Raffael: „Heilige Familie“ im Auftrag von Domenico Canigiani aus Florenz, 1505/06
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Weihnachten

Die berühmteste Familie der Welt

Sie ist die wohl berühmteste Familie der Welt: Jesus, Maria und Josef stehen im Zentrum der Weihnachtsgeschichte. Über sie und die „heilige Sippe“ kursierten jahrhundertelang viele Legenden. So wurde die Frage erörtert, wie Marias Eltern hießen, wer Jesus’ Geschwister waren – und ob er ein anstrengendes Kind war.

Zahlreiche Gemälde und Geschichten legen nahe: Im Umfeld des kleinen Jesus gab es nicht nur Mutter und (Zieh-)Vater, sondern auch Großeltern, Geschwister und andere Verwandte. Streng historisch gesehen muss man sagen: Über eine solche Familie weiß man fast nichts. „Über Jesus wissen wir aus historischen Quellen, dass er geboren und gestorben ist. Laut den Evangelien wurde er von Josef und Maria in Nazareth großgezogen“, sagt der Theologe Simone Paganini im Weihnachtsgespräch mit religion.ORF.at.

So weit, so unbefriedigend. Neben den biblischen Quellen stehen uns die apokryphen Schriften, in etwa gleichzeitig entstandene, nicht kanonisierte Texte, zur Verfügung. „Bis ins fünfte Jahrhundert gab es keinen Kanon“, erklärt Paganini. Aus diesen Texten, die von antiken und frühmittelalterlichen christlichen Gemeinden ebenso verwendet wurden wie die Evangelien, entstanden Bilder und Legenden rund um Jesus und Familie, in der Kunstgeschichte auch „heilige Sippe“ genannt.

Menschen brauchen Geschichten

Zweck der Bibel sei es, von der Heilsbringung durch Christus zu künden, so der Theologe – nicht aber, interessante Details über sein Leben zu erzählen. Doch die Menschen wollten sich etwas zu Jesus und seinem Umfeld vorstellen können: Sie wollten Geschichten. Eine gute Quelle hierfür waren die Kindheitserzählungen nach Thomas und das Protoevangelium des Jakobus, beide stammen vermutlich aus dem zweiten Jahrhundert, nahezu aus derselben Zeit wie das Johannes-Evangelium.

Raffael: „Heilige Familie“ im Auftrag von Domenico Canigiani aus Florenz, 1505/06
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Raffael: „Heilige Familie“, im Auftrag von Domenico Canigiani aus Florenz, 1505/06

„Viele Geschichten sind außerhalb des Römischen Reiches weitererzählt und entwickelt worden, im arabischen Bereich, in Äthiopien, in slawischen Gemeinden“, so Theologe Paganini. Sie wurden als wahr aufgefasst und waren wirkmächtig.

Jesus, „ein richtiger Fratz“

Hier wird man fündig, was göttlich-menschliche Probleme des ganz jungen Erlösers angeht: Der kleine Jesus war demzufolge „ein richtiger Fratz, frech und erziehungsresistent“, so Paganini. Den Schriften zufolge habe er Erwachsenen nicht nur widersprochen, er soll seinen Lehrer Zebedäus verletzt oder sogar getötet haben.

Zeichnung „Jesus macht die Tonvögelchen seiner Spielkameraden lebendig“. Klosterneuburger Evangelienwerk, ca. 1340
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„Jesus macht Tonvögelchen lebendig“, ca. 1340

„Er verwandelte Spielkameraden in Tiere und wieder zurück.“ Solche Geschichten hätten den Zweck erfüllt, von der Macht Jesu zu künden, und sie endeten damit, dass „alle an ihn glaubten“. „Er wirkte auch nette Wunder, aber im Zentrum stand die Vorstellung, dass der Sohn Gottes mit den Menschen Probleme hat.“ Für mittelalterliche Eltern gewiss eine sehr entlastende Vorstellung.

Wunder der Tonvögelchen

Besonders Josef hatte seine Probleme mit dem Ziehsohn – „interessanterweise spielt Maria als Mutter hier kaum keine Rolle“, so Paganini -, der kleine Jesus brachte ihn ans Ende seiner Kräfte. Hübsch ist etwa die Geschichte, wonach das Kind mit aus Lehm gebildeten Vögelchen gespielt habe, wofür es gescholten wurde: Am Sabbat dürfe man so etwas nicht, wurde ihm gesagt, und so hauchte Jesus den Tonvögelchen Leben ein, und sie flogen fort. Anekdoten wie diese wurden oft in Bildern festgehalten und gehörten lange zum gelebten Volksglauben.

Großeltern und herzige Babys

Zur Frage der Großeltern, von denen in den Evangelien nie die Rede ist, hat das Protoevangelium des Jakobus einiges zu berichten. Die heilige Anna war demnach eigentlich schon zu alt, um noch schwanger zu werden – seit den Stammeltern Abraham und Sarah ein beliebtes Motiv, das ein göttliches Eingreifen nahelegt.

