Kreuz an einem Baum aufgehängt
Reuters/ Ints Kalnins
Reuters/ Ints Kalnins
Was glaubt Österreich

Religionen und das Recht auf Öffentlichkeit

Die Frage, ob religiöse Symbole in der Öffentlichkeit sichtbar sein dürfen, sorgt immer wieder für heftige Diskussionen. Ebenso, ob sich Religionen in ethische Debatten einbringen sollten. Was dahinter steckt und was Social Media damit zu tun haben, hat religion.ORF.at nachgefragt.

Dass Menschen ihre religiösen Überzeugungen frei bekennen und leben können, ist wesentliches Kennzeichen religiös-weltanschaulich neutraler Staaten. Dass ein Staat religiös-weltanschaulich neutral ist, bedeutet, dass er sich nicht mit einer bestimmten Religion identifizieren darf, so der Rechtsphilosoph Stefan Hammer: „Der Staat darf keine Religion diskriminieren oder privilegieren.“ Außerdem muss „der Vollzug staatlich hoheitlicher Kernbereiche, wie zum Beispiel die Gerichtsbarkeit, ohne jeden religiösen Bezug erfolgen“.

Religiös-weltanschauliche Neutralität bedeute auch, dass der Staat sich nicht in religiöse Angelegenheiten einmischen und auch nicht versuchen darf, Religionen zu kontrollieren oder zu steuern. Umgekehrt sei Religion aber deshalb nicht reine Privatsache, vielmehr gehöre es wesentlich zur Religionsfreiheit, dass Menschen ihrem Bekenntnis gerade auch öffentlich Ausdruck verleihen können.

Schwierige Frage der Öffentlichkeit

Die Freiheit, die eigene Überzeugung auch öffentlich zu bekennen und zu praktizieren, gilt für Menschen mit religiösem Bekenntnis ebenso wie für Menschen ohne religiöses Bekenntnis. Ebenso gilt für alle, dass aus der Religionsfreiheit kein Konfrontationsschutz folgt, das heißt, kein Schutz davor, in der Öffentlichkeit mit anderen Weltanschauungen konfrontiert zu werden, so Hammer. Öffentlichkeit aber reicht in einer Demokratie in den Staat hinein.

Dazu meint Hammer weiter: „Öffentlichkeit beginnt dort, wo man aus den eigenen vier Wänden heraustritt, und endet im Staat.“ Wie die Religionswissenschaftlerin Anna Neumaier, Professorin am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien an der Ruhr-Universität Bochum, erklärt, hat Öffentlichkeit dementsprechend unterschiedliche Ebenen. So sind Religionen etwa öffentlich präsent, weil sie das Stadtbild prägen, etwa durch Gottes- und Gebetshäuser, Kapellen, Marterln und Gipfelkreuze, aber auch durch religiöse Symbole, die Menschen zwar privat, aber öffentlich sichtbar tragen.

Gipfelkreuz auf verschneitem Berg
Public Domain
Religionen sind in der Öffentlichkeit auf verschiedene Arten präsent

Eine weitere Ebene zeigt sich darin, dass Religionsgemeinschaften sich gesellschaftspolitisch engagieren können. So sind Religionen in vielen Ländern dadurch öffentlich präsent, dass sie seit Jahrhunderten im Bildungs- und Gesundheitswesen aktiv sind. In Österreich etwa gibt es neben zahlreichen christlichen Privatschulen auch jüdische, islamische und buddhistische Schulen. Allein in Wien werden über 6.000 Kinder in katholischen Kindergärten und Horten der Erzdiözese Wien betreut, jedes fünfte Spitalsbett in Österreich ist ein Bett eines Ordensspitals.

