführerin wies darauf hin, dass das Mitdenken von Inklusion selbst bei Hilfsorganisationen nicht automatisch gegeben ist.

„Das ist oft auch sehr personengetrieben. Ich glaube, das hängt schon auch davon ab, wer in einer bestimmten Position sitzt und ob dieser Person Inklusion ein Anliegen ist. Da ist zum Teil schon sehr große Expertise da. Flächendeckend erlebe ich nicht, dass NGO-Arbeit inklusiv ist.“ Es sei eines ihrer Ziele, dass auch „innerhalb von NGOs ein Mainstreaming dieser Ideen stattfindet – dazu braucht es Ressourcen“. Moser: „Nicht, dass es dann heißt, wir haben noch ein zusätzliches bürokratisches Erfordernis.“

Best-Practice-Beispiele

„Die Ressourcenlage der NGOs ist auch nicht die beste“, räumte sie ein. In Österreich wie auch in den Staaten, in denen „Licht für die Welt“ arbeitet, gibt es aber einige Best-Practice-Beispiele: So trug Moser selbst bei der Dachorganisation AG Globale Verantwortung zu einer internen Schulung der Mitgliedsorganisationen zum Thema Inklusion bei. „Das Feedback war sehr gut: ‚Wir brauchen bitte mehr davon. Und das nächste Mal mit noch mehr Details‘, wünschten sich die Teilnehmenden. Also der Wille ist da.“

In Mosambik wiederum hat „Licht für die Welt“ mit dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF eine Analyse nach dem Zyklon „Idai“, der im März 2019 über die Region hinwegzog, hunderte Menschen in Mosambik, Malawi und Simbabwe tötete und schwere Verwüstungen verursachte, durchgeführt. „Warum wurden Menschen mit Behinderungen nicht gewarnt? Warum konnten sie schlechter Schutz finden? Warum haben Menschen mit Behinderungen keine Lebensmittel bekommen?“, waren laut Moser einige der Fragestellungen.

Und vor allem: „Wie kann man Menschen mit Behinderungen für die nächste Katastrophe resilienter machen? Dass sie eventuell ein kleines Geschäft aufmachen und im Fall des Falles für einen Wiederaufbau ein bisschen was auf die Seite legen konnten.“

Arbeit mit Role Models

„Licht für die Welt“ arbeitet in den Projektländern intensiv mit Menschen mit Behinderungen, die eine Vorbildfunktion einnehmen – sogenannte Role Models. Wobei es beispielsweise im Südsudan relativ einfach ist, den Bürgerinnen und Bürgern die Wichtigkeit von Inklusion zu erklären. „Dort hat sicher jeder und jede Berührungspunkte mit Behinderungen, weil es praktisch in jeder Familie jemand mit einer Behinderung gibt. Und dort haben wir einen Inklusionsberater, der als Kind mit einer Handgranate gespielt hat. Er hat einen Arm und das Augenlicht verloren“, schilderte Moser.

Oder das Beispiel Burkina Faso: Dort arbeitet „Licht für die Welt“ mit einer Organisation der katholischen Kirche zusammen, die Betreiber von 40 Prozent der Volksschulen in dem westafrikanischen Sahelstaat ist. Und es wird hart daran gearbeitet, den Unterricht in diesen Schulen inklusiv zu machen. „Und das würde auch weitergehen, wenn wir jetzt gehen würden“, betonte Moser.