Giotto hat Marias Eltern in „Joachim und Anna an der Goldenen Pforte“ gemalt. In der Volksfrömmigkeit spielte besonders Anna eine große Rolle. Sehr häufig in den Fokus von Gemälden gerückt wurde auch Marias Verwandte Elisabeth mit dem Johannes-Knaben, der mit dem Jesus-Kind dargestellt ist. Die beiden herzigen Babys sind in der Kunst ein überaus beliebtes Motiv, die Heiligkeit der beiden ist in ihren Attributen und Heiligenscheinen vorweggenommen.

Gemälde von Giotto, Marias Eltern Anna und Joachim vor dem goldenen Tor, zwischen 1303 und 1306
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Gemälde von Giotto, Marias Eltern Anna und Joachim vor dem goldenen Tor (zwischen 1303 und 1306)

Josefs Kinder – Jesu Geschwister?

Auch Maria war ein ganz besonderes Kind, wie die Apokryphen erzählen. „Gleich nach der Geburt kommt Maria in den Tempel, weil sie so heilig ist.“ Mit zwölf Jahren, als Maria zu einer jungen Frau wurde, musste sie diesen verlassen, ein Mann für sie wurde unter den Witwern Israels gesucht. „Eine ganze Menge alte Herren, darunter Josef, müssen antreten – Josef bekommt das Mädchen durch das Los.“ Er habe protestiert, erzählt der Theologe und zitiert: „Ich habe schon viele Söhne und bin alt, sie ist ein junges Mädchen, alle werden mich auslachen.“ Daher komme die Vorstellung, dass Josef alt gewesen sei und Jesu Brüder aus dessen erster Ehe stammten.

Diese Brüder kommen namentlich in der Bibel vor, etwa bei Mk 6,3 und 3,31. Erwähnt werden Jakobus, Joses, Judas und Simon als „Brüder“ Jesu, auch von namenlosen „Schwestern“ ist die Rede. Dass später so stark betont wurde, bei diesen Geschwistern könne es sich nur um Kinder aus Josefs erster Ehe handeln, hat viel mit der Vorstellung einer immerwährenden Jungfräulichkeit Marias zu tun, für die beim Konzil von Ephesos (431) die Grundlage gelegt wurde. Davon steht zwar nichts in der Bibel, die Idee erhielt aber eine starke Wirkmacht, und so konnte Jesus lediglich Halbgeschwister haben.

Eigenartige Patchworkfamilie

Nicht zwingend logisch erscheint der Theologin und Ethikerin Claudia Paganini, dass gerade eine so „eigenartige Patchworkfamilie“ das christliche Familienbild derart geprägt habe. „Da hat man den einen Aspekt herausgegriffen, den man haben wollte – ebenso gut hätte diese Familie Vorbild für viel liberalere Modelle sein können.“ Josef mit seinen Kindern, die unverheiratete, schwangere Maria – „das bedeutete Unruhe und offene Fragen und eigentlich das Gegenteil von dem, was man später als christliche Familie verstanden hat“.

Das, was darunter verstanden wurde – Vater, Mutter, deren Kinder -, „war klar definiert, sehr statisch, mit einem Minimum an Spielraum. Das Vorbild war das komplette Gegenteil.“ Die Theologin sieht hier ein Beispiel für „biblische Texte und das, was die Tradition daraus macht“. Immerhin: Zu der Zeit wurden Frauen für eine außereheliche Beziehung gesteinigt. „Aus einer eigentlich unheilvollen Situation entsteht also der Messias, das Heil – das ist ganz gewaltiger Anspruch.“

Nur zwei Frauenbilder

Das Bild der Kleinfamilie sei später als „Werkzeug des Machtapparats Kirche“ genutzt worden, etwa um Frauen unterwürfig zu halten, erklärt Claudia Paganini. „Im Grunde waren nur zwei Frauenbilder zulässig: die brav-heilige Gottesgebärerin und Mutter oder die Hure.“ Einzige Personifikationsmöglichkeit war somit Maria, die Mutter – und damit war „jede kleine Flamme der Emanzipation erfolgreich erstickt“.

„Haus Nazareth“-Gemälde von Pedro Orrente  (1580–-1645)
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Idylle im „Haus Nazareth“, Gemälde von Pedro Orrente (1580–-1645)

Geschichten über Jesus und die Seinen erfreuten sich jedenfalls zu allen Zeiten großer Beliebtheit. Häusliche Szenen der heiligen (Klein-)Familie werden in der Kunstgeschichte unter den Begriffen „Heiliger Wandel“ und „Haus Nazareth“ dargestellt: Erstere behandelten die Flucht nach Ägypten, aber auch Spaziergänge, bei denen das Jesus-Kind gerne zwischen den Eltern „wandelnd“ gemalt wurde. Die „Haus Nazareth“-Bilder zeichnen ein familiäres Idyll mit Josef an der Hobelbank und Maria am Spinnrad, das sehr viel mehr über die jeweilige Entstehungszeit aussagt als über das Leben von Menschen der Antike.