Social Media ändern Verständnis von Öffentlichkeit

Eine neue Dimension der Öffentlichkeit zeigt sich Neumaier zufolge dadurch, dass soziale Netzwerke die klassische Unterscheidung von öffentlichem Raum und privatem Bereich durcheinanderbringen. So wird zum Teil auf Facebook- und Instagram-Seiten sehr persönlich über den eigenen Glauben, Glaubenszweifel und Erfahrungen gesprochen. „Aber gleichzeitig ist das eben öffentlich sichtbar, manchmal geht so etwas viral, es erreicht manchmal Tausende oder Zigtausende. Da verschwimmt die Trennung von öffentlichem und privatem Raum.“

Facebook, TikTok, Twitter, YouTube and Instagram Apps auf einem Smartphone
Reuters/ Dado Ruvic
Durch Social Media verschwimmt die Trennung von öffentlichem und privatem Raum, erklärt die Religionswissenschaftlerin

Ursprünglich eher private Diskussionen würden so zum Teil auch die öffentliche Debatte prägen. Die öffentliche Präsenz von Religionen bewertet Neumaier grundsätzlich positiv: „Im deutschsprachigen Raum sind wir gewohnt, dass Religionen eine öffentliche Präsenz haben. Und das ist meines Erachtens auch ein gutes Zeichen von Religionsfreiheit.“

Einfluss auf ethische Debatten

Wie Hammer erklärt, ist es für religiös-weltanschaulich neutrale Staaten durchaus üblich, religiöse Positionen aktiv in Meinungsbildungsprozesse hereinzuholen. In Österreich habe sich das etwa zuletzt anlässlich der Debatte über die Zulässigkeit assistierten Suizids gezeigt. Mit Blick auf die staatliche Neutralität sei wichtig, ob hierbei auf eine halbwegs paritätische Zusammensetzung geachtet wird, so Hammer, also darauf, dass unterschiedliche Positionen ausgewogen vertreten sind.

Sendungshinweis

Wie das großangelegte, multimediale Projekt „Was glaubt Österreich“ 2024 weitergeht, zeigte „Orientierung Spezial“, 7. Jänner 2024, 12.30 Uhr, in ORF2.

Die religiös-weltanschauliche Neutralität komme hier insofern zum Tragen, als „dass man verschiedene Menschenbilder zur Geltung kommen lässt und nicht bestimmte grundsätzliche Positionen ausschließt oder glaubt, man könne auf einer rein weltanschauungsfernen, quasi szientistisch verstandenen Rationalitätsgrundlage allein staatliche Politik betreiben“. Denn nur, weil Positionen nicht religiös sind, seien sie nicht automatisch rationaler oder allgemein akzeptabler als religiöse Positionen, so der Rechtsphilosoph.

Pluralisierung als Herausforderung

Eine der größten Herausforderungen sei angesichts der zunehmend sichtbar werdenden Pluralisierung von Religionen und Weltanschauungen die Frage, wie der Staat es schafft, dass alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen zur Geltung kommen können, so Hammer. Ein Defizit sieht er in Österreich insofern, als für Weltanschauungen kein vergleichbarer Anerkennungsstatus wie für Kirchen und Religionsgemeinschaften vorgesehen ist.

Zudem stellt sich Hammer zufolge die Frage, ob das Anerkennungssystem in Österreich nicht überdacht werden sollte. Derzeit sind sechzehn Gemeinschaften als Kirchen beziehungsweise Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt, elf Gemeinschaften als staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften. Den Begriff des „Kooperationssystems“, das in Österreich das Verhältnis von Staat und Religionen bestimmt, sieht Hammer kritisch: Denn Staat und Religion seien eben nicht gleichberechtigt. Im rechtlichen Sinn sind Religionsgemeinschaften „zivilgesellschaftliche Akteure“.

Rahmenbedingungen für alle gleich

Gerade weil Religionsgemeinschaften zivilgesellschaftliche Akteure sind, könnten sie sich eben wie alle anderen auch in gesellschaftspolitische Diskussionen einbringen. Wichtig sei dabei, dass das staatliche Rahmenrecht für alle gleich gelten müsse.

Der Staat könne keine Rücksicht darauf nehmen, ob das den je eigenen weltanschaulichen Grundvorstellungen entspricht. Hammer: „Der Staat muss also nicht bestimmten religiösen Traditionen mehr entgegenkommen als anderen. Das säkulare Rahmenrecht muss für alle die gleichen Grundbedingungen garantieren